Spiele-Test
"The Thaumaturge" ist ein dämonisch gutes Rollenspiel
Das Rollenspiel "The Thaumaturge" ist ein Geheimtipp für Genre-Fans. Vor allem Optik und Handlung sind so unverbraucht wie fantastisch.
Abseits von fremden Fantasy-Welten und apokalyptischen Szenarien erzählt "The Thaumaturge" für PC eine feine Gruselgeschichte, die sich im Verlauf des Rollenspiels immer bedrohlicher entfaltet. Spieler landen im zuletzt verschobenen und nun erscheinenden Werk der 11 bit studios und des Entwicklers Fool's Theory im Warschau des frühen 20. Jahrhunderts. Dort prallen nicht nur viele Kulturen aufeinander, auch erhebt sich eine Rebellion gegen die Besatzung des russischen Zarenreichs. So multikulturell die Stadt ist, so unterschiedlich ausgeprägt sind auch ihre Bezirke – von noblen Prachtstraßen bis zu blutbefleckten Gassen.
Unser Protagonist Wiktor Szulski ist aber kein normaler Bürger, sondern ein "Thaumaturg", wie seine Vorfahren auch. Die Gabe ist Fluch und Segen zugleich – mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet jagt er Salutoren, dämonische Wesen, die ihre Kraft aus den menschlichen Sünden ziehen und, einmal kräftig genug geworden, die Bürger auch manipulieren können. Einerseits kann Wiktor diese Dämonen bändigen und für die eigenen Zwecke nutzen, andererseits muss er dazu sündigen und erbarmungslos vorgehen. Das zeigt sich auch schnell, denn schon vom Start weg ist Wiktor vom Dämonen des Stolzes besessen, der sich von dieser Sünde nährt.
Starke Handlung und einige Kritikpunkte in den Details
Der Dämon namens Upyr zeigt auch von Beginn weg, was "The Thaumaturge" so besonders macht: Wer seine Mitbürger wie Dreck behandelt, dem hilft der Dämon stark in Kämpfen und bei der Suche nach Schätzen aus, andererseits bringt man aber die Stadt gegen sich auf, die man eigentlich beschützen will. Dies ist aber nur eine von Dutzenden dramatischen Entscheidungen, die man im Verlauf des Rollenspiels treffen darf und muss – und jede kann das Gameplay und die Storyentwicklung dramatisch verändern. Und dabei ging anfangs eigentlich alles nur darum, den Tod von Wiktors Vater aufzuklären und sein Vermächtnis finden.
Grafisch sieht "The Thaumaturge" unfassbar gut aus und die Stadt ist einer der schönsten Schauplätze, die man in einem Game je gesehen hat. Wie in vielen Belangen gibt es beim Game jede Menge "aber". Optisch ist dieses zu finden, wenn es um die Kämpfe und Bewegungen der Figuren geht, die zwar schön detailliert aussehen, sich aber steif wie Holzpuppen von Ort zu Ort schleppen. Erzählerisch wiederum fesselt die Hauptgeschichte ungemein, viele absolut flache Dialoge machen aber gerne die düstere Stimmung zunichte oder langweilen einfach nur. Und auch spielerisch ist die Abwechslung zwar groß, nur langsam kommt man aber inhaltlich voran.
"The Thaumaturge" im Test – ein dämonisch gutes Rollenspiel
Emotionslose Dialogsequenzen nehmen viel an Qualität
Keine Sorge, "The Thaumaturge" ist trotzdem auf der besseren Seite der Rollenspiele und gefällt sicherlich auch Fans, die mit dem Genre nicht so viel anfangen können – die vielen kleinen Kritikpunkte machen allerdings den Unterschied zwischen gut und großartig aus. Dabei gibt es so viel zu loben am Game. Aus einer Schnitzeljagd über einen Warschauer Markt kann plötzlich ein dämonischer Hinterhalt werden, aus guten Absichten eines zurückhaltenden Verbündeten ein fieser Plan, die Metropole ins Dunkel zu stürzen. "The Thaumaturge" sendet uns auf abwechslungsreiche Haupt- und Nebenmissionen, die einfach große Klasse sind.
Schade, dass dabei echte Emotionen nur sehr spät im Spiel aufkommen wollen. Selbst Gespräche mit einem tieftraurigen Hintergrund werden durch die animierten Dialog-Sequenzen fast irrwitzig lächerlich, weil auf starre Gesichtsausdrücke ruckelnde Bewegungen und so gar nicht zum Gespräch passende Tonfälle treffen. Damit lässt "The Thaumaturge" sehr viel an Qualität liegen. Gesprochen wird übrigens Englisch, neben den deutschen Dialog-Untertiteln gibt es auch noch jede Menge Lesestoff in Form von Schriftstücken in der Spielwelt. Auch alles davon hat einen guten Kern, wird aber von jeder Menge unnötigen Ausschweifungen begleitet.
Erkundungs- und Kampf-Mechaniken sind wiederum klasse
Doch genug Gejammer über hölzerne Animationen und stimmungs-killende Dialoge. Was "The Thaumaturge" wiederum gut kann, sind die Erkundungs- und Kampf-Mechaniken. An den verschiedenen Schauplätzen dürfen wir im Stil eines Sherlock Holmes nach Hinweisen suchen und diese zu Schlussfolgerungen verketten. Wirklich knackig sind die Rätsel nicht, sie machen aber Laune. In den Gesprächen mit den NPCs ergeben sich wiederum Möglichkeiten, entweder freundlich oder arrogant mit den Gesprächspartnern umzugehen, wobei dies nicht nur den Dämonen-Begleiter nährt oder aushungert, sondern auch jeweils andere Dialoge freischaltet.
Mit absolvierten Aufträgen und bestandenen Kämpfen darf man zudem vier Charakter-Kategorien aufleveln und in bestimmten Missionen auch neue Salutoren zähmen und nutzen – die sich ebenfalls aufleveln lassen. Wem das alles zu kompliziert klingt, dem sei gesagt: In der Praxis werden sich auch Anfänger wohlfühlen, denn vieles im Spiel wie das Ergattern von Erfahrungspunkten läuft automatisch ab oder ist wie das Absuchen von Umgebungen mit einem oder wenigen Mausklicks erledigt. Im Umkehrschluss könnten Rollenspiel-Experten unterfordert bleiben, denn Schauplätze sind ebenso schnell abgegrast wie Skills freigeschaltet.
"The Thaumaturge" ist ein dämonisch gutes Rollenspiel
Zumindest wählbare Schwierigkeitsgrade gibt es, die die Schlachten beeinflussen. Bei Kämpfen wechselt das Spiel schließlich aus der detaillierten und zoombaren Iso-Ansicht in eine Art Third-Person-Perspektive, wobei das Geschehen rundenbasiert abläuft. Die Kämpfer erfordern Grips und taktisches Denken, denn die Feinde mit ihren jeweiligen Schwächen und Stärken müssen immer in einer Kombi-Aktion aus Spielerfigur und seinem verwendeten Salutor gekontert werden. Sich durch sie Salutoren mit ihren jeweiligen Fähigkeiten zu probieren, macht immens Spaß. Die Dämonen schaltet man in anspruchsvollen Bosskämpfen frei, ein Highlight.
"The Thaumaturge" macht sehr vieles richtig, auch wenn viel an den Details und vor allem den Dialogen und Animationen kritisiert werden kann. Eingefleischte Rollenspiel-Fans werden sich über knackige Kämpfe, ein unverbrauchtes Setting und eine spannende Geschichte freuen, die technische und spielerische Finesse eines "Final Fantasy" oder "Persona" erreicht das Game hingegen nicht. Schade, denn "The Thaumaturge" ist ein dämonisch gutes Rollenspiel, das vielleicht noch etwas mehr Zeit gebraucht hätte, um vollends zu überzeugen. Streckenweise lässt das Werk aber seine Genialität durchblitzen – und dann ist es einfach nur fantastisch.