Ukraine

Prigoschin spricht über ein Ende des Ukraine-Kriegs

Jewgeni Prigoschin rechnet selbst bei einer Eroberung Bachmuts nicht mit großen Erfolgen für die russische Armee. Er skizziert jetzt ein Endszenario.

Roman Palman
Jewgeni Prigoschin ist der Anführer der russischen Söldner-Gruppe Wagner.
Jewgeni Prigoschin ist der Anführer der russischen Söldner-Gruppe Wagner.
Jewgeni Prigoschin via telegra.ph

Der Chef der russischen Söldner-Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat in einem selbst publizierten Pamphlet den russischen Präsidenten Wladimir Putin überraschend dazu aufgefordert, den Krieg gegen die Ukraine für beendet zu erklären. "Für die Behörden und die Gesellschaft ist es notwendig, der militärischen Spezialoperation eine Kugel zu verpassen", titelte die russische Zeitung "Kommersant" ihren Bericht über die Aussagen des Wagner-Führers.

Prigoschin postuliert in seiner öffentlichen, via Telegram verbreiteten Niederschrift wörtlich: "Ideal wäre es, das Ende der militärischen Spezial-Operation zu verkünden und zu sagen, dass Russland wie geplant seine Ziele erreicht hat."  

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    Wagner-Chef <a data-li-document-ref="100255572" href="https://www.heute.at/g/-100255572">Jewgeni Prigoschin</a> in einem Video, das ihn mit russischer Fahne auf dem Rathaus von Bachmut zeigen soll. Es wurde am 3. April 2023 veröffentlicht.
    Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin in einem Video, das ihn mit russischer Fahne auf dem Rathaus von Bachmut zeigen soll. Es wurde am 3. April 2023 veröffentlicht.
    Concord Press Service/Handout via REUTERS

    "In gewissem Sinne" habe man diese auch erreicht, so der St. Petersburger, der auch als "Putins Koch" bekannt ist, weiter:  Russland habe bereits einen großen Teil der männlichen Bevölkerung der Ukraine getötet und andere erniedrigt.

    Zudem habe man bereits "fette Eroberungen" gemacht, eine Landbrücke zur Krim hergestellt und die Ukraine vom Asow'schen Meer abgeschnitten, betont Prigoschin "Jetzt gibt es nur noch etwas zu tun: Fuß zu fassen und an den bereits besetzten Gebieten festzuhalten." 

    "Strohmann"-Argument

    Prigoschins Worte, lassen sich so lesen, als wäre er für ein rasches Ende des Krieges. Auf das folgende Medienecho hin ließ er seinen Pressedienst aber dementieren. Auch die Experten des Institute for the Study of War (ISW) sehen darin keinen Wunsch nach Frieden, im Gegenteil. Demnach benutzt der Söldner-Führer diese Ansage als sogenanntes "Strohmann"-Argument, welches vorgeschoben wird, um es danach für das eigene Klientel zu widerlegen. Das wird aber erst deutlich, wenn man den gesamten Rest der insgesamt rund 2.500 Wörter umfassenden Niederschrift gelesen hat.

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      Bilder von der Schlacht um Bachmut im Osten der Ukraine, 2022.
      Bilder von der Schlacht um Bachmut im Osten der Ukraine, 2022.
      Libkos / AP / picturedesk.com

      Bachmut: "Der Orgasmus kam nie"

      Darin analysiert er in gewohnt brachialer Wortwahl weiter die Bedeutung der Stadt Bachmut, für die seine Söldner schon so viel Blut vergossen haben. "Warum verbeißt sich Wolodimir Selenski so in Bachmut? Unser intimer Dialog mit ihm läuft sei vier Monaten. Wir genießen es beide, aber der Orgasmus kam nie", schreibt der Söldner-Chef, der vor knappen zwei Wochen die Einnahme der heftig umkämpften Stadt "im rechtlichen Sinne" verkündet hatte – siehe dazu Artikel-Box unten.

      Für Prigoschin jedenfalls hat Bachmut "keinen großen strategischen Wert". Die Stadt sei nur ein Teil eines Befestigungsrings, die Einnahme würde den Russen weder einen schnellen Sieg über die Ukraine noch den Weg zum Fluss Dnipro oder die vollständige Eroberung des Donbass eröffnen.

      Prigoschin hofft auf Gegenoffensive

      Auch spricht er über die erwartete ukrainische Großoffensive. Er leitet zwei Szenarien für deren Ausgang ab: Die ukrainische Gegenoffensive könnte an den russischen Stellungen zerschellen, was der russischen Armee aber noch lange keinen Sieg schenken werde. In seinem desolaten Zustand würde Putins Militär eine solche Chance kaum verwerten können, glaubt der Söