"Lass uns die Welt vergessen"
Volksoper ohne Juden: "Es wurde einfach weitergemacht"
Die Volksoper beschäftigt sich zum 125. Jubiläum mit der Premiere von "Lass uns die Welt vergessen - Volksoper 1938" mit der Geschichte des Hauses.
Wir schreiben das Jahr 1938, das austrofaschistische Österreich wird an das nationalsozialistische Deutsche Reich "angeschlossen". Hitler marschiert in Österreich ein und wird großflächig und vor allem jubelnd empfangen. Einstweilen muss in der Volksoper irgendwie die Produktion weitergehen, die Leute wollen ja trotz dem drohenden Untergang der Welt und des tobenden Faschismus noch wenigstens etwas Kunst genießen. Kultur ist ja schließlich frei von politischen Botschaften und Einwirkungen, nichts hat da irgendetwas mit dem düsteren und brutalen Nationalsozialismus zu tun. Oder etwa doch?
Bildstrecke: Premiere von "Lass uns die Welt vergessen - Volksoper 1938"
Geprobt wird zu dieser Zeit und eben in der heutigen Premiere von "Lass uns die Welt vergessen - Volksoper 1938" gerade die Beneš-Operette "Gruß und Kuss aus der Wachau" - es handelt sich also um ein Stück im Stück, das aber eben auf den wahren Begebenheiten des Jahres 1938 beruht. Auffallend nur, dass immer mehr jüdisch stämmige Schauspieler und Schauspielerinnen verschwinden. Das aktuelle politische Leben dringt also auch in die vermeintlich heiligen Hallen der Kunst ein, so frei wie man glaubte zu sein, war man dann doch nicht: "Während den Proben ergreifen die Nationalsozialisten die Macht. Das Leben vieler an der Produktion Beteiligten ändert sich dadurch von einem Tag auf den anderen dramatisch", erklärt Darstellerin Johanna Arrouas im "Heute"-Talk, "die heile Welt der Operette, die geprobt wird, prallt auf die sich zuspitzende katastrophale politische Situation."
„Die Leute wurden einfach ausgetauscht. Es wurde einfach weitergemacht.“
Dabei wird die Geschichte rundum die Proben zu "Gruß und Kuss aus der Wachau" in der Premiere so erzählt, dass man sich sehr schnell in die damalige Zeit katapultiert fühlt. Auf einmal sitzen auch im Publikum NS-Offiziere neben einem, doch dabei handelt es sich um keinen Fiebertraum, sondern die Bedrohung ist wirklich und wahr geworden. Die jüdischen Schauspieler und Schauspielerinnen müssen aus der Produktion verschwinden, werden vertrieben und stumm gemacht. "Gerade im Bereich der Operette waren sehr viele damals jüdisch, so wie bei dieser Produktion: Autor, Regisseur, Dirigent, Intendant, Liedtexter und auch viele Orchestermusiker, Sängerinnen und Sänger waren Juden." Ohne sie wäre die Volksoper dann quasi leer gewesen: "Von einem Tag auf den anderen sind viele nicht mehr da gewesen, wurden entlassen. Aber unser Stück zeigt, dass trotzdem weiter geprobt wurde und Vorstellungen gespielt wurden. Die Leute wurden einfach ausgetauscht. Es wurde einfach weitergemacht."
Der aktuelle Starflash:
Die meisten Volksoper-Darsteller mussten vor den Nazis fliehen
So war es auch mit der jungen Sängerin Hulda Gerin, die im Stück von Johanna Arrouas verkörpert wird: "Sie steht am Beginn einer großen Karriere und glaubt, dass sie ein schönes, aufregendes Leben vor sich hat. Ihre jüdischen Wurzeln behält sie für sich, zunächst, weil es wahrscheinlich gar nicht so relevant war", erzählt die Schauspielerin, "doch zunehmend wird ihr bewusst, dass ihre Wurzeln eine Gefahr sind, die sie dann aufgrund der Rassengesetze verheimlichen muss. Sie wird jedoch entlarvt, entlassen und muss vor den Nationalsozialisten fliehen."
„Wir konnten natürlich während den Proben den Krieg in Israel nicht ignorieren“
Die Parallelen zur heutigen Zeit sind unverkennbar, spätestens seit dem Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas nimmt der Antisemitismus auch bei uns immer mehr zu: Im Vorjahr dokumentierte die Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) 965 antisemitische Vorfälle - das war die höchste erfasste Anzahl seit Beginn der Dokumentation vor 20 Jahren. Im jüdischen Teil des Zentralfriedhofs wurde erst Anfang November ein Brandanschlag ausgeführt, das Gartenbau Kino sagte jüngst vor einer Woche die Lesung von Deborah Feldman zu ihrem Buch "Judenfetisch" ab. "Wir konnten natürlich während der Proben den Krieg in Israel nicht ignorieren, vor allem, weil das Thema Antisemitismus leider wieder sehr stark präsent ist", so Arrouas zu "Heute", "der Krieg im Nahen Osten ist natürlich eine andere Geschichte. Aber man fühlt sich von den Ereignissen sehr eingeholt."