Politik

Schallenberg sorgt mit 1938-Sager für Aufregung

Österreich sei beim Anschluss 1938 alleine gelassen worden. Mit dieser Aussage sorgt Außenminister Schallenberg für Wirbel.

Leo Stempfl
Teilen
Außenminister Alexander Schallenberg sorgte in der ZIB2 für Irritationen.
Außenminister Alexander Schallenberg sorgte in der ZIB2 für Irritationen.
Screenshot/ ORF

Sogar Martin Thür, der Außenminister Alexander Schallenberg in der "ZiB 2 am Sonntag" interviewte, musste im Nachhinein ein Versäumnis eingestehen. Von einer beiläufigen Aussage des Ex-Kanzlers war er derart überrascht, dass er sich fragte, ob er gerade richtig gehört hatte. "Ja, da hätte eine Nachfrage drangehört", so Thür später auf Twitter.

"Für uns in Österreich – das muss ich nur klarstellen – geht es um etwas ganz Prinzipielles: Es geht um eine rote Linie, nämlich Völkerrecht. Wir haben doch 1938 am eigenen Leib erlebt, wie es ist, wenn man alleine gelassen wird." Für letzteren Satz hagelt es jetzt Kritik.

Geschichtsrevisionismus?

Wurde diese Zeit bis in die 1980er kaum aufgearbeitet, hat sich mittlerweile doch der Konsens entwickelt, dass Österreich nicht Opfer war. Schon in den Monaten und Jahren davor sehnten sich weite Teile nach dem Anschluss, am 12. März war das Land plötzlich über Nacht übersäht mit Hakenkreuzfahnen, Hunderttausende jubelten am Heldenplatz.

"Österreich war nicht 'alleine', sondern mittendrin", kritisiert nun der Koalitionspartner in Form von Außenpolitik-Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic. Jüdische Verbände werfen ihm Geschichtsrevisionismus vor, "Schallenberg hat die jubelnden Massen auf den Straßen anscheinend verdrängt", schließt sich der KZ-Verband an.

SPÖ fordert Klarstellung

Scharf reagiert auch die SPÖ. Vizeklubchef Jörg Leichtfried sieht unter anderem "eine Verharmlosung des Schuschnigg-Regimes". Wegen des "schwer bedenklichen Geschichtsbilds" fordert er eine Klarstellung von Bundeskanzler Nehammer und Vizekanzler Kogler.

Sabine Schatz, SPÖ-Sprecherin für Erinnerungskultur, sieht das ähnlich: "Es ist inakzeptabel, dass sich der Außenminister als Aushängeschild der Republik am Opfermythos beteiligt. Besonders nachdem die Vorgängerpartei der ÖVP bereits 1934 potentielle Widerstandskämpfer*innen gegen die Naziherrschaft kriminalisiert und verfolgt hat."

Unglücklich formuliert

Andere weisen hingegen daraufhin, dass der Anschluss auch als Annexion unter Gewaltandrohung gesehen werden kann. Immerhin wurde mit dem Einmarsch deutscher Truppen gedroht. Schallenberg könnte sich deswegen auch darauf bezogen haben, dass die österreichische Regierung unter Kurt Schuschnigg von den Regierungen anderer Länder alleine gelassen wurde.

Letztere These stützt, dass Schallenberg selbst im November 2019 die langjährige Opferrolle kritisierte. "Zu viele standen im März 1938 am Heldenplatz und haben mitgejubelt", attestierte er damals. Es dürfte sich also "nur" um eine schlechte Formulierung gehandelt haben – die Kritik hält angesichts des doch etwas hinkenden Vergleichs an.

"Was ich gemeint habe..."

Wenig später in Brüssel von Journalisten darauf angesprochen bestätigt Schallenberg letztere Deutung. Er habe sich keinesfalls auf den Opfermythos bezogen, stellt der Außenminister klar. "Was ich gemeint habe, sind die massiven Anstrengungen, die es gab, (...) um eine internationale Reaktion, internationale Solidarität zu erreichen."

"Wir wissen alle, letzten Endes war es nur Mexiko als einziges Land, das schriftlich im Völkerbund damals gegen den Anschluss Österreichs protestiert hat." In Bezug auf die Ukraine müsse vor allem Österreich Solidarität üben. Denn man wisse, wie es sich anfühlt, "wenn ein Land einem potenziellen Aggressor gegenüber steht und in Wirklichkeit nur noch das Völkerrecht auf seiner Seite hat."

1/4
Gehe zur Galerie
    Am 07.02.2022 reiste Außenminister Alexander Schallenberg in die Ukraine um sich ein Bild von der "Kontaktlinie"  nahe Luhansk zu machen. Im Bild mit seinen Amtskollegen aus Tschechien Jan Lipavsky (M) und Slowakei Ivan Korcok (L)
    Am 07.02.2022 reiste Außenminister Alexander Schallenberg in die Ukraine um sich ein Bild von der "Kontaktlinie" nahe Luhansk zu machen. Im Bild mit seinen Amtskollegen aus Tschechien Jan Lipavsky (M) und Slowakei Ivan Korcok (L)
    BMEIA/ Michael Gruber