Science
Sind die Corona-Teststäbchen wirklich krebserregend?
Derzeit kursiert die Info, die Tupfer von Corona-Schnelltests seien mit Ethylenoxid beschichtet und daher krebserregend. Das stimmt so aber nicht.
"Teilt es mit der ganzen Welt – das ist wirklich, wirklich wichtig!" Mit diesen oder zumindest ziemlich ähnlichen Worten beginnen mehrere Clips, in denen – meist namenlos bleibende Personen – auf einen vermeintlichen Skandal hinweisen. So wird in den Videos behauptet, dass mit dem Sterilisationsmittel Ethylenoxid beschichtete oder besprühte Tupfer in Corona-Schnelltests Krebs verursachen. "Sie töten uns absichtlich", so der Vorwurf. "Wir befinden uns im Krieg."
Wer "sie" sein sollen und warum "sie" die Menschen töten wollen, wird nicht erörtert. Wohl aber, wie sie auf die Idee kommen. Die Mahner zitieren unter anderem die Webseite des Nationalen Krebsinstituts der USA. Dort steht: "Die Fähigkeit von Ethylenoxid, DNA zu schädigen, macht es zu einem wirksamen Sterilisationsmittel, erklärt aber auch seine krebserregende Aktivität." Stimmen die vorgetragenen Behauptungen also doch? Ein Überblick.
Ist Ethylenoxid wirklich krebserregend?
Ethylenoxid (kurz EO) ist ein farbloses, hochentzündliches Gas mit süßlichem Geruch und wird tatsächlich als kanzerogen – also krebserregend – angesehen. Das bestätigt auch das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic auf Anfrage von 20 Minuten.
Laut der Gestis-Stoffdatenbank, einer frei zugänglichen Datenbank chemischer Verbindungen, sind Atemwege und die Haut die Hauptaufnahmewege. Bei einem akuten Kontakt wirkt EO reizend auf Augen, Atemwege und die Haut. Auch kann es zu Beeinträchtigungen des zentralen Nervensystems kommen. Es wird angenommen, dass eine menschliche Exposition gegenüber EO zu Schäden führen kann, die vererbt werden können.
Warum werden die Tupfer damit behandelt?
Das Ethylenoxidgas tötet Bakterien, Viren und Pilze ab. Der Sterilisationsprozess ist gemäß Swissmedic sehr wirksam und hat den Vorteil, dass EO durch Kunsstoffumwandungen dringen kann.
Die Tupfer der Corona-Teststäbchen sind nicht die einzigen Produkte, die auf diese Art sterilisiert werden: Schon seit Jahrzehnten wird Ethylenoxid zur Sterilisation von Medizinprodukten verwendet, insbesondere von Einmalprodukten wie Verbandstoffen, Nahtmaterial oder Spritzen und Kathetern, aber auch von chirurgischen Instrumenten und so empfindlichen Dingen wie Cochleaimplantaten. Allerdings werden die anders als in den Videos auf Social Media nicht beschichtet oder besprüht, sondern begast, wodurch die EO-Konzentration von vornherein sehr niedrig ist.
Ist der Einsatz einer als krebserregend geltenden Substanz nicht riskant?
Nein. Das Verfahren ist hochgradig standardisiert. "Der Hersteller muss die Biokompatibilität nach Norm ISO 10993 sicherstellen, das heißt, die toxikologische Unbedenklichkeit des Produktes", erklärt Swissmedic-Sprecher Josty. In anderen Worten: Die EO-Reste in den Stäbchen dürfen nicht gesundheitsschädlich sein. "Die Menge macht das Gift", so Josty. Zudem kämen die Teststäbchen nur kurz mit der Schleimhaut in Berührung. "Eine gesundheitliche Beeinträchtigung ist extrem unwahrscheinlich."
So sieht es auch der deutsche Kriminalbiologe Mark Benecke, der zum Beweis für die Ungefährlichkeit der mit Ethylenoxid behandelten Tupfer einen solchen in den Mund nimmt und darauf herum kaut (siehe Video). Mit dem Gas sei es so wie mit Haushaltszucker, Salz und sogar Leitungswasser. Bei normalem Konsum seien diese völlig unproblematisch, ab einer gewissen Menge aber gesundheitsschädlich und sogar tödlich. "Jedes Jahr kommt es zu Todesfällen, weil Menschen zu viel Wasser getrunken haben", so Benecke. Allein das Beispiel zeigt: "Etwas Giftiges kann in einer geringen Menge unproblematisch sein."
Laut dem Kriminalbiologen kommt Ethylenoxid – "wenn überhaupt" – in geringsten Mengen auf den Tupfern vor. "Wenn ihr davor Angst habt, dann dürft ihr nie wieder Cola, Salz oder Wasser zu euch nehmen."
Wie wird die Unschädlichkeit sichergestellt?
Ein großer Teil des EO-Sterilisationsprozesses besteht daraus, sicherzustellen, dass das Ethylenoxid wieder aus dem Produkt entfernt wird und dass alle möglichen Rückstände unter den international festgelegten Sicherheitsstandards liegen. So ist die Belüftung der zuvor begasten Produkte ein fester Bestandteil des Verfahrens, wie etwa die Firma Steris Applied Sterilization Technologies auf ihrer Website schreibt: "Dieser Schritt dient zur Beschleunigung der Entgasung der behandelten Produkte sowie zur Eindämmung und Beseitigung von EO-Rückständen, um sicherzustellen, dass die in der Norm ISO 10993-7 festgelegten Grenzwerte eingehalten werden."
Zudem verflüchtigen sich mögliche Rückstände schnell, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Jahr 2017 im Fachjournal "Science & Justice" schrieben: Die Untersuchung verschiedener Wattestäbchen zur Entnahme von DNA-Proben habe gezeigt, dass die Rückstände drei Wochen nach der Behandlung mit Ethylenoxid-Gas nicht mehr nachweisbar waren.
"Ungenaue und schädliche Fehlinformation"
Das US-Ministerium für Gesundheit und Soziales hat sich gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters zu den Erläuterungen geäussert: "Die Antikörper- bzw. Schnelltests wurden streng getestet und können regelmäßig sicher angewendet werden. Andere Darstellungen sind ungenau und schädliche Fehlinformationen."
Für deren Verbreitung hat auch Mark Benecke kein Verständnis: "Das ist das erste Mal, seitdem wir dieses Video machen, dass ich denke, jetzt ist eine Grenze überschritten. Ihr könnt doch nicht die ganze Zeit euch von Spinnern und hyperängstlichen Menschen oder Leuten, die euch einfach nur verrückt machen wollen, belabern lassen."