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Tropenkrankheit wütete früher auch in Europa

Nicht der Fund eines Massengrabs in Europa war überraschend, sondern die Entdeckung eines Erregers, den man heute nur aus den Tropen kennt.

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    In einem mittelalterlichen Massengrab im litauischen Vilnius haben Forscher eine erstaunliche Entdeckung gemacht.
    In einem mittelalterlichen Massengrab im litauischen Vilnius haben Forscher eine erstaunliche Entdeckung gemacht.
    20 Minuten, Scientific Reports: Griffin et al. 2020/Justina Kozakaitė/Hans Sell

    Die Frambösie gilt heutzutage als reine Tropenkrankheit. Doch offenbar gab es die Erkrankung, die eng mit der Syphilis verwandt ist, früher auch auf dem europäischen Kontinent. Das berichten Forscher um Kirsten Bos vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte (MPI) in Jena im Fachjournal "Scientific Reports". 

    Womöglich habe die Frambösie zu einer Epidemie des 15. und 16. Jahrhunderts beigetragen, die bisher als Syphilis interpretiert worden sei.

    Was ist Frambösie?

    Die Bezeichnung Frambösie oder Framboesia tropica geht auf das französische Wort "framboise" für Himbeere zurück und deutet auf die himbeerfarbenen, quaddeligen Hautwucherungen hin, die im Verlauf der Erkrankung auftreten. Im späten Stadium kann die Infektion Knochenveränderungen auslösen, die zu schweren Gesichts- und Extremitätenentstellungen führen. Heute kommt die Krankheit nur noch in den Tropen vor. Sie wird hauptsächlich über Hautkontakt übertragen.

    Nachdem die Erkrankung nach einer weltweiten Impfkampagne schon beinahe als ausgerottet galt, breitet die Frambösie sich seit den 1970er-Jahren wieder aus. Wissenschaftler schätzen, dass derzeit weltweit 89 Millionen Menschen in Endemie-Gebieten leben.

    Pest oder ähnlich schwere Infektionskrankheit

    Den überraschenden Fund machten die Wissenschaftler in einem mittelalterlichen Massengrab im litauischen Vilnius, das in den Jahren 2006 und 2007 entdeckt wurde. "Historische Informationen zu diesem Grab gibt es keine, doch die Art der Bestattung, zusätzlich mit dem Ort außerhalb der damaligen Stadtgrenzen, deuteten auf die Pest oder eine ähnlich schwere Infektionskrankheit hin", zitiert das MPI Rimantas Jankauskas, von der Universität Vilnius.

    Um sicherzugehen, beauftragten er und seine Kollegen Bos mit DNA-Analysen. Bei diesen stieß das deutsche Team – wie erwartet – bei mehreren Toten auf genetische Spuren des Pesterregers Yersinia pestis. Doch das war noch nicht alles.

    Neu entwickelte Technologien, neue Erkenntnisse

    Denn die Wissenschaftler gingen noch einen Schritt weiter, wie Bos Kollegin Karen Giffin sagt: "Wir wollten prüfen, ob die von uns neu entwickelten Technologien zur molekularen Erkennung von Pathogenen, es uns ermöglichen, mehr über den Gesundheitszustand dieser Menschen zu erfahren." Anders als bei früheren Ansätzen weiß man dabei nicht ungefähr, wonach man sucht, sondern geht ohne Vorannahme ans Werk.

    Auf diese Weise wurden die Forscher tatsächlich noch einmal fündig. So wies eine der vier untersuchten Pesttoten – eine junge Frau – DNA-Spuren von Treponema pallidum pertenue nach, einem Bakterium, das eng mit dem Erreger der Syphilis, Treponema pallidum, verwandt ist und die Erkrankung Frambösie auslöst. "Es war beeindruckend, die Spuren einer solchen Krankheit in einem historischen Skelett vorzufinden, da deren molekulare Erhaltung in historischen Knochen als problematisch gilt", so Bos.

    Ursprung der Syphilis

    Die Frambösie ist nur schwer von der Syphilis und weiteren Treponematosen zu unterscheiden. Ihre Entdeckung sei deshalb für die Interpretation einer vermeintlichen Syphilis-Epidemie im späten Mittelalter bedeutsam, berichten die Wissenschaftler.

    Denn der vorherrschenden Meinung zufolge trat Syphilis in Europa erstmals 1495 auf, als die Truppen des französischen Königs Karl VIII. Neapel belagerten. Sie verbreitete sich zunächst unter den Soldaten und später in weiten Teilen Europas. Da dieser Ausbruch nur kurz nach der Rückkehr von Kolumbus aus der Neuen Welt auftrat, nehmen viele Forscher an, sie sei von dort nach Europa gelangt.

    Andere vermuten, dass die Syphilis dort schon lange zuvor verbreitet war oder dass sie im 15. Jahrhundert über Handelsbeziehungen aus Westafrika eingeschleppt wurde.

    War Syphilis-Epidemie gar keine?

    Die Diagnose der Frambösie bei einer Frau aus dem mittelalterlichen Europa lasse nun eine weitere Möglichkeit zu. "Aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu Syphilis und des Auftretens zu einer ähnlichen Zeit ist es möglich, dass die Frambösie zu dem bekannten Ausbruch im 15. und 16. Jahrhundert beitrug, den wir normalerweise auf Syphilis zurückführen", erklärt Bos die Bedeutung der Entdeckung.

    Das Rätsel um den Ursprung von Syphilis bleibe weiterhin offen, so die Forscherin. Der Fund mache aber deutlich, dass die "die Ökologie der Krankheiten im mittelalterlichen Europa" deutlich komplexer sei, als man bisher gedacht habe.