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"Spricht für IS" – Experte hat Verdacht zu Anschlag
Der Istanbul-Bombenanschlag erschüttert die Welt. Jetzt äußert sich ein Experte zu den Hintergründen und spricht über einen IS-Zusammenhang.
Die Türkei beschuldigt die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK für den Anschlag. Die PKK weist die Verantwortung aber zurück. Für den Türkei-Experten Ali Sonay von der Uni Bern ist der Zeitpunkt kein Zufall. In der Türkei sind bald Wahlen. Im Gespräch mit dem "Heute"-Partnermedium und Schweizer Online-Portal beantwortet Sonay die drängendsten Fragen zum Anschlag.
Wie beurteilen Sie die Situation?
Der Anschlag fällt in eine turbulente Zeit in der Türkei. Das Land ist in einer Wirtschaftskrise, die Inflation ist sehr hoch, Wahlen stehen an - sowohl die Präsidentschafts- als auch die Parlamentswahl im Juni nächsten Jahres. Es ist ein Anschlag, der die politische Auseinandersetzung im Land im Herzen trifft.
Ist es also kein Zufall, dass der Anschlag jetzt passierte?
Ich glaube nicht, dass es ein Zufall war. Geht man davon aus, dass die PKK hinter dem Anschlag steckt, ist es sicher ein Teil ihrer Strategie oder jener des syrischen Ablegers. Gemäß offiziellen Berichten wurde die Attentäterin ja vom syrischen Ableger der PKK in die Türkei infiltriert, mit dem Ziel, in Istanbul einen Anschlag zu verüben. Natürlich möchten die PKK und der syrische Ableger auf die Stimmung vor den Wahlen in der Türkei einwirken. Es gibt auch eine kurdische Partei, die bei den Wahlen mitmacht, die voraussichtlich auf sieben bis zehn Prozent der Stimmen kommt.
Sehr schnell machte die türkische Regierung die PKK für den Anschlag verantwortlich. Wie glaubwürdig ist das?
Es ist durchaus realistisch, dass die PKK in der Türkei wieder aktiv geworden ist. Gleichzeitig sagt die Regierung aber auch, dass es möglich ist, dass der IS hinter dem Attentat steckt.
Die PKK weist die Verantwortung von sich. Was ist davon zu halten?
Bei Anschlägen auf zivile Ziele kam es schon vor, dass die PKK eine Verantwortung zurückweist, Ableger der PKK aber die Anschläge zugaben. Das ist also durchaus möglich. Die Art und Weise des Anschlages spricht hingegen eher für den IS. Es kommt nicht häufig vor, dass die PKK derart auf die Zivilbevölkerung zielt. Häufig stehen bei der PKK das Militär oder die Polizei im Fokus.
Ist es denkbar, dass die türkische Regierung selbst die Hände im Spiel hat?
In den sozialen Medien wird immer wieder diskutiert, dass es ein Teil der Strategie der türkischen Regierung ist, Unruhe in der Gesellschaft zu stiften, um dadurch Unterstützung bei den anstehenden Wahlen zu generieren. Dafür gibt es aber keine Anzeichen.
Gibt es andere Theorien, wer hinter dem Anschlag steckt?
Aktuell gibt es keine anderen Theorien. Ein grosses Thema ist aber, dass die Terroristin, die den Anschlag verübt haben soll, syrischen Ursprungs ist. In der Bevölkerung ist die Diskussion über syrische Geflüchtete, von denen es in der Türkei sehr viele gibt, sehr aufgeheizt, teilweise mit rassistischen Untertönen. Umfragen zufolge möchte ein Grossteil der türkischen Bevölkerung, dass die Geflüchteten wieder zurückgehen.
Wird der Anschlag Erdogan schaden oder nützen?
Das hängt davon ab, in welche Richtung die Diskussion verläuft. Sollte statt der PKK stärker die syrische Herkunft der Terroristin im Fokus stehen, wird der Druck auf die Regierung höher. Es würden dann Parteien profitieren, die der Regierung vorwerfen, die syrischen Geflüchteten in die Türkei gebracht zu haben. Sollte sich die Diskussion aber eher um die PKK und das Thema Sicherheit und "Kampf gegen den Terror" durchsetzen, dann könnte die Regierung davon profitieren.
Was bedeutet der Anschlag für die Türkei?
Es wird sicher eine Reaktion des Staates geben, sei es militärisch, dass man im Nordirak oder in Nordsyrien eingreift, wo es Camps der PKK gibt. Das wird ziemlich sicher auch von der Öffentlichkeit gefordert werden. Auch die Wahlkampfstimmung wird weiter aufgeheizt und die kurdische Partei dürfte stärker unter Druck geraten. Erst vor kurzem gab es noch Treffen zwischen Vertretern der Regierungspartei AKP und der kurdischen Partei mit Hoffnungen auf neue Gespräche. Das dürfte nun ein Ende haben. Die Polarisierung nimmt also eher zu als ab.
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