Experte packt aus
"Harris kann die weißen Arbeiter nicht abholen"
US-Wahlkampfexperte Guido Weber räumt Harris gute Chancen ein – sofern sie den richtigen Vize wählt. Denn in konservativen Kreisen habe sie es schwer.
US-Präsident Joe Biden tritt nicht mehr für eine zweite Amtszeit an. Das hat er via X und Instagram verkündet. In einem kurzen Brief gibt der 81-Jährige an, sich darauf konzentrieren zu wollen, seine Pflichten in seiner verbleibenden Amtszeit zu erfüllen. Im Laufe der Woche wolle er sich an die Nation wenden, um seine Entscheidung zu erklären. US-Wahlkampfexperte Guido Weber beantwortet die wichtigsten Fragen schon jetzt im Interview mit 20 Minuten.
Herr Weber, warum jetzt? Was hat das Fass zum Überlaufen gebracht?
Die Auszeit aufgrund der Covid-Erkrankung hat es ihm erlaubt, alles in Frage zu stellen. Hinter den Kulissen war klar, dass Biden sich zurückzieht, wenn er den Support von Obama, Schumer und Pelosi verliert. Er ist ein traditioneller Politiker, der auf seine geschätzten Verbündeten vertraut – jetzt haben ihm alle zu einem Rücktritt geraten. Er hat jetzt begriffen, dass er sein Erbe mit einer Kandidatur in Frage stellen würde. Dann nämlich würde er in die Geschichte eingehen als die Person, die Trump eine zweite Amtszeit beschert hat. Das wäre unrühmlich, denn meiner Meinung nach hat er viel erreicht, mehr als Obama. Und zwar innen- wie auch außenpolitisch.
Haben die Demokraten überhaupt noch eine Chance?
Die Demokraten haben eine absolut intakte Chance, zu gewinnen. Die Stärke von Trump war nicht, dass er große Unterstützung genießt, sondern dass Biden so schwach war. Er hat keine Leute überzeugt, die nicht eh schon für ihn waren. Trumps Stärke war nur ein Spiegel von Bidens Schwäche. Sobald die Demokraten jemand Passendes gefunden haben, ist das Rennen völlig offen. Ich sehe sogar eher Vorteile für die Demokraten.
Wieso denn das?
Jetzt wird bei den Demokraten die große Euphorie ausbrechen. Die Leute an der Basis gehen nun in den Wahlkampf, jetzt werden sie viele Spenden bekommen. Denn alle wissen: Das Rennen ist wieder offen. Das wird sie in gute Lage bringen, um den Senat zu behalten und vielleicht sogar das Repräsentantenhaus neu zu gewinnen. Denn die Senatoren, deren Wahl unsicher ist, hatten Angst, dass Biden sie runterzieht. Nun hat sie Biden aus dieser Negativspirale befreit, das ist eine gute Ausgangslage.
Wie geht es jetzt weiter, Biden selbst hat schon seine Vizepräsidentin Kamala Harris ins Rennen gebracht?
Und ich glaube, dass Kamala Harris auch wirklich nominiert wird. Vor allem jetzt, wo die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, noch einmal klargemacht hat, dass sie nicht kandidieren wird. Damit hat sich der größte Joker selbst aus dem Rennen genommen. Deshalb werden sich nun alle hinter Harris stellen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Demokraten in diesem letzten Monat vor der offiziellen Nominierung noch etwas ganz Neues aufziehen.
Aber sind die USA denn wirklich bereit für eine Präsidentin Kamala Harris?
Jede Person bringt Vor- und Nachteile mit sich. Harris kann Minderheiten mobilisieren, dafür hat sie Schwierigkeiten bei eher konservativen Kreisen. Wichtig ist deshalb, wen sie als Vize wählt. Ich finde, dass sie mit Josh Shapiro, dem Gouverneur von Pennsylvania, gut beraten wäre. Er kommt aus dem Gebiet, das die Demokraten unbedingt gewinnen müssen. Außerdem ist er ein weißer Mann, der in seinem Heimatstaat sogar für Republikaner wählbar ist. Er kann die weißen Arbeiter abholen, was Harris nicht kann, weil vielen von ihnen eine schwarze Frau zu progressiv ist.
Viele Leute stören sich auch an ihrem fehlenden Charisma …
Sie ist nicht mehr so schlecht wie vor vier Jahren. Sie hat "on the job" gelernt, was es bedeutet, im Weißen Haus zu arbeiten. Der Aufschwung wird auch ihren Auftritten und ihrem Selbstbewusstsein guttun. Unter Biden durfte sie ja auch nie mehr, als die zweite Geige zu spielen. Die Rolle prägt den Auftritt und so wird sie – neu als Nummer eins – auch eine stärkere persönliche Präsenz zeigen. So kann sie auch überraschen. Aus Sicht der Demokraten würde ich mich schnell auf Harris einigen und dann den Wahlkampf in die Breite tragen.
Spielen da die anderen gehandelten Nachfolger mit?
Wie erwähnt, hat sich Gretchen Whitmer selbst aus dem Rennen genommen. Dann bliebe noch der Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom. Aber das macht meiner Meinung nach keinen Sinn. Die Konstellation ist nicht günstig. Die Demokraten können jetzt lediglich dafür sorgen, dass sie Kamala Harris medienwirksam vorstellen und ihr das Ticket nicht einfach so schenken. Sie haben jetzt die Möglichkeit, die Nachrichten tagelang zu beherrschen und zu zeigen, wer sie sind und was für Ideen sie haben. Außerdem ist damit auch erst einmal Trump weg von der vordersten Medienfront. Das Momentum ist sehr günstig für die Demokraten. Und Momentum ist etwas vom Wichtigsten in der Politik.