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"Sie warfen Kinder ins Meer, um Gewicht zu verlieren"
Ein Bootsunglück in Süditalien kostete mindestens 62 Menschen das Leben. Ihr Schiff, das aus der Türkei kam, zerbrach 100 Meter vom Ufer entfernt.
Nach dem Untergang eines Flüchtlingsboots vor Crotone, an der südlichen Küste Italiens, befragen nun Behörden die Überlebenden. Was ist passiert? Wie kam es zu diesem Unglück, bei dem mindestens 62 Menschen ums Leben kamen? Über ein Dutzend der Toten waren Kinder und mehr als 30 Frauen.
Von den 80 Überlebenden befinden sich einige im Spital, andere wurde in ein Auffanglager nach Capo Rizzuto gebracht. Die meisten stehen unter Schock, wie "Corriere della Sera" berichtet. Loredana Pisani, Leiterin des Diözesanen Zentrums für Migranten in Crotone, besuchte sie.
Schlepper änderten die Route in letzter Minute
"Es war dunkel, es muss etwa fünf Uhr gewesen sein. Plötzlich sahen die vier Schlepper, die im Boot sassen, Lichter am Strand, die in der Dunkelheit nach oben leuchteten», erzählten die traumatisierten Menschen Pisani. Zu diesem Zeitpunkt waren die Migranten aus Afghanistan, Pakistan und dem Iran bereits rund 930 Kilometer vom türkischen Izmir kommend über eine Woche an Bord des 20 Meter langen Bootes über das Mittelmeer gereist. Das Ufer war nur noch 100 Meter entfernt.
Die Schleuser bekamen daraufhin wohl Angst, weil sie dachten, es sei die Polizei, die auf sie wartete. Also änderten sie den Kurs, um woanders an Land zu gehen. Sie mussten sich aber beeilen und die Geschwindigkeit des Bootes erhöhen. Die einzige Möglichkeit war, das Gewicht an Bord zu reduzieren. Also warfen sie Menschen ins Meer. Mindestens 20 Menschen. Kinder. Das berichteten mehrere Überlebende.
"Wir hatten keine Schwimmwesten"
In der Nacht der Tragödie herrschte schlechtes Wetter, die Wellen waren drei bis vier Meter hoch. Der Fischkutter zerschellte an einem Felsen, wie die italienische Küstenwache schreibt. "Wir hörten ein lautes Geräusch. Dann zerbrach das Boot in zwei Hälften. Ich umarmte meinen Mann, wir fielen ins Wasser, dann habe ich ihn nie wieder gesehen", erzählte eine 21-jährige Pakistanerin den Behörden.
Eine andere Frau schilderte gegenüber Pisani. "Wir hatten Angst, denn das Meer war unruhig. Ich bin immer in der Nähe meines Mannes geblieben und habe gebetet. Schwimmwesten wurden nur wenigen Leuten gegeben, wir hatten keine", sagte sie. Sie komme aus dem Punjab. "Wir haben geheiratet, bevor wir losgefahren sind. Wir hatten nur einen Rucksack dabei, mit ein paar Wasserflaschen und etwas zu essen. Sonst nichts."
Ein 16-Jähriger, der im Spital liegt, hatte die Reise mit seiner 28-jährigen Schwester unternommen. "Ich wurde gerettet, sie hat ihr Leben verloren. Ich habe nicht den Mut, meine Eltern anzurufen und ihnen zu sagen, was passiert ist. Vielleicht werde ich das morgen tun, wenn ich die Kraft dazu habe", sagte er einer Psychologin, die ihn betreut.
Etwas weiter weg liegt ein zwölfjähriger afghanischer Bub, der seine gesamte Familie verloren hat. Neun Angehörige starben beim Unglück, darunter seine Eltern und seine vier Geschwister. Er ist nicht der Einzige, viele Kinder haben ihre Eltern beim Unglück verloren. Einige von ihnen sind noch nicht in der Lage, über das Geschehene zu sprechen.