Science
Mehr Nutzen oder Risiko? Impfstudie sorgt für Aufregung
Eine Studie soll festgestellt haben, dass die Nutzen-Risiko-Bewertung bei Corona-Impfungen bisher überschätzt wurde. Sie wurde zurückgezogen.
"Für drei durch die Impfung verhinderte Todesfälle müssen wir zwei durch die Impfung verursachte Todesfälle in Kauf nehmen." So heißt es in dem höchst umstritten Artikel "The Safety of COVID-19 Vaccinations—We Should Rethink the Policy", der zuletzt in impfkritischen Kreisen viral ging. Veröffentlicht wurde das Werk in de Zeitschrift "Vaccines", die den Artikel mittlerweile aufgrund "schwerwiegender Bedenken" zurückgezogen hat.
Der Grund: Einige Daten und Anführungen darin sind schlichtweg falsch. Das sieht auch der österreichische Impfexperte und Infektiologe Herwig Kollaritsch so. "Das ist unseriöse Wissenschaft. Hier hat man sich auf falsche Zahlen bezogen und es sind Äpfel mit Birnen verglichen worden."
„"Wenn Sie in einer Population impfen - nämlich vor allem zu Beginn der Aktion - bei denen das natürliche Lebenszeitende ohnedies sehr nahe ist, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn ein paar Leute sterben."“
Keine Differenz zur natürlichen Sterberate
Kritisiert wurde vor allem die verwendete Zahl vermeintlicher Impftoter. Die Studienautoren greifen dabei auf die Datenbank der European Medicines Agency (EMA) zurück, bei der Nebenwirkungen nach Impfungen dokumentiert werden können. Allerdings stehen die dort festgehaltenen Todesfälle nur in zeitlicher Nähe zu einer Coronavirus-Impfung und keinesfalls automatisch in einem kausalen Zusammenhang. "Das ist der allergrößte Fehler. Wenn Sie in einer Population impfen - nämlich vor allem zu Beginn der Aktion - bei denen das natürliche Lebenszeitende ohnedies sehr nahe ist, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn ein paar Leute sterben", merkt Kollaritsch an dieser Stelle an.
„"Ja, diese Leute sind gestorben, aber sie sind nicht wegen der Impfung, sondern mit der Impfung gestorben."“
Die Wahrscheinlichkeit, dass ein 80-Jährige ohne Grundkrankheiten innerhalb einer Woche sein natürliches Lebenszeitende erreicht sei etwa 1 zu 450, so der Experte. "Das heißt ein 80-Jähriger stirbt mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 450 innerhalb seiner nächsten Lebenswoche. Wenn wir diese Zahl kennen und wissen wie viele 80-Jährige eine Woche nach der Impfung gestorben sind und es gibt keine Differenz zu der natürlichen Sterberate, dann können wir nur sagen: Ja, diese Leute sind gestorben, aber sie sind nicht wegen der Impfung, sondern mit der Impfung gestorben."
Falsche Zahl für Östereich
Die Autoren schränken sich außerdem auf die Daten aus den Niederlanden ein, wo die meisten Nebenwirkungen gemeldet wurden. In der Studie wird dies als der "gründlichste" Datensatz bezeichnet. Dadurch kommen sie auf vier Todesfälle pro 100.000 Einwohnern.
Für Österreich würde das bedeuten, dass bisher etwa 300 Menschen an Impfungen gestorben seien. Laut dem aktuellsten Bericht des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) wurden in Österreich aber bis Mitte Juni überhaupt nur 132 Todesfälle in zeitlicher Nähe zu einer Impfung gemeldet.
Ein Zusammenhang mit der Impfung wird hier derzeit nur bei einem Todesfall gesehen.
Bei vier konnte ein Zusammenhang mit der Impfung ausgeschlossen werden, bei 34 weiteren bestanden vermutlich todesursächliche Nebenerkrankungen, bei 20 Personen fiel die Impfung in die Inkubationszeit einer Covid-Erkrankung, in deren Rahmen sie verstarben. Bei 14 Personen blieb die Schutzwirkung aus. 59 Fälle werden noch überprüft.
Zahl der notwendigen Impfungen spricht für sich
Die Autoren versuchen auch einen Wert auszurechnen, wie viele Impfungen nötig sind, um einen Coronavirus-Todesfall zu verhindern. Dazu beziehen sie sich auf eine israelische Impfstudie, die der Coronavirus-Impfung eine hohe Effektivität bescheinigte. Daten zur Verhinderung von Todesfällen finden sich dort allerdings nur für Personen mit einer Impfung.
Demnach bräuchte es außerdem bis zu 500 geimpfte Personen, um einen Todesfall zu verhindern. "Im Vergleich zu anderen Impfung ist das sogar sehr wenig", erklärt das Mitglied des Nationalen Impfgremiums (NIG). So brauche es beispielsweise um einen Todesfall durch eine Gehirnhautentzündung zu verhindern 35.000 Impfungen.
„"Es ist eine Schande, dass eine Zeitschrift soetwas überhaupt annimmt."“
Wer steckt hinter der dubiosen Studie?
Durchgeführt wurde die Studie übrigens von Harald Walach, einem deutschen Psychologen, der an als Direktor eines mittlerweile geschlossenen Instituts an der Frankfurter Europa-Universität Viadrina arbeitete. Neben Walach ist auch noch ein Physiker von der Radioonkologie des Leopoldina Krankenhauses in Schweinfurt als Mitautor genannt sowie ein Datenwissenschaftler, der keinem wissenschaftlichen Institut zugeordnet wird.
"Wenn Sie sich die Autorenliste anschauen, da ist nicht einer dabei der etwas von Impfungen versteht, nicht einer dabei, der etwas von Epidemolgie versteht und nicht einer dabei, der etwas von Mathematik versteht. Es ist eine Schande, dass eine Zeitschrift soetwas überhaupt annimmt", ist Kollaritsch empört.