"Porny Days"
Live-Sex-Shows im Theater lassen Zuschauer erröten
Die subventionierten "Porny Days" sorgen wegen einer Live-Sex-Show auf den Bühnen des Zürcher Schauspielhauses für Aufruhr. Eine Expertin ordnet ein.
Bereits seit elf Jahren finden die "Porny Days" in Zürich statt. In den Performances, die im Schiffbau aufgeführt werden, soll dieses Jahr auch Live-Sex auf der Bühne gezeigt werden. Die subventionierte Porno-Darbietung auf der Theaterbühne schlägt hohe Wellen. Es gibt kritische Stimmen, vor allem vor dem Hintergrund, dass das Festival von Migros-Kulturprozent, dem Kanton Zürich sowie der Stadt Zürich mitfinanziert wird.
Die deutsche Theaterwissenschaftlerin Lea-Sophie Schiel hat acht Jahre zu Live-Sex-Aufführungen geforscht und dazu ein Buch geschrieben. Sie ordnet ein.
Frau Schiel, ist eine Live-Sex-Show auf einer Bühne noch Kunst?
Lea-Sophie Schiel: Ja, unbedingt ist das Kunst. Erotik und Sexualität gehören schon seit Tausenden von Jahren zur ästhetischen Formsprache und Ausdrucksweise von Kunst. Im 18. Jahrhundert wurde dem europäischen Theater oft Lasterhaftigkeit und Sittenverlust vorgeworfen. Diese Argumente waren und sind im Kern theaterfeindliche Argumente. Das Theater war schon immer eine Anstalt der Erotik und der Sexualität.
Kann eine Live-Sex-Performance denn tatsächlich dazu dienen, auf die Rechte von Sexarbeiterinnen und -arbeitern aufmerksam zu machen?
Auf jeden Fall. Im Schauspielhaus stellen sich Sexarbeiterinnen und -arbeiter ja selbstbestimmt auf die Bühne und zeigen dem Publikum ihre Sicht der Welt und ihre Arbeitsrealität. Die Sicht auf Sex-Arbeit ist sehr durch die Sicht der zumeist cis-männlichen Konsumenten geprägt. Durch diese dominante Sicht werden die Sexarbeiterinnen und -arbeiter oft zum konsumierbaren Objekt degradiert. Die Bühne ist ein toller Ort, um eine andere Perspektive auf die Realität der Sexarbeiterinnen und -arbeiter zu ermöglichen. Viele von ihnen werden von der Gesellschaft immer noch beschämt. Ihnen eine Bühne zu geben, ist ein wichtiger Schritt, um ihnen gesellschaftliche Anerkennung zukommen zu lassen und sie so zu empowern.
Würden Sie sich die Aufführung ansehen wollen, wenn Sie in der Nähe wären?
Ich würde die Aufführung sehr gerne sehen wollen. Ich habe acht Jahre lang zu Live-Sex-Performances geforscht. Oft war nicht ganz klar, wer die Akteurinnen und Akteure inszeniert hat und wie selbstbestimmt ihre Performances sind. Hier finde ich besonders interessant, zu sehen, wie Sexarbeitende sich selbstbestimmt inszenieren.
Erstaunt es Sie, dass um eine Live-Sex-Performance in der heutigen Zeit überhaupt noch Aufregung entsteht?
Ehrlich gesagt schon ein bisschen, ja. Wir leben in einer Welt, in der tagtäglich Unmengen von Pornographie via Internet oder Live-Sex-Chat konsumiert wird. Wir alle haben schonmal in irgendeiner Art und Weise Sexarbeit konsumiert. Was ist das Problem, wenn dieser Umstand auf der Bühne thematisiert wird? Macht hier das Theater nicht genau das, was es in einem bildungsbürgerlichen Sinn soll, und zwar gesellschaftliche Tabus problematisieren, der Gesellschaft den Spiegel vorhalten und Aufklären im besten Sinne des Wortes?
Das Festival wird von Stadt und Kanton mitfinanziert. Sehen Sie darin einen Grund für die öffentliche Empörung?
Nein. Im Gegenteil. Ich finde, es sollte viel mehr Pornographieproduktion und Pornographieforschung aus öffentlichen Mitteln finanziert werden. Die Mainstream-Hard-Core-Pornographien sind sehr einseitig in ihrer Darstellung von Sexualität und unterliegt dem Zwang ökonomischer Verwertbarkeit.
Wir sollten uns nicht mit diesen Darstellungen der Mainstream-Pornographien als Gesellschaft zufriedengeben. Wenn wir in Zukunft eine erfüllende Sexualität leben wollen, die mehr kennt als "ich spitze mal zu leistungsorientierten, gut funktionierenden Fickmaschinen", ist Kunst ein möglicher Zugang, um dies zu erforschen. Gerade das Theater als öffentlich finanzierter Ort kann ökonomischen Druck aus sexuellen Darstellungen nehmen und hat so die Möglichkeit, ganz andere Formen von Sexualität und Erotik aufzuführen.