Ukraine
So schlimm träfe ein Nuklearschlag Russlands Europa
Im russischen Staatsfernsehen wurde europäischen Hauptstädten mit Atomangriffen gedroht. Waffen-Experte Marc Finaud zur Gefahr von Russen-Atomraketen.
Im russischen Staatssender Rossija 24 wurde am Wochenende offen mit atomaren Angriffen gedroht. Mit den neuen russischen Sarmat-Raketen, die von der Nato als SS-X-30 Satan 2 bezeichnet werden, seien Ziele wie Berlin, Paris oder London in weniger als vier Minuten erreichbar.
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Die SS-X-30 Satan 2 wurde von Russland am 20. April erfolgreich getestet. Laut Wladimir Putin sind damit "alle modernen Mittel der Raketenabwehr zu überwinden". Das russische Staatsfernsehen veröffentlichte auch eine Karte mit rot eingezeichneten Schadensgebieten. Ein Großteil Österreichs und der Schweiz bliebe laut dieser Karte verschont. Doch ist dem tatsächlich so? Marc Finaud, Leiter der Abteilung Waffenverbreitung am Centre for Security Policy Genf, klärt über die neueste Atomdrohung Russlands auf.
„Herr Finaud, wie gefährlich ist die Satan-2-Rakete wirklich?“
Sie ist genauso gefährlich wie die bestehenden Interkontinentalraketen aller Atommächte. Sie alle haben in ihrer Endstufe eine Hyperschallgeschwindigkeit von bis zu 24.000 km/h. Aber diese Rakete hat mit 16.000 Kilometern eine größere Reichweite. Zudem kann sie bis zu 15 nukleare Sprengköpfe oder Hyperschallgleiter transportieren, die ein Ziel erreichen können, ohne entdeckt und abgefangen zu werden.
„Was ist sonst über die Satan-2-Rakete bekannt?“
Diese Rakete soll die alte SS-18-Rakete aus dem Kalten Krieg ersetzen. Sie wurde 2018 von Putin öffentlich gemacht und als Antwort auf die US-Abwehrsysteme oder präzisionsgelenkte Langstreckenraketen vorgestellt. Sie soll jedes US-Abwehrsystem umgehen oder stören. Die Zerstörungskraft, die sie entfalten kann, ist höher als bei der früheren SS-18-Rakete, die bereits 800 Kilotonnen oder das Äquivalent von 53 Hiroshima-Bomben tragen konnte. Eine Sarmat könnte in jedem Teil der Welt bis zu 333 Hiroshima-Äquivalente abwerfen.
„Auf der veröffentlichten Karte des russischen Staatsfernsehens sind Treffer in ganz Europa zu sehen. Was würde ein solcher Angriff tatsächlich bedeuten?“
Solche Karten machen keinen Sinn, weil niemand mit Interkontinentalraketen auf solche Ziele zielen würde, sondern eher mit Kurzstreckenraketen. In jedem Fall würden diese Städte auch mit Raketen kürzerer Reichweite und Sprengköpfen mit geringerer Sprengkraft völlig zerstört und Millionen von Menschen getötet.
„Auf der Karte ist Österreich und die Schweiz grün markiert. Würde uns wirklich nichts passieren, wenn beispielsweise Berlin angegriffen würde?“
In einem globalen Atomkrieg, der im Falle einer Eskalation zwischen Russland und der Nato ausbrechen würde, könnte wahrscheinlich kein Land vor irgendeiner Form von radioaktivem Niederschlag geschützt werden. Wenn Großstädte durch Feuer zerstört werden, werden Rauch und Russ in die Atmosphäre aufsteigen und zu einem sogenannten nuklearen Winter führen, der eine Hungersnot auslösen wird.
„Was denken Sie, warum wird diese Karte im russischen Staatsfernsehen gezeigt?“
Es ist Teil einer Strategie der Terrorisierung, die mit Atomwaffen einhergeht. Aber solche expliziten Drohungen und die Verharmlosung des Einsatzes von Atomwaffen sind unverantwortlich und verschärfen das Risiko eines tatsächlichen Einsatzes.
„Würde so ein Angriff im Vornherein angekündigt werden?“
Eine nukleare Krise kann die Folge einer Eskalation in einem konventionellen Konflikt sein und lässt sich kaum vorhersehen oder verhindern. Deshalb ist es so gefährlich, Systeme in höchster Alarmbereitschaft zu haben, die innerhalb von Minuten gestartet werden können, ohne dass es eine Chance zur Überprüfung oder Verhandlung gibt. Unbeabsichtigte oder unbefugte Starts, Starts als Reaktion auf Fehlalarme oder Cyberangriffe können jederzeit und ohne Vorwarnung erfolgen.