Sektenbeobachter warnen

So manipulieren Extremisten auf Telegram Bürger-Massen

Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker arbeiten auf Telegram Hand in Hand an der Zerstörung der Demokratie. Auch Parteien mischen kräftig mit.

Newsdesk Heute
So manipulieren Extremisten auf Telegram Bürger-Massen
Wien, 4. Dezember 2021: Proteste gegen Corona-Maßnahmen und Impfpflicht mobilisierten über Massen u.a. über Telegram-Kanäle. Die gibt es immer noch und bilden den Nährboden gefährlicher Verschwörungstheorien.
Klaus Titzer / picturedesk.com

Am Höhepunkt der Pandemie gingen Tausende gegen die Regierungsmaßnahmen auf die Straße. Mobilisiert hatten sie sich vorrangig über Messenger-Apps. Diese Zeiten sind zwar vorbei, das damals entstandene digitale Ökosystem ist aber nicht verschwunden. "Das hat sich auf einem hohen Niveau eingependelt", weiß Felix Lippe von der Bundesstelle für Sektenfragen.

Doch Corona alleine als Thema ziehe in den Gruppen nicht mehr, erklärt er am Dienstag gegenüber dem "Ö1 Morgenjournal": "Man kann sich nicht mehr aufregen, man kann keinen Protest mehr organisieren, wie gegen die Covid-19-Schutzmaßnahmen. Das heißt, dass die Akteur:innen jetzt versuchen, über das Bespielen von anderen Themen relevant zu bleiben."

Aktuell im Visier des Beschusses: der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der menschliche Einfluss auf den Klimawandel und Migration und Asyl in Österreich sowie Gender und LGBTQ. Zuletzt wurden zu Corona immer mehr angebliche Impfschäden und Todesfälle durch die Impfung thematisiert.

London, 29. Mai 2021: Die Lockdown-Proteste waren auch in Großbritannien durchsetzt mit Verschwörungserzählungen eines "Great Reset" durch eine "globalistische Machtelite" mittels angeblich künstlich erzeugter Krisen.
London, 29. Mai 2021: Die Lockdown-Proteste waren auch in Großbritannien durchsetzt mit Verschwörungserzählungen eines "Great Reset" durch eine "globalistische Machtelite" mittels angeblich künstlich erzeugter Krisen.
Martyn Wheatley / Eyevine / picturedesk.com

Auch Parteien mischen kräftig mit

Felix Lippe hat mit seinem Team fast 300 Telegram-Kanäle, die in großem Maße Hass schüren und Desinformation verbreiten, alleine in Österreich beobachtet. Zwischen Jänner 2020 und September 2023 haben sie rund 1,3 Millionen Nachrichten analysiert. Ihre Ergebnisse wurden jetzt in einem Monitoring-Report veröffentlicht.

In dieser besonderen Ecke auf Telegram tummelt sich eine bunte Mischung an Akteuren. Sie reicht von Esoterik-Fans über Corona-Leugner bis zu Rechtsextremisten – teils mischen auch politische Parteien wie die Impfgegner der MFG und die FPÖ mit.

Die reichweitenstärksten Kanäle mit summiert fast 300.000 Followern gehören zum Online-Sender AUF1. Dieser, wie auch andere von der Szene angepriesene "alternativen Medien" wie "Report24" und "Info-DIREKT" seien stark parteipolitisch geprägt und einschlägigen Verschwörungstheorien-Milieus zuzurechnen.

Mit durchschnittlich mehr als einer Millionen Nachrichtenaufrufen pro Tag tragen sie maßgeblich zur Verbreitung von Verschwörungstheorien bei, warnen die Sektenbeobachter.

Besorgniserregend ist, dass es rechtsextremen und verschwörungstheoretischen Akteurinnen und Akteuren teilweise gelungen ist, die Protestbewegung für sich zu vereinnahmen und ihre Inhalte insbesondere über sogenannte 'alternative Medien' verstärkt verbreitet werden.
Philipp Pflegerl
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesstelle und Studienautor

(Schein)Kampf gegen "globalistische Machtelite"

Reale oder konstruierte Krisenphänomene würden dabei in den meisten Fällen mit dem verschwörungstheoretischen Konzept des "Great Reset", aber auch der "New World Order" oder auch mit dem QAnon-Narrativ verknüpft. Auch die Erzählung eines "Großen Austauschs" wird besonders in rechtsextremen Kanälen bespielt. Dabei wird behauptet, dass gesellschaftliche Krisen von einer "jüdischen" bzw. "globalistischen" Machtelite gezielt genutzt oder künstlich erschaffen wurden, um die "weiße" Bevölkerung zu unterdrücken oder gar zu vernichten.

