Nach Biden-Rückzug

"Underdog" Kamala Harris "ist nicht zu unterschätzen"

Kamala Harris könnte als erste Präsidentin der USA gewählt werden. Über ihre Chancen packte am Montagabend ihre Biografin Marie-Astrid Langer aus.

"Underdog" Kamala Harris "ist nicht zu unterschätzen"
Marie-Astrid Langer, Kalifornien-Korrespondentin der "Neuen Zürcher Zeitung" und Autorin der einzigen deutschsprachigen Biografie über Harris.
Screenshot ORF

Kamala Harris könnte als erste Präsidentin der USA gewählt werden, sollte sie von den Demokraten nominiert werden und im November gegen Donald Trump gewinnen. Harris hat indische und jamaikanische Wurzeln und machte Karriere als Staatsanwältin in Kalifornien, bevor sie 2016 in den US-Senat gewählt wurde. Trotz hoher Erwartungen konnte sie als Vizepräsidentin zunächst nicht punkten, hat inzwischen aber etwas an politischem Profil gewonnen. Sollte Harris zur Präsidentin gewählt werden, käme auch ihrem Mann eine Pionierrolle zu: der erste "First Gentleman" und dazu noch mit jüdischen Wurzeln.

"Wir haben noch 107 Tage bis zum Wahltag. Wir werden gemeinsam kämpfen. Und gemeinsam werden wir gewinnen." Das schrieb US-Vizepräsidentin Kamala Harris (59) am Sonntag auf der Plattform X, kurz nachdem Joe Biden seinen Rückzug verkündet und ihr seine Unterstützung zugesprochen hatte. Eine, die Harris wie keine Zweite kennt, ist Marie-Astrid Langer, Kalifornien-Korrespondentin der "Neuen Zürcher Zeitung" und Autorin der einzigen deutschsprachigen Biografie über Harris. Am späten Montagabend schätzte Langer die Chancen der neuen Hoffnung der US-Demokraten bei ORF-Moderator Armin Wolf in der "ZIB2" ein.

US-Präsident Joe Biden verkündete seinen Rückzug

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    Am 21. Juli kündigte US-Präsident Joe Biden auf X seinen Rückzug aus dem Rennen um das weiße Haus an. Er will nun Kamala Harris unterstützen.
    Am 21. Juli kündigte US-Präsident Joe Biden auf X seinen Rückzug aus dem Rennen um das weiße Haus an. Er will nun Kamala Harris unterstützen.
    CHRIS DELMAS / AFP / picturedesk.com

    Harris ist das "Gesicht der nächsten Generation"

    Überrascht hatte Langer nicht, dass Biden Harris als Nachfolgerin vorgeschlagen habe, sie "ist die logische Nachfolgerin, um das Erbe von Biden in die nächste Generation zu tragen". Die Demokraten müssten sich jetzt möglichst schnell hinter einer Kandidatin oder einem Kandidaten vereinen, "um den Vorsprung von Trump wieder aufholen zu können". "Interessant" sei, dass Ex-Präsident Barack Obama sich noch nicht hinter Harris gestellt habe, da Harris und er auch Freunde seien, so Langer. Aber: Zu kritisch dürfe man das nicht interpretieren, denn Obama habe immer klargemacht, dass es eine geordnete Übergabe geben müsse.

    Verschiedene Aspekte gebe es, warum Harris bisher als Politikerin nicht sonderlich beliebt gewesen sei, so Langer – Biden hätte klargemacht, dass Harris "keine Schattenpräsidentin ist", sondern das "Gesicht der nächsten Generation" der Demokraten. Man könne aber nicht wegreden, dass sich Harris "ins eine oder andere Fettnäpfchen" gesetzt habe, etwa mit dem Abtun der Grenzfrage zu Beginn ihrer Amtszeit. Andererseits sei sie eine Kämpferin, so Langer: "Ja, ich denke, sie wird unterschätzt, schon ihr gesamtes politisches Leben hinab." Harris sei immer "der Underdog gewesen", habe sich aber immer durchgesetzt und "ist nicht zu unterschätzen".

    Indische und jamaikanische Wurzeln waren prägend

    Kamala Harris wurde 1964 als Tochter einer indischen Krebsforscherin und eines jamaikanischen Wirtschaftswissenschaftlers in Oakland in Kalifornien geboren. Ihr Name geht auf das Sanskrit-Wort "kamalam" zurück, das Lotusblume bedeutet. Als sie sieben Jahre alt war, ließen sich ihre Eltern scheiden und Kamala und ihre Schwester Maya zogen mit der Mutter Shyamala Gopalan für ein paar Jahre nach Kanada, wo sie die Highschool besuchte. An das Leben im Viertel ihres Vaters Donald Harris in Palo Alto erinnert sie sich hingegen folgendermaßen: "Die Nachbarskinder durften nicht mit uns spielen, weil wir schwarz waren."

    Meine Mutter war entschlossen, uns zu selbstbewussten schwarzen Frauen zu machen
    Kamala Harris

    Ihre Kindheit sei stark von den indischen Wurzeln geprägt gewesen. Kamala begleitete ihre Mutter immer wieder auf Reisen nach Indien. Heute beschreibt sie sich zwar als Baptistin, ihre Mutter und deren Familie sind aber Hindu – ein Umstand, den sie mit Usha Vance, der Frau von Trumps Vizekandidat J.D. Vance, teilt.

    Trotz ihrer indischen Herkunft, habe es Kamalas Mutter verstanden, dass sie zwei schwarze Töchter großzog. Das schrieb Harris in ihrer Autobiografie. "Sie wusste, dass ihre Wahlheimat Maya und mich als schwarze Mädchen sehen würde, und sie war entschlossen, dafür zu sorgen, dass wir zu selbstbewussten, stolzen schwarzen Frauen heranwachsen würden."

