Experten-Meinung
"Joe Biden leidet wirklich unter Realitätsverlust"
Der Druck auf US-Präsident Joe Biden wächst, aus dem Präsidentschaftsrennen auszusteigen. Corona könnte ihm den Rest geben, sagt ein US-Wahl-Experte.
Die Diskussionen über einen Rückzug Joe Bidens aus dem Rennen um die US-Präsidentschaft nehmen kein Ende. Jetzt haben Schwergewichte der Demokraten die geplante Schnellnomination Bidens vor dem Nominierungsparteitag Mitte August abgebrochen. Biden rede sich die Misere schön, sagt USA-Wahlkampfexperte Guido Weber im Interview. Dass der 81-Jährige nun auch noch erkrankt sei, sei aber nicht nur schlecht. Die Entscheidung, wie es weiter geht, werde in den nächsten Tagen fallen müssen.
Jetzt auch noch eine Corona-Infektion! Die Sterne meinen es nicht gut mit Joe Biden. Ist nun jede demokratische Hoffnung gestorben, Herr Weber?
Die Sterne stehen wirklich nicht gut für Biden. Doch immerhin: Man kann sich damit trösten, dass die Krankheit die Einsicht befördern könnte, sich nun wirklich zurückzuziehen. Wir haben in den letzten 20 Tagen eine ganz spezielle Kombination von Ereignissen gesehen – und möglicherweise brauchte es diese Erkrankung, um die Diskussion um eine Biden-Alternative nun ernsthaft zu führen. Hinter den Kulissen läuft ja bereits einiges.
Was meinen Sie?
Kleine Ereignisse können Großes in Bewegung setzen. Und so einen Moment sehen wir jetzt. So haben die Demokraten die geplante Schnellnomination abgebrochen, bei der Biden schon vor dem Nominierungsparteitag Mitte August als Kandidat hätte durchgedrückt werden sollen. Dahinter stecken der Senats-Mehrheitsführer Chuck Schumer und Hakeem Jeffries, der Fraktionschef des Repräsentantenhauses. Die beiden haben entscheidend Druck ausgeübt, dass das Vorhaben in letzter Minute aufgegeben wurde – wobei sie wohl einfach den Druck weitergaben, den sie selbst aus ihrer Fraktion zu spüren kriegten.
Für Trump läuft dagegen alles ausgezeichnet. Gibt es noch irgendein Hindernis, das die Erfolgswelle bremsen könnte, auf der er reitet?
Nicht wirklich. Das Momentum ist nach dem Attentat erst recht auf seiner Seite. So sieht es derzeit nicht danach aus, dass die Erfolgswelle bis zur Wahl im November brechen könnte. Dann wiederum: Es kann noch viel Unvorhergesehenes passieren. Das haben uns die letzten Tage ja eindrücklich gezeigt.
In einem Interview hatte Biden erklärt, dass er sich unter bestimmten Voraussetzungen zurückziehen werde: Krankheit, Umfragen und Geld. Jetzt treffen eigentlich alle drei Punkte zu.
Nicht in Bidens Wahrnehmung. In seinen Augen fließt das Geld in seine Kampagne weiter – wenngleich es nur noch von Kleinspendern kommt. Denn die Mega Donors haben sich komplett zurückgezogen, sie geben Biden keinen Cent mehr, das wurde Mittwochabend bestätigt. Auch die Umfragen liest er irgendwie anders – ein weiteres Indiz dafür, dass Biden wirklich unter einem Realitätsverlust leidet und sich vieles schönredet. Tatsächlich aber sprechen sich 57 Prozent der Demokraten für einen anderen Kandidaten aus. Und das wird noch weiter ansteigen. Denn Bidens Verhalten wird zunehmend als starrsinnig wahrgenommen und gleichzeitig wächst unter den Demokraten die Panik wegen Trumps Stärke – die Biden nur noch schwächer erscheinen lässt.
Sollte Biden sich aus dem Rennen nehmen – was wird am ehesten den Ausschlag geben?
Die Schwergewichte unter den Demokraten, also Leute wie Schumer und Jeffries. Sie können Biden nicht mehr länger mit Samthandschuhen anfassen und müssen ihn überzeugen, dass er das Zepter als Staatsmann und nicht unter Zwang weitergeben soll. Das würde einen ganz miesen Eindruck machen. Sollte das nicht funktionieren, müssen sie die Maßnahmen eskalieren lassen und sich öffentlich dafür aussprechen. Immerhin repräsentieren diese Partei-Schwergewichte die große Mehrheit der Demokraten in den beiden Kammern.
Nach TV-Blamage – sechs Kandidaten als Biden-Ersatz
Wann muss die Entscheidung spätestens fallen?
Intern in den nächsten Tagen. Denn in einem Monat beim Parteikonvent der Demokraten ist es zu spät. Eine Übergabe muss vorbereitet und die Krone weitergereicht werden. In den hektischen Konventnächten, wo alles drunter und drüber geht, sind die Voraussetzungen dafür schlechter und unkontrollierbarer.