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So stellten sich die Nazis den Massentourismus vor
Sonne, Strand, Propaganda und Meerblick für die Massen: Die Anlage namens "Prora" sollte das größte Seebad der Welt werden.
Einst sollte Prora das größte Seebad der Welt werden. Stattdessen wurde der "Koloss von Rügen" zur Bauruine. Fast fünf Kilometer lang zieht sich der Riegel aus uniformen Betongebäuden am Strand der Ostseeinsel entlang. Jeder der acht sechsstöckigen Blöcke ist einen halben Kilometer lang.
Auch alles andere an Prora ist riesig. So wollte es die NS-Organisation "Kraft durch Freude", die den Monsterbau am Meer in den 1930er-Jahren erstellte. In den kasernenartigen Gebäuden sollte sich einst der deutsche Arbeiter erholen. 20.000 Feriengäste sollte die Anlage fassen, einer der Speisesäle jeweils 1.000. Eine Million sollten pro Jahr durch die Ferienfabrik geschleust werden.
Ferien mit Kasernengeschmack
Wer sich Prora ansieht, bekommt einen Eindruck davon, was sich "Kraft durch Freude" unter Ferien vorstellte. Selbst mit dem schlimmsten All-inclusive-Urlaub hat es wenig zu tun.
Erholung, das bedeutete in Nazi-Deutschland eine Mischung aus Sport, Kollektivgefühl und Propaganda. Alle sollten gleichwertig sein – außer denen, die draußen bleiben mussten. Je zwei Personen teilten sich ein Zehn-Quadratmeter-Zimmer, Toilette und Badezimmer fanden sich auf den langen Gängen. Wer Glück hatte, bekam eines der 8.000 Zimmer mit Meerblick, Balkone gab es nicht. Eine Rundfunkstation im Seebad sollte Reden des Führers und Musik direkt über Lautsprecher in die Wohnzellen bringen. Für die Überwachung der Gäste durch die Gestapo war schon in den Plänen gesorgt.
Der Koloss von Rügen. (Video: Glomex/ProSieben)
Der Tag, so sahen es die Pläne vor, sollte um 6.20 Uhr mit Wecken beginnen, um 6.30 Uhr sollte Frühsport folgen, danach das Frühstück in zwei Schichten. Statt Sonne sollte es um 13 Uhr politische Vorträge geben, dann die vorgeschriebene Mittagsruhe. Um 15 Uhr waren politische Schulungen der Urlauber, als Abendprogramm waren wieder Propagandaveranstaltungen vorgesehen.
Gebaut wurde Prora in Rekordzeit: Schon drei Jahre nach der Grundsteinlegung 1936 war der Rohbau fertig. Ab 1941 sollte der Massenurlaub unter dem Hakenkreuz beginnen.
Vom Propagandabau zum Haus der Diktaturen
Doch es setzte nie ein Urlauber seinen Fuß nach Prora. Statt dem totalen Urlaub begann der totale Krieg. 1939 wurden die meisten Bauarbeiter abgezogen, nach dem Baustopp im Herbst 1941 hielten tschechische und polnische Kriegsgefangene den Rohbau instand. Es folgten Flüchtlinge, Verletzte und Auszubildende der SS.
Nach dem Krieg führte die Rote Armee in einigen Blöcken Sprengversuche durch und räumte aus, was auszuräumen war. Anschließend zog die nächste Diktatur in Prora ein: Bis zur Wende war das Gelände Sperrgebiet und diente der NVA als Kaserne. Kriegsdienstverweigerer schufteten als "Bausoldaten", um die Gebäude bewohnbar zu machen. In der riesigen Versammlungshalle reparierte die Armee der DDR ihre Panzer.
Aus finsterer Vergangenheit wird Freiraum
Nach der Wende kam die deutsche Bundeswehr, 1992 ging sie wieder. Prora wurde öffentlich zugänglich. Kaufen wollte das Monumentalbauwerk am Rügener Strand zunächst niemand, es wurde zum Freiraum. Urlauber zelteten während des Sommers bei den Ruinen, in einen der Blöcke zog eine Jugendherberge ein, daneben entstand ein Museum – die Festivals bei der Herberge sind legendär. 1994 wurde der Komplex unter Denkmalschutz gestellt.
Am Ende Investitionsobjekt
Heute ist Prora Investitionsobjekt. Seit Anfang der 2000er-Jahre werden die noch erhaltenen Blöcke Stück für Stück verkauft und saniert. Unter dem Stichwort "Prora" findet man Hotels, Ferienwohnungen, exklusive Penthouses und gelegentlich auch ganz normale Wohnungen. In der ehemaligen Versammlungshalle in der Mitte des Komplexes soll ein Einkaufzentrum entstehen. Der letzte Block soll dieses Jahr verkauft werden.
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