    Law-and-Order-Background

    Nach ihrem Abschluss ging Kamala nach Washington, D.C., wo sie die Howard University, eine historisch schwarze Schule, besuchte. Nach dem Bachelor in Politikwissenschaft kehrte sie 1987 nach Kalifornien zurück, um Jura zu studieren. Danach blieb sie in ihrem Heimatstaat, wo sie zunächst in der Region um San Francisco und dann Karriere als Staatsanwältin machte.

    Harris hat indische und jamaikanische Wurzeln und wuchs in Kalifornien auf, bevor sich ihre Eltern scheiden ließen und sie mit ihrer Schwester und Mutter für ein paar Jahre nach Kanada zog.
    Harris hat indische und jamaikanische Wurzeln und wuchs in Kalifornien auf, bevor sich ihre Eltern scheiden ließen und sie mit ihrer Schwester und Mutter für ein paar Jahre nach Kanada zog.
    REUTERS

    Dass sie diesen Beruf wählte, sei kein Zufall gewesen, erzählte Harris kürzlich an einer Veranstaltung in Michigan, wie die "Tagesschau" berichtete. In der Highschool habe sie erfahren, dass ihre beste Freundin von ihrem Stiefvater belästigt wurde. Danach habe sie einen Beruf wählen wollen, in dem sie Frauen und Kinder vor Gewalt schützen könnte. Im Jahr 1990 begann sie, für die Staatsanwaltschaft des Alameda County zu arbeiten, wo sie sich vor allem um Fälle sexueller Misshandlungen von Kindern kümmerte.

    Im Jahr 2002 setzte sie sich dann erfolgreich gegen den damals amtierenden Bezirksstaatsanwalt von San Francisco durch. Im Jahr 2010 gewann sie landesweite Wahlen zur Generalstaatsanwältin von Kalifornien – der höchsten Strafverfolgungsbehörde des Staates – und wurde vier Jahre später mühelos wiedergewählt. Und das, obwohl ihr harter Law-und-Order-Kurs vielen in der Partei zu weit ging und sie dafür kritisiert wurde, heiklen Themen wie "Racial Profiling" aus dem Weg zu gehen. In all diesen Ämtern war sie stets die erste schwarze Frau.

    Der Weg zur Vizepräsidentin

    2016 wurde sie dann mit überwältigender Mehrheit in den Senat gewählt. Dort versuchte sie, auf dem schmalen Grat zwischen dem linken und dem rechten Flügel der demokratischen Partei zu wandern. Manchmal stellte sie sich als "Top-Cop" und manchmal als progressive Staatsanwältin dar.

    Im Jänner 2019 stieg Harris offiziell ins Rennen um das Präsidentschaftsamt 2020 ein. Innerhalb der ersten 24 Stunden sammelte sie 1,5 Millionen US-Dollar – eine Zahl, die bis dahin nur 2016 Bernie Sanders übertraf. Danach brach der Enthusiasmus um die heute 59-Jährige jedoch zusammen. Im Dezember 2019 erklärte sie, dass sie ihre Kandidatur nach niedrigen Umfragewerten aufgebe und stellte sich bald hinter Joe Biden.

    Sneakers-Liebe und unerfüllte Erwartungen

    Im August 2020 erklärte dieser sie dann offiziell zu seiner Vizepräsidentschaftskandidatin. Während des Wahlkampfs versuchte Kamala nicht nur mit Polit-Inhalten zu punkten, sondern sich auch als normale Bürgerin zu präsentieren. Die Vizepräsidentin ging öffentlich mit Sneakers einkaufen und ließ sich dabei ablichten. "Ich liebe meine Chucks", sagte sie gegenüber Reportern.

    Einmal im Amt waren die Erwartungen an Harris enorm. Die frühere Senatorin konnte in der Rolle als Bidens Stellvertreterin nie wirklich punkten. Sie gilt bei Kritikern als politisch blass. Erst Mitte ihrer Amtszeit schien sie langsam aufzutauen und setzte sich für das Recht auf Abtreibung und gegen Waffengewalt ein. Vor allem in der Einwanderungspolitik wird ihr Versagen vorgeworfen. Es heißt aber auch, dass Biden seiner Vize mit dem Thema Migration eine undankbare Aufgabe zugeschoben habe. Auch ihr fehlendes Charisma wird immer wieder zum Thema.

    Wer würde "First Gentleman" werden?

    Im Jahr 2014 heiratete Kamala den jüdischen Anwalt aus Südkalifornien, Doug Emhoff. Eine Freundin soll ein Jahr zuvor ein Blind Date der beiden arrangiert haben. Die beiden haben keine eigenen Kinder, Emhoff hat aber zwei erwachsene Kinder aus erster Ehe: Cole und Ella. Sie nennen Harris "Momala". Nicht nur Harris sorgte in ihrer Karriere wiederholt für Premieren, sondern auch Emhoff: Er wurde als erster Mann zum "Second Gentleman" in den USA, und vielleicht könnte er zum "First Gentleman" aufrücken – auch das wäre neu.

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    Auf den Punkt gebracht

    • Kamala Harris könnte als erste Präsidentin der USA gewählt werden, sollte sie von den Demokraten nominiert werden und im November gegen Donald Trump gewinnen
    • Sie hat indische und jamaikanische Wurzeln und machte Karriere als Staatsanwältin in Kalifornien, bevor sie 2016 in den US-Senat gewählt wurde
    • Ihr Mann könnte als erster "First Gentleman" und dazu noch mit jüdischen Wurzeln eine Pionierrolle einnehmen
    red, 20 Minuten
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