Politik

Comeback-Kanzler – als Jüngster auf der Welt

Heute Redaktion
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Sebastian Kurz wagt also das türkis-grüne Experiment. Doch wer ist der 33-jährige jüngste Alt- und Comebackkanzler der Welt? "Heute" recherchierte das Porträt jenes Mannes, der ein Leben im Superlativ zu führen scheint.

Eines müssen ihm Freunde wie Feinde zugestehen: Sebastian Kurz führt ein Leben im Superlativ. Kurzer Auszug – ja, schon der Nachname eignet sich dankbar für mittelkreative Schlagzeilen – ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit: Geilomobilster Nachwuchspolitiker, jüngster Staatssekretär, jüngster Außenminister, jüngster Bundeskanzler, beliebtester Politiker laut APA/OGM-Vertrauensindex, erster vom österreichischen Parlament gestürzter Regierungschef, jüngster Altkanzler der Welt. Schnitt.

Kurz färbte die Schwarzen türkis und die Umfragen rosarot

Was bei den meisten seiner Berufskollegen ein in 40 Dienstjahren kaum verwirklichbares Karrierepensum darstellt, gelang ihm in acht Jahren. 2017, mit 31, schien er am Ziel. Im Mai 2019, mit damals knapp 33 Jahren, stand er vor den Trümmern einer gescheiterten Polit-Ehe. Dabei schien es für Sebastian Kurz (seit 27. August 33, von Sternzeichen Jungfrau) acht Jahre lang nur in eine Richtung zu gehen: steil nach oben. Alles, was er politisch anfasste, wurde zum Erfolg. Die nach der Ära Mitterlehner am Umfrageboden grundelnde ÖVP führte er von tristen 18 Umfrageprozent zu einem Triumph mit 31,5 Prozent am Wahlabend 2017. Die Schwarzen waren da längst nicht mehr die Schwarzen. Kurz färbte die Partei türkis und nannte sie "Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei".

Mühsame Koalition mit Einzelfalls- und Ibiza-FPÖ

Eben jene neue Volkspartei ging in der Folge die auch schon von den alten Schwarzen gerne genommene Koalition mit der nationalistischen FPÖ ein; brachte Reformen (Mindestsicherung, Familienbonus, Steuerreform, Sozialversicherungen neu) auf den Weg. Und schwieg bei rechten Ausrutschern ihres Regierungspartners. Im heurigen Frühjahr ging das nicht mehr. Auf Ibiza war nicht nur Heinz-Christian Straches Karriere baden gegangen, sondern mit zweieinhalbjähriger Verspätung eine ganze Regierung versenkt worden. "Genug ist genug", brachte Kurz am 18. Mai das Gefühl vieler Österreicher auf den Punkt und sprach sich für rasche Neuwahlen aus. Er habe in der Zusammenarbeit mit der von ihm gewählten FPÖ "viel ruterschlucken müssen", ließ er die Bevölkerung zuvor noch wissen.

Als der Misstrauensantrag im Parlament durchging

Zehn Tage später musste Kurz wohl abermals schlucken: Als ihm das Parlament das Vertrauen versagte, wirkte er, der sonst mit Emotionen sehr restriktiv umgeht, erstmals getroffen. Bereits am Abend des 28. Mai war aber sein Kampfgeist schon wieder geweckt.

In der Parteiakademie der ÖVP in Wien-Meidling teilte er seinen Anhängern mit: "Heute hat das Parlament entschieden, aber am Ende des Tages entscheidet in einer Demokratie das Volk." Sprach's aus, ließ tags darauf die Amtsenthebung durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen über sich ergehen und übergab an Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein und ihr Kabinett.

Der Am-Boden-Gebliebene rückte zur Bergauf-Tour aus

Während die Beamtenregierung Bierlein das Land still vor sich hin verwaltete, tingelte Kurz durch ebendieses. Alle neun Bundesländer standen regelmäßig auf dem durchaus ambitionierten Reiseprogramm samt Bergauf-Österreich-Bergtouren. "Einer, der am Boden bleibt", wie er auf Plakate drucken ließ, tat dies mit dem Bus. In türkis gehalten, eh klar. Durch Vorort-Kontakte, Selfies sonder Zahl, ohne Patzer bei den inflationären TV-Duellen und mit 800.000 Facebook-Likes sowie 129.000 Insagram-Followern ausgestattet, gingen sich am Wahlabend des 29. September satte 37,5 Prozent der Stimmen aus. Das Comeback war geglückt – trotz Schredder-Affäre um Druckerfestplatten aus dem Kanzleramt im Wahlkampf, trotz Diskussion über Parteispenden (üppige Zuwendungen Heidi Hortens und eine von der ÖVP energisch dementierte doppelte Buchhaltung waren Themen) und trotz (oder gerade wegen) eines vielbeachteten Segensgebets von einem US-Prediger in der Wiener Stadthalle. Zwar nicht Gottes Segen, dafür jenen des Präsidenten, um mit der Regierungsbildung loszulegen, erlangte Kurz per 7. Oktober. Er sondierte in der Folge mit manchen kürzer, mit anderen länger – und kam zum Schluss, dass ihm eigentlich nur die Grünen grün sind. Mitte November trat er mit der Ökopartei in Koalitionsverhandlungen ein. Mit bekanntem Ergebnis.

