Die gesellschaftliche Faszination für Schlankheit ist nicht neu. Bereits in den 90ern und 2000ern galt - geprägt durch Supermodels wie Kate Moss und Stars wie Victoria Beckham - Size Zero als Ideal. Jetzt klopft dieser Schlankheitswahn erneut an die Tür - mit einem Unterschied: Während dieses Ideal vor rund 20 Jahren über Magazincovers verbreitet wurde, geschieht dies heute subtiler durch Social Media.
Dort gibt es mittlerweile einen ganz speziellen Hashtag dafür: Unter #skinnytok junge Frauen auf TikTok und anderen Plattformen Tipps, wie man Gewicht verliert. Allerdings dreht es sich dabei nicht um gesunde Ernährung oder Fitnessmotivation – die Videos rufen dazu auf, sich mit Wasser satt zu trinken, halbe Portionen zu essen und konstant über das eigene Körperbild nachzudenken. Um skinny zu werden, brauchst du demnach vor allem eins: das Skinny-Girl-Mindset.
"Warum belohnst du dich mit einem Snack? Du bist doch kein Hund", ist nur eins der Skinnytok-Mantras auf TikTok. "Das ist eine Strategie, um das Thema auf eine andere Ebene zu heben – es nimmt der Problematik die Ernsthaftigkeit und suggeriert, dass eine Essstörung keine echte Krankheit ist", sagt Martina Papadellis, Fachberaterin der Arbeitsgemeinschaft Ess-Störungen (AES) gegenüber "20 Minuten".
Allerdings sei eine Essstörung eine psychische Erkrankung, die tödlich enden kann – vergleichbar mit einer Suchterkrankung. "Nur ist das Suchtmittel hier das Essen – sei es zu viel, zu wenig oder einseitig", so Papadellis. Die Kontrolle über Essen sei eine Form, mit etwas anderem umzugehen, das sich nicht kontrollieren ließe.
„Jetzt haben sie eine Plattform, um ihre Überzeugungen weiterzugeben.“
Was auffällt: Die erfolgreichsten Skinnytokerinnen sind meist um die 30. "In den frühen 2000ern – also in den Jahren, wo diese Frauen Teenager waren – gab es diese Gedankenwelt schon", sagt Papadellis. Laut Expertin verlaufen Essstörungen oft in Wellen – in der Pubertät, dann später wieder, wenn es um Familie oder eine Neuorientierung im Leben geht. "Jetzt haben sie eine Plattform, um ihre Überzeugungen weiterzugeben."
Social Media die alleinige Schuld zu geben, wäre aber zu einfach. "Eine derartige Krankheit entsteht durch viele Faktoren, wie Familie, Erlebnisse oder psychische Resilienz", erklärt Papadellis. "Im Zweifelsfall sind die, die solche Inhalte teilen, krank. Umso wichtiger ist es, junge Menschen darüber aufzuklären, was gesunde Ernährung und ein gesundes Körperbild wirklich bedeutet", so die Expertin. Prävention müsse übrigens schon viel früher anfangen, als vermutet: "Mein jüngster Klient war neun Jahre alt."
Zudem müsse man junge Menschen dabei unterstützen, Fiktion von Realität unterscheiden zu können. "Follower nehmen nur an einem ganz kleinen Teil des Lebens von Influencern teil – ob unter dem Shirt Shapewear ist, bleibt verborgen", so Papadellis. Nur indem man unrealistische Standards hinterfrage, lasse sich verhindern, dass Essstörungen weiter normalisiert werden.
Dabei sah es eine Weile danach aus, als ob die Akzeptanz diverser Körperbilder wächst. Die Body-Positivity-Bewegung gewann wieder an Bedeutung. Bilder von Schwangerschaftsstreifen wurden ungefiltert gepostet, Kleidermarken führten Übergrößen in ihre regulären Kollektionen ein.
Doch wieso ist das Schönheitsideal der schlanken Frau gerade jetzt so präsent? Zum einen wäre da der Hype um Abnehmspritzen. Zum anderen spielt das Comeback der Mode aus den 2000ern – inklusive ihrer ultra-dünnen, meist weißen It-Girls als Aushängeschilder – eine Rolle. Laut Analysen verschwinden Plus-Size-Models langsam wieder von den Laufstegen – ein Blick auf die vergangenen Fashion Weeks genügt, um dies zu bestätigen.