Österreich
Was Seisenbacher droht – und was ihn in Haft aufregt
Peter Seisenbacher war der erste Judoka, der Olympiagold verteidigen konnte. Heute lernt er die Kehrseite der Medaille kennen. Sein Ring ist jetzt ein Gerichtssaal.
„"Es scheint, es fehlt wer …"“
Mit diesen gelassen ausgesprochenen Worten vertagte Richter Christoph Bauer am 19.12.2016 den mit Spannung erwarteten Prozess gegen Judo-Legende Peter Seisenbacher. Heute, 1.071 Tage später, nimmt er einen neuen Anlauf. Nach einer filmreifen Flucht nach Osteuropa, einer jämmerlichen Festnahme in Unterhosen, überraschender Enthaftung und neuerlichem Untertauchen klickten im September die Handschellen.
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Der 59-Jährige war beim Versuch, aus der Ukraine Richtung Polen auszureisen, festgenommen worden. "Ich will nachhause", bat er die verdutzten Grenzer. Der Wunsch sollte sich erfüllen. Seisenbacher wurde wegen Fluchtgefahr in der Justizanstalt Wien-Josefstadt heimisch. Dort sitzt er seit 12. September in einer Drei-Mann-Zelle. Laut einer Recherche, die Judo-Expertin Nina Strasser in "News" publiziert hat, schaut der seit 14. September mit Untersuchungshaft belegte Seisenbacher fast ununterbrochen fern. Das ORF-Programm empfinde er als "strafverschärfend".
Aufstieg und tiefer Fall des Peter Seisenbacher
- Geboren am 25. März 1960 in Wien. Er ist 59 Jahre alt, vom Sternzeichen Widder.
- Olympia-Gold 1984 bei den Spielen in Los Angeles (USA)
- Vier Jahre später, 1988, verteidigte er den Titel in Seoul (Südkorea)
- Nach der Karriere bis 1992 Generalsekretär der Sporthilfe und Trainer des Herren-Nationalteams. Nach einem Disput folgte 1991 die Entlassung.
- 1996 wurde ihm das Große Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich verliehen. Eine Aberkennung ist nicht vorgesehen.
- 2005 bis 2010 Präsident des Wiener Judo-Landesverbandes
- Ab 2010 Trainer in Georgien
- Wechsel zur aserbaidschanischen Judo-Herrennationalmannschaft im Oktober 2012
- Im Juni 2014 wurden erste Missbrauchsvorwürfe publik.
- Im Oktober 2016 erhob die Staatsanwaltschaft Wien Anklage.
- Am 19.12.2016 hätte er in der Hauptstadt vor Gericht stehen sollen. Seisenbacher entzog sich durch Flucht dem Verfahren.
- 1. August 2016: Seisenbacher wurde er in einer Absteige in der Kiewer "Allee der Helden" festgenommen.
- Die ukrainischen Behörden setzten ihn am 8. September 2016 erneut auf freien Fuß. Er tauchte wieder unter. Das österreichische Bundeskriminalamt fahndete ab 12. September 2016 wieder mit einem internationalem Haftbefehl.
- Das ukrainische Justizministerium lehnte am 6. Oktober 2017 ein Auslieferungsersuchen ab; forderte Seisenbacher aber auf, das Land binnen fünf Tagen zu verlassen.
- Seisenbacher tauchte in der Folge wieder unter. Mitte September 2019 wurde er beim Versuch, aus der Ukraine Richtung Polen auszureisen festgenommen.
- Der Promi landet in einem ukrainischen Höllen-Häf'n: 29 Zellengenossen teilen sich dort 15 Betten. Seisenbacher sagte bald: "Ich will nachhause."
- Am 12. September 2019 landet er am Flughafen Wien-Schwechat und wird umgehend in die Justizanstalt Wien-Josefstadt gebracht.
- Der Haft- und Rechtsschutzrichter verhängt dort am 14. September 2019 die Untersuchungshaft – wegen Fluchtgefahr.
- Für 25. November 2019 ist die Prozess-Neuauflage angesetzt.
- Am 2. Dezember 2019 soll ein Urteil fallen. Peter Seisenbacher drohen bis zu zehn Jahre Haft. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.
Die Anklage
Heute, Montag, lernt der zweifache Olympiasieger und Träger des Goldenen Ehrenzeichens der Republik (das Gesetz sieht eine Aberkennung nicht vor) die Kehrseite der Medaille kennen. Sein Ring: der Große Schwurgerichtssaal. 60 Kiebitze fasst dieser. Alle Plätze werden gefüllt sein. Das Landesgericht gab Platzkarten aus. Fotografen und Fernsehteams werden sich um die besten Bilder von einem, der das Gesicht durch seine feige Flucht verloren hat, mühen. Auch die Anklage, die ab 9.30 Uhr erörtert werden wird, ist eine Katastrophe für Peter Seisenbacher. Er soll zwischen 1997 und 2004 als Trainer zwei Mädchen schwer sexuell missbraucht haben. Bei einer 16-Jährigen soll er das Autoritätsverhältnis missbraucht haben.
"Die Sachen sind doch verjährt …"
Doch was ist in den Räumlichkeiten des Judoclubs wirklich vorgefallen? Peter Seisenbacher schweigt in der Öffentlichkeit bis heute. Er gab kein einziges Interview, belegte seinen Anwalt Bernhard Lehofer mit einer Informationssperre, auch aus der Anklageschrift drang wenig bis gar nichts nach außen – eine Seltenheit. Alles, was er zu sagen habe, werde er dem Richter erzählen, lautet Seisenbachers Zugang. Der ins Bodenlose gestürzte Sport-Star soll bei seiner ersten Kripo-Einvernahme gesagt haben: "Die Sachen sind doch verjährt." Er sagte nicht: "Alles frei erfunden." Zudem wirkte die jahrelange Flucht auf die Öffentlichkeit wie ein Schuldeingeständnis. Auch, wenn für Peter Seisenbacher vollinhaltlich die Unschuldsvermutung gilt, sieht es derzeit so aus, als hätte er sich mit dem Wurf selbst auf den Rücken gebracht.
Seisenbacher drohen 10 Jahre Haft
Schlägt er heute zurück? Gesteht er reumütig? Wie massiv sind die Anschuldigungen der Belastungszeugen? Und wie glaubwürdig wirken sie? Fakt ist nur: Zumindest Letzteres wird auch durch den Strafprozess nicht publik werden. Laut „Heute"-Infos sagen die Frauen nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus. Spannend: Sie verzichten auf die Möglichkeit, in einem Nebenraum befragt zu werden. Dieses Recht haben Opfer vor Gericht, um ihren mutmaßlichen Peinigern nicht in die Augen sehen zu müssen.
Am 2. Dezember soll ein Urteil fallen. Bei einem Schuldspruch im Sinne der Anklage drohen Peter Seisenbacher bis zu zehn Jahre Haft. Die beiden Verhandlungstage bis dahin, ein Vorführen in Handfesseln, das Ausbreiten von Intimitäten vor Gericht – das alles wird ohne Zweifel Peter Seisenbachers härtester Kampf …