Wien
Seestädter Rollstuhlfahrer klagen: "Durften nicht Baden!"
Den Sommer über konnten Rollstuhlfahrer in der Seestadt nicht in den Badeteich. Mit einer Unterschriftenaktion wollen sie das im nächsten Jahr ändern.
40 Minuten braucht Harald ins Strandbad Gänsehäufel. Eine Strecke, die mit dem Rollstuhl so manche Tücken mit sich bringt. "Heuer war es noch schlimmer. Wegen der U2-Sperre musste ich in überfüllten Bussen fahren. Oft bekommt man gar keinen Platz", erzählt er. Doch der 60-jährige nimmt die Fahrt auf sich: "Bei diesen Temperaturen brauche ich wie alle anderen die Abkühlung. Ich bin gern im Wasser, bei meiner Behinderung tut die Bewegung gut."
"Freunde können ins Wasser gehen, ich muss zusehen"
Vor sechs Jahren zog Harald, den eine Geburtsbehinderung an den Rollstuhl fesselte, in die Seestadt. Dass Barrierefreiheit im Stadtentwicklungsgebiet großgeschrieben wird, war einer der Gründe für den Umzug aus Meidling. Doch eines blieb dem Wiener verwehrt - das Badevergnügen. Weil es keinen barrierefreien Zugang zum See gibt, bleibt er an Badetagen in der Zuschauerrolle. "Freunde können sich Abkühlung verschaffen, ich kann das nicht."
Ähnlich geht es der 36-jährigen Christine, die aufgrund einer Tumorerkrankung seit 26 Jahren im Rollstuhl sitzt: "Ich bin oft mit Freunden am See. Sie können ins Wasser gehen, ich muss zusehen. Man fühlt sich ausgeschlossen. Ich bin zwar klein und man könnte mich runtertragen, aber das Risiko möchte man natürlich auch nicht eingehen", erzählt sie. "Überall sind Steine und es ist sehr steil."
"Seestadt Aspern wirbt mit Barrierefreiheit"
Die Seestadt wächst und mit ihr auch die Anzahl der Bewohner, insbesondere der Rollstuhlfahrer, wie Harald berichtet. "Die Community wird immer größer und auch der Wunsch nach einem barrierefreien Zugang zum See." Probleme mit der Haftung sehen die beiden keine: "Es kann immer etwas passieren, wie man leider auch diesen Sommer gesehen hat. Das bringt das Baden in einem See mit sich, da muss man natürlich aufpassen."
Unterstützung für ihr Anliegen erhalten Christine und Harald nicht nur aus der Community. Auch Anrainer, die nicht selbst im Rollstuhl sitzen, engagieren sich dafür. "Seit dem Beginn der Seestadt Aspern wird mit Barrierefreiheit geworben. Der See ist für alle hier das markanten Kennzeichen. Im Sinne einer diskriminierungsfreien, inklusiven Gesellschaft dürfen Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung nicht von der Seenutzung ausgeschlossen werden", sagt Anrainer Alfred (32), der seit sechs Jahren in der Seestadt lebt.
Unterschriftenaktion für nächste Saison gestartet
Grundsätzlich werde in der Seestadt sehr auf Barrierefreiheit geachtet, von minimalen Gehsteigkanten, über barrierefreie Zugänge zu Gebäuden bis hin zu inklusiven Anlagen von Schulen, bestätigt auch die zuständige Behörde. "Der See ist allerdings als Naturbadeplatz konzipiert, weshalb wesentliche bauliche Änderungen der wasserrechtlichen Bewilligung widersprechen", heißt es auf "Heute"-Anfrage. Da es im See selbst so gut wie keine flach verlaufenden Zugänge gibt, sei ein sicherer Zugang sowie die Möglichkeit rascher Hilfeleistungen und Rettungseinsätze nicht gegeben. "Es gibt in Wien eine Vielzahl an Badeplätzen, bei denen die Rahmenbedingung geeigneter sind", heißt es.
Harald und Christine lassen sich jedoch nicht unterkriegen. Mit einer Unterschriftenaktion wollen die Betroffenen nun auf ihr Anliegen aufmerksam machen und hoffen immer noch auf eine Änderung in der nächsten Badesaison: "Es mag komisch klingen, dass wir am Ende der Saison damit beginnen. Aber damit sich etwas tut, müssen wir früh genug anfangen", erklärt Christine. Denn im Sommer 2023 möchte sie gemeinsam mit ihren Freunden Abkühlung im See vor der Haustüre finden - und damit den Hitzesommer etwas besser überstehen.