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Tempo 100 – Klima-Kleberin liefert sich Schlagabtausch
Letzte Generation gegen ÖAMTC: In der ZIB2 kam es Donnerstagnacht zu einem besonderen Duell rund um die Tempo-100-Debatte.
Seit nicht ganz einem halben Jahrhundert gibt es eine gesetzliche Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Österreichs Autobahnen. Die Letzte Generation fordert neben einem Verbot von neuen Erdgasbohrungen auch eine Reduzierung auf Tempo 100 als plakative und durchaus symbolische Maßnahme gegen den Klimawandel.
In den Niederlanden wurde das tagsüber mit Fokus einer Stickstoff-Reduzierung bereits umgesetzt, die Bilanz dazu ist aber noch nicht eindeutig. Bert Van Wee, Verkehrsexperte an der TU Delft, untersucht die Auswirkungen: "Es hat neben dem Stickstoff viele anderen Vorteile, hauptsächlich, weil es sicherer ist, langsamer zu fahren. Es spart aber auch CO2-Emissionen und Treibstoff. Die Auswirkung auf die Umwelt ist aber sehr gering", so der Forscher in einem Nachrichtenbeitrag der ORF-ZIB2 Donnerstagnacht.
Gleichzeitig merkte er an, dass die Auswertung schwer sei, da der Beginn von Tempo 100 in den Niederlanden mit der Pandemie zusammenfiel. Völlig klar ist laut Van Wee aber eines: "Die Zeit, die wir Autofahren ist bemerkenswert konstant über die Jahre. Geht es schneller, fahren wir weiter, etwa über das Wochenende nach Österreich. Hauptsächlich spart so ein Tempolimit Sprit und CO2."
Sind die Niederlande damit ein Beispiel für Österreich? Darüber diskutierten im Anschluss im Studio Anna Freund von der Letzten Generation und Bernhard Wiesinger vom ÖAMTC.
Der Vertreter des Verkehrsclubs sah gleich zu Beginn einen Äpfel-Birnen-Vergleich. In den Niederlanden würde eine fast doppelt so große Bevölkerung auf der Hälfte der Fläche Österreichs leben. Dadurch wären Ballungszentren sehr viel näher beisammen. Hierzulande sei ein höheres Tempo zwischen den Städten deswegen durchaus angesagt.
"Es geht überhaupt nicht darum, ob wir ein paar km/h mehr oder weniger fahren. Es geht um die Klimakatastrophe", legte Anna Freund von der anderen Seite von ORF-Moderator Martin Thür los. Tempo 100 sei laut Umweltbundesamt eine der effektivsten Maßnahme zum Klimaschutz im Verkehr und deswegen eine ihrer Forderungen.
Wiesinger relativierte ein bisschen polemisch: "Durch Tempo 100 auf österreichischen Autobahnen reduziert man den weltweiten CO2-Ausstoß gerade Mal um ein Tausendstel Prozent. Das heißt, das ist nicht nachweisbar". Er argumentierte hypothetisch weiter, dass die Politik es sich mit der Einführung einer so extrem unpopulären Maßnahme mit der österreichischen Bevölkerung verscherzen könne, was dann vielleicht in noch größere Ablehnung bei anderen, wirksameren Maßnahmen resultieren würde.
Tempo 100: Das sagt das Umweltbundesamt
Tempolimits wirken sich vor allem auf Landstraßen und Autobahnen aus. Der Verbrauch und damit der CO2 Ausstoß wie auch die Emissionen der Schadstoffe reduzieren sich mit abnehmender Geschwindigkeit deutlich. Die Treibhausgasemissionen lassen sich bei Tempo 100 im Vergleich zu Tempo 130 um knapp ein Viertel reduzieren.
Quelle: Umweltbundesamt
Die Sprecherin der Letzten Generation kann diesen Gedankengängen nicht viel abgewinnen: "Es wäre schön, wenn es so einfach wäre". Mit Tempo 100 sei eine CO2-Reduktion mit wenig Aufwand machbar, doch es sei auch klar, dass es ein ganzes Bündel an Maßnahmen brauche.
Beim Klimaschutz als übergeordnetes Thema an sich, sieht Freund die Mehrheit der Bevölkerung wiederum an ihrer Seite. Und konkret beim Verkehr: "Wenn wir über Mehrheiten sprechen, haben wir in der Vergangenheit auch in Österreich gute Beispiele, dass unpopuläre Maßnahmen nach der Einführung Akzeptanz erreicht haben", sagt sie mit Verweis auf die erst relativ späte Verordnung von Gurtpflicht und Alkolimit am Steuer.
"Wollen Lösungen, die funktionieren"
Wiesinger will dafür lieber auf die Beimengung alternativer, nicht fossiler Kraftstoffe zum Sprit setzen und damit dem Beispiel Schwedens folgen. Das skandinavische Land habe es als einziges geschafft, den CO2-Ausstoß des Verkehrs zu reduzieren – laut dem Autofahrer-Vertreter eben durch Zusatzstoffe aus Altfett oder Algen.
"Es geht nicht nur um den Klimaschutz, wir müssen auch Mobilität für die Menschen erhalten", sagt er: "Wir wollen Lösungen haben, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren, aber solche, die funktionieren."
Seine Kontrahentin in dieser Debatte erteilte in ihrer Antwort zumindest den sogenannten E-Fuels eine klare Absage. Diese seien "wie der Champagner der Energiewende. Wir werden so viel davon auch nicht haben".
"Sonst würde ich heute hier nicht sitzen"
Die Sprecherin der Letzten Generation mahnte jedoch gleichzeitig, dass jede einzelne Einsparung wichtig sei: "Wir werden in der Zukunft um jedes Prozent kämpfen. Unterm Strich können wir es uns nicht leisten, das nicht umzusetzen. Wenn wir das jetzt nicht machen, entgleitet uns diese Situation."
Auch für die abschließende Frage von Anchor Martin Thür nach der Wirksamkeit ihrer extrem umstrittenen Protestform fand Freund eine klare und wohl für alle ernüchternde Antwort: "Über unsere Protestform zu sprechen, da brauchen wir noch eine ganze Sendung. Fakt ist, es funktioniert, denn sonst würde ich heute hier nicht sitzen. Leider bekommt man die Aufmerksamkeit nicht, wenn man den fossilen Alltag nicht stört."