Washington, 6. Jänner 2021: Unter den radikalen und gewaltbereiten Trump-Anhängern, die das US-Kapitol stürmten, glaubten viele an die "QAnon"-Erzählungen.
Washington, 6. Jänner 2021: Unter den radikalen und gewaltbereiten Trump-Anhängern, die das US-Kapitol stürmten, glaubten viele an die "QAnon"-Erzählungen.
Manuel Balce Ceneta / AP / picturedesk.com

Mit der gezielten Dämonisierung und Abwertung von ethnischen, religiösen und sexuellen Minderheiten werden Feindbilder und Sündenböcke erschaffen und für gesellschaftliche Krisen verantwortlich gemacht. Das Ergebnis ist so erschreckend wie wirksam: "Durch die Omnipräsenz dieser Erzählungen kommen Nutzerinnen und Nutzer so mit einem relativ homogenen verschwörungstheoretischen Weltbild in Kontakt, in dem es keine Widersprüche gibt, sondern alles Teil der Logik eines großen und gefährlichen Plans ist, gegen den man sich zur Wehr setzen müsse."

Auch wenn die Zahl der Aufrufe zurückgegangen ist, bleibt auf Telegram ein Netzwerk bestehen, das nach wie vor ein demokratiegefährdendes Potenzial aufweist und in dem Hass auf Minderheiten geschürt wird.
Felix Lippe
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesstelle und Studienautor

Es geht – wie immer – auch ums Geld

Demokratische Institutionen werden als bloße Hüllen und instrumentelle Werkzeuge der Unterdrückung im Dienste einer aus dem Schatten agierenden "Elite" dargestellt. Mit populistischer Widerstandsrhetorik wird nicht nur zur Teilnahme an Demonstrationen oder zur Wahl bestimmter Parteien aufgerufen. Es geht den Machern aber nicht nur um Macht, sondern auch ganz banal um Geld: User sollen ihre Produkte und Bücher kaufen, ihre Aktivisten oder Projekte finanziell unterstützen.

Dabei gehen sie rhetorisch über Leichen. Neben der Delegitimierung demokratischer Institutionen, Prozesse und Werte werden innerhalb des Netzwerks häufig wissenschaftlich belegte Erkenntnisse wie die Wirksamkeit von Impfungen generell oder der Klimawandel infrage gestellt und etablierten Medien grundsätzlich die Glaubwürdigkeit abgesprochen, mahnt die Bundesstelle für Sektenfragen. Die Wahrheit wollen diese Kanäle grundsätzlich für sich gepachtet haben. Überall anderes werde entweder nicht berichtet oder sogar aktiv zensiert, heißt es dort.

Geld, Zensur, Unterdrückung – die Masche der Verschwörungserzähler

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    Die Verbreiter von Verschwörungstheorien arbeiten mit populistischer Widerstandsrhetorik. In ihren Erzählungen werden demokratische Institutionen als Werkzeuge der Unterdrückung im Dienste einer angeblichen "Machtelite" abgestempelt.
    Die Verbreiter von Verschwörungstheorien arbeiten mit populistischer Widerstandsrhetorik. In ihren Erzählungen werden demokratische Institutionen als Werkzeuge der Unterdrückung im Dienste einer angeblichen "Machtelite" abgestempelt.
    Screenshot Telegram

    Ein großes Problem: Die sogenannten "alternativen Medien" sind mittlerweile so professionell aufgezogen, dass Laien der Unterschied zu echter, faktenbasierter Berichterstattung Laien oftmals nicht mehr erkenntlich ist. Unbedarfte User werden so schnell in einen Strudel aus Verschwörungserzählungen hineingezogen – aus dem es für manche kein Entkommen zu geben scheint.

    "Kann Einzelne ganz massiv beeinflussen"

    Manche Menschen verlieren sich in diesem Netzwerk, entwickeln sogar Suchterscheinungen. Die Psychologin und Geschäftsführerin der Bundesstelle für Sektenfragen Ulrike Schiesser schildert, wie extrem manche Ängste während der Corona-Pandemie eskalierten:

    "Die [Personen] waren teils richtig in Panik, die haben damit gerechnet, dass morgen die Panzer über die Ringstraße fahren, dass der Dritte Weltkrieg unmittelbar bevorsteht." In dieser Angst hätten einige sogar Waffen gekauft, Jobs gekündigt, die Kinder von der Schule genommen. "Es kann einzelne Personen ganz massiv beeinflussen."

    Auch heute haben diese Verschwörungsnetzwerke noch ein massives Mobilisierungspotenzial, sagt die Beobachterin: "Es braucht nur das 'richtige' Thema wieder auftauchen und da sind gleich sehr viele Menschen erreichbar."

    Die Bilder des Tages

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      <strong>21.12.2014: Magdeburg-Terrorist war bekannter Anti-Islam-Aktivist.</strong> Der mutmaßliche Täter des Anschlags von Magdeburg erhob schwere Vorwürfe gegen Deutschland und unterstützte Frauen, <a data-li-document-ref="120079782" href="https://www.heute.at/s/magdeburg-terrorist-war-bekannter-anti-islam-aktivist-120079782">die aus Saudi-Arabien flüchteten.</a>
      21.12.2014: Magdeburg-Terrorist war bekannter Anti-Islam-Aktivist. Der mutmaßliche Täter des Anschlags von Magdeburg erhob schwere Vorwürfe gegen Deutschland und unterstützte Frauen, die aus Saudi-Arabien flüchteten.
      REUTERS
      red
      Akt.