Volksschule in Liesing, Gymnasium in Meidling – dann Heer und Jus

Doch wer ist der Mann, der nun mit seinem zweiten Kabinett die Geschicke des Landes als Bundeskanzler lenken wird? Aus Sebastian Kurz' Privatleben sind nur einige handverlesene Details bekannt. Aufgewachsen in einem Gemeindebau in Wien-Meidling (Mutter Lehrerin, Vater Ingenieur, der den Job verlor, sich aber zurück ins Erwerbsleben kämpfte) absolvierte er die Volksschule in Wien-Liesing und maturierte 2004 im Gymnasium Erlgasse in seinem Heimatbezirk. 2005 absolvierte er den Präsenzdienst in Wien, mit der ihm damals ausgehändigten Tasche tritt der sportliche Kurz (Bergsteigen, Fitnesstraining) noch heute zum Workout in einem Wiener Club an. Nach dem Grundwehrdienst inskribierte er Jus, als er 2013 Staatssekretär wurde, war er im 13. Semester, als er Kanzler wurde Fernstudent in Linz. Er möchte es irgendwann abschließen, antwortet er auf regelmäßige Journalistenfragen zum Stand der wissenschaftlichen Karriere.

Private Koalition seit gemeinsamen Schultagen mit Susanne Thier

Als Chef der JVP lancierte Kurz im Wahlkampf zur Wiener Landtagswahl 2010 die viel zitierte Kampagne "Schwarz macht geil" und ließ sich auf der Motorhaube eines "Geilomobils", das er durch Wien fahren ließ, ablichten. Lange blieb er nicht im Wiener Landtag, denn schon 2011 holte ihn Michael Spindelegger als Integrationsstaatssekretär in die Regierung. Später stieg er unter den Kanzlern Faymann und Kern zum Außenminister auf – und zeichnete sich bald als Nachfolger des unbeliebten Spindelegger-Nachfolgers Reinhold "Django" Mitterlehner ab. Eines blieb im Leben des Spitzenpolitikers stets stabil: Die private Koalition mit Partnerin Susanne Thier. Kurz lernte die Wirtschaftspädagogin, die heute im Finanzministerium arbeitet, in der Schulzeit kennen. Man lebt gemeinsam in einer Wohnung in Meidling. An Wahltagen und zum Opernball begleitet Thier ihren Lebensgefährten – meidet sonst aber die Öffentlichkeit.

Kurz – ein Meidlinger mit Kraftort im Waldviertel

Selbst die redselige Ö3-Frühstückerin Claudia Stöckl konnte Kurz (trinkt laut ORF-Sommergespräch gerne Cola Light, Bier und Aperol-Spritz, ist ein mittelmäßiger Handwerker) zum Stand der privaten Dinge im Sommer 2019 nicht viel abnötigen. Kinderwunsch? Hochzeit? "Sie klingen wie meine Eltern", so Kurz. Seiner Partnerin mache er sicher keinen Heiratsantrag via Ö3, stellte er noch klar – dann war das Thema vom Küchentisch. Das Gespräch, dies sei noch erwähnt, fand in Sebastian Kurz' "Kraftort", in Zogelsdorf im Waldviertel statt. Seine Großeltern stammen von dort, er habe in der Kindheit viel Zeit dort verbracht. Im Wahlkampf war dies zum Thema geworden, als der Meidlinger wiederholt über seine Wurzeln im Waldviertel sprach.

Das türkis-grüne Wagnis in Zeiten der Klimakrise

Wien, Waldviertel – geschenkt. Nun wagt Sebastian Kurz auf Bundesebene das türkis-grüne Experiment. Wieder ist ihm damit – man ahnt es schon – ein Eintrag in den Geschichtsbüchern gewiss. Wie die Erzählung enden wird, ist freilich offen. Entweder gelingt Kurz am Beginn eines neuen Jahrzehnts, befeuert von der weltweiten Klimakrise, eine moderne, liberale Regierungsform mit starkem Ökocharakter, um die uns Europa beneidet. Oder die Zusammenarbeit zweier Parteien, die unterschiedlicher kaum sein könnten, scheitert wieder vorzeitig. Wie leicht sich Sebastian Kurz dann freilich mit einem neuerlichen Comeback tun würde, ist fraglich. Doch daran mag – nach gefühlt jahrelangem Dauerwahlkampf – derzeit ohnehin niemand denken.