Ukraine

Putin-Eskalation: Ab jetzt "Krieg mit NATO und Westen"

Putin verordnet Teilmobilmachung: 200.000 Soldaten waren nicht genug, bald soll eine halbe Million Russen im Kampfeinsatz an der Ukraine-Front stehen.

Roman Palman
Wladimir Putin (m.) neben Verteidigungsminister Sergei Schoigu (l.) und Generalsstabschef Waleri Gerassimow.
Wladimir Putin (m.) neben Verteidigungsminister Sergei Schoigu (l.) und Generalsstabschef Waleri Gerassimow.
MIKHAIL KLIMENTYEV / AFP / picturedesk.com

Eigentlich wollte Wladimir Putin schon Dienstagabend per TV einen Appell an das russische Volk richten. Nach der überraschenden Absage wurde daraus am Mittwoch eine Ankündigung, die international wie eine Bombe einschlug: Putin rief die sofortige Teilmobilmachung seiner Streitkräfte aus, will 300.000 Reservisten einziehen und noch vor dem Winter in den Ukraine-Krieg schicken.

Als Legitimation dieser massiven Eskalationsstufe schob der Kreml-Chef die angekündigten Scheinreferenden in den besetzten Gebieten der Ukraine vor. Russland sei von den Separatisten um Unterstützung beim Schutz der Abstimmung gebeten worden.

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    Russlands Präsident Wladimir Putin bei der Ankündigung der Teilmobilisierung der russischen Streitkräfte am 21. September 2022.
    Russlands Präsident Wladimir Putin bei der Ankündigung der Teilmobilisierung der russischen Streitkräfte am 21. September 2022.
    Kreml via REUTERS

    Wegen einer drohenden Gegenoffensive durch die ukrainische Armee sei dieser "präventive Schritt" notwendig, so Putin in seiner knapp einminütigen Ansage. In seiner Propaganda-Darstellung werde Russland selbst durch die Ukraine und den Westen angegriffen und verteidige sich nur – das allerdings ziemlich offensiv...

    Putins Auftritt kam aber nicht ohne Drohungen in Richtung USA und EU aus: "Wir werden all unsere Ressourcen einsetzen, um unser Volk zu verteidigen. Sollte unsere territoriale Integrität in Gefahr geraten, werden wir alle Mittel, die uns zur Verfügung stehen, nutzen, um Russland und seine Bürger zu verteidigen. Das ist kein Bluff."

    "Diejenigen, die uns mit Atomwaffen erpressen, sollen wissen, dass sich der Wind auch in ihre Richtung drehen kann", wütete der russische Präsident vor laufender Kamera ausgerechnet jenes Senders, der mit Vorliebe Atomschlag-Fantasien gegen westliche Mächte verbreitet und mit eindrücklichen Grafiken und Bildmaterial untermalt.

    Schoigu: Krieg mit dem Westen

    Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu durfte schließlich auch selbst im Staats-TV "Rossiya 24" kräftige verbale Rundumschläge austeilen: "Die Zeit ist gekommen, in der wir uns im Krieg mit der NATO und dem kollektiven Westen befinden", so der enge Putin-Vertraute laut dem russischen Nachrichtenportal "Mash".

    Er umriss dabei auch die Details der angekündigten Teilmobilmachung der 300.000 Reservisten: "Zunächst werden diejenigen gesucht, die gedient haben, eine militärische Spezialität und Kampferfahrung haben. Von Anrufen von Schülern und Studenten ist keine Rede."

    Wehrpflichtige seien von der Mobilisierung nicht betroffen, sie würden ihren Wehrdienst weiterhin nur innerhalb der Grenzen der Russischen Föderation ableisten.

    Das i-Tüpfelchen für die russischen Reservisten, die vielleicht nicht ganz auf Regierungslinie sind: Erst am Dienstag hatte die Duma härtere Strafen bei Vergehen russischer Soldaten wie Fahnenflucht und freiwillige Kriegsgefangenschaft beschlossen. Mehrjährige Haft droht. Auch Ungehorsam und das Beschädigen von Armeeausrüstung werden künftig schärfer bestraft. Beobachter sahen dies bereits als das erste Anzeichen einer baldigen Mobilmachung, die jetzt Realität geworden ist.

    Kreml: Angeblich nur 6.000 Soldaten gefallen

    Laut Schoigu habe die ukrainische Armee bereits 61.000 Soldaten seit Kriegsbeginn verloren. Er spottet, dass deshalb die Führung in Kiew bereits die vierte Mobilisierungswelle verordnet habe. Auch 2.000 ausländische Söldner "unter dem Kommando des Souveräns" Wolodimir Selenski seien von russischen Truppen bereits getötet worden.

    Die eigenen Verluste, über die seit Monaten nicht mehr offiziell berichtet wurde, beziffert der Putin-General auf exakt 5.937 Soldaten. Das wäre nur ein kleiner Teil der rund 200.000 Mann, die für die Invasion Ende Februar in die Ukraine geschickt worden waren.

    90 Prozent der Verwundeten seien überdies wieder zusammengeflickt worden und würden wieder bzw. weiterhin im Militärdienst versehen, behauptete Schoigu.

    Bald halbe Million Russen im Ukraine-Krieg

    Die Ukrainer hingegen sprechen von bisher rund 55.000 russischen Kämpfern, darunter auch Separatisten, die während der Kampfhandlungen getötet worden sind. Zudem habe man mehr als 2.200 Panzer und mehrere Tausend weitere gepanzerte Fahrzeuge und Artillerie-Geschütze zerstört.

    Diese Zahlen sind natürlich auch durch die eigene Propaganda geprägt, unabhängig geprüft werden können diese ebenso nicht. Das britische Verteidigungsministerium schätzt die russischen Verluste derweil auf rund 25.000 Menschen.

    Die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen. Dennoch wirft der Einzug von 300.000 Reservisten die Frage auf: Wenn die eigenen Verluste wie nach der offiziellen Darstellung des Kremls wirklich so verschwindend gering sind, wieso müssen die Kampfeinheiten nun so massiv aufgestockt werden? Immerhin hätte Putin damit dann schon rund eine halbe Million Russen in den Kriegseinsatz geschickt...

    Massive Eskalation droht

    Noch kurz vor der Ankündigung Putins am Mittwochvormittag hatte ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz über die Möglichkeiten einer russischen Generalmobilmachung gesprochen und diese als massive Eskalationsstufe beschrieben:

    Wenn es auch offiziell zu einem Kriegszustand zwischen Russland und der Ukraine kommt, dann könnte Russland etwas tun, was es bisher nur angedeutet hat: das gesamte Land ins Mittelalter zurückbomben", so der ORF-Korrespondent. Putin könnte die gesamte ukrainische Infrastruktur – Kraftwerke, Eisenbahnen, und und und – mit Raketen dem Erdboden gleich machen. "Das kann alles noch viel ärger werden!"

    ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz bei einem Interview in der ZIB 13:00 am 20. September 2022.
    ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz bei einem Interview in der ZIB 13:00 am 20. September 2022.
    Screenshot ORF

    Doch auch das wäre ein Schritt, den der Kreml keinesfalls leichtfertig setzen dürfte. Denn: "Auf der anderen Seite kann auch die Ukraine stärker angreifen." Die strategisch äußerst wichtige Krim-Brücke – ein absolutes Prestigebauwerk Putins – sei bisher nicht angegriffen worden. "Da gibt es leider einen Rattenschwanz von Eskalationsmöglichkeiten am Schlachtfeld und Kriegsschauplatz."

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