Politik

"Wäre Katastrophe" – Experte lässt im ORF aufhorchen

Russland-Experte Gerhard Mangott äußerte sich am Donnerstag in der "Zeit im Bild 2" zur angekündigten Annexion der Ostukraine.

André Wilding
Russland-Experte Gerhard Mangott
Russland-Experte Gerhard Mangott
Screenshot/ ORF

Russland will am Freitag die Annexion der vier russisch kontrollierten Regionen in der Ukraine formell vollziehen! Laut der russischen Nachrichtenagentur "Ria Novosti" findet die Unterzeichnung der Verträge über den Beitritt der eroberten Gebiete im Kreml statt. Neben Präsident Wladimir Putin werde demnach auch sein Pressesprecher Dmitri Peskow teilnehmen.

Bei vom Westen als Schein-Abstimmungen kritisierten "Referenden" in diesen Regionen sollen sich nach Angaben der dortigen Separatisten überwältigende Mehrheiten für die Annexion ausgesprochen haben. Keines der betroffenen Gebiete ist vollständig von den russischen Invasoren besetzt.

Putin wird Rede halten

"Um 15.00 Uhr findet im großen Kreml-Palast eine Zeremonie zur Unterzeichnung der Verträge statt", erklärte Pressesprecher Peskow. Eine Rede von Kreml-Chef Wladimir Putin vor der Bundesversammlung sei für einen späteren Zeitpunkt geplant, heißt es weiter.

Die mehrtägigen "Referenden" in den ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk sowie in den südukrainischen Regionen Saporischschja und Cherson waren am Dienstag zu Ende gegangen, am Mittwoch baten dann die Anführer der dortigen Separatisten formell Putin um die Annexion.

Russland-Experte Gerhard Mangott war am Donnerstagabend zu Gast in der "Zeit im Bild 2" und stand dabei ORF-Moderator Martin Thür zur angekündigten Annexion der Ostukraine Rede und Antwort. Und Mangott erklärte auch, warum es der Kreml-Chef mit einer Annexion gerade so eilig hat.

"Putin ängstigte sich"

"Die Eile, mit der die Annexion nun durchgezogen wird, hängt sicher mit der erfolgreichen Offensive der Ukraine in Charkiw zusammen", erklärt der Experte. Damit wolle Putin zeigen, dass die "Spezialoperation" in der Ukraine erfolgreich ist. Mangott glaubt aber nicht, dass es zu einer nationalistischen Aufwallung wegen der Annexion dieser Gebiete kommen wird.

Angesprochen auf die Teil-Mobilmachung der russischen Armee stellte der Experte zudem klar, dass es nicht von ungefähr kam, dass Putin damit so lange gewartet habe. Der Kreml-Chef hätte sehr wohl gewusst, dass eine solche Teil-Mobilmachung zu einer Verschiebung der Stimmung in der Bevölkerung führen könnte.

"Putin ängstigte sich!", ist sich Mangott sicher. Es sei aus Sicht von Putin aber eine Notwendigkeit gewesen, nun auch Reservisten einzuziehen. Doch hält die russische Wirtschaft eine Teil-Mobilmachung überhaupt aus? Immerhin seien die ökonomischen Folgen dafür enorm, so Thür.

Reservisten fehlen in Betrieben

"Das ist ein wichtiges Argument", so der Russland-Experte. Die russische Wirtschaft hätte sich angesichts der Sanktionen zwar als widerstandsfähig erwiesen, doch diese könnte mit der Teil-Mobilmachung in Schieflage geraten. Sollten 300.000 Reservisten oder sogar mehr eingezogen werden, dann würden diese in Betrieben fehlen.

Das könne laut Gerhard Mangott etwa zu Produktionsdrosselungen in Russland und auch zu Einbrüchen der Wirtschaft führen.

Auch das mittlerweile vierte Leck in der Pipeline war Thema in der "ZIB2". Offenbar ist es ein Attentat gewesen, eine bewusst herbeigeführte Explosion. Experten rechnen mit mehreren hundert Kilogramm Sprengstoff. Doch welches Motiv hätte etwa Russland gehabt, die eigene Pipeline zu beschädigen?

"Kein tragfähiges Argument"

Mangott erklärt: "Russland hat die militär-technischen Fähigkeiten einen solchen Anschlag durchzuführen. Aber diese Fähigkeiten haben andere Staaten auch. Diejenigen, die sagen, Russland war es sicher nicht, die sagen: 'Warum sollte Russland seine eigenen Leitungen beschädigen? Das ist doch der letzte Druckhebel, den Russland gegen die EU in der Hand hat. Das halte ich nicht für ein tragfähiges Argument."

Denn durch diese Leitungen sei entweder noch nie Gas geflossen oder eben nicht mehr! "Diejenige, die Russland verdächtigen, sagen: 'Russland wollte ein Signal an den Westen schicken, dass es dessen Infrastruktur zerstören kann.' Das glaube ich auch nicht, denn dass Russland das kann, das wussten wir vorher auch schon."

"Russland will Angst und Unsicherheit verbreiten"

Wenn Russland Täter gewesen sein soll, dann hat der Experte zwei Motive: "1. Russland will dem Westen nicht signalisieren, dass es das kann, sondern, dass es Willens ist, eine neue Front zu eröffnen – eine Infrastruktur-Front gegen Gasleitungen, Unterwasserkabel für Internet und Telefon. Und 2. Russland will Angst und Unsicherheit verbreiten."

Auf die Frage, wie groß das Drohpotenzial Russlands in der Energie-Versorgung Europas aktuell noch sei, antwortete der Experte: "Russland liefert nicht mehr sehr viel Gas nach Europa." Russland könnte aber versucht haben, deutlich zu machen, dass es Willens ist, andere Gasleitungen nach Europa durch Anschläge zu unterbrechen.

"Das würde dem Ziel Russlands dienen"

"Wenn etwa norwegische Gasleitungen im kommenden Winter für Monate ausfallen würden, dann wäre das eine einzige Katastrophe und würde dem Ziel Russlands dienen, dass durch das Frieren der europäischen Bevölkerung und durch die hohe Inflation, sich die Stimmung der Bevölkerung gegen die Unterstützung der Ukraine richtet und daher Druck der Bevölkerung auf die eigene Regierung kommt, von dieser Unterstützung der Ukraine abzugehen", erklärte der Experte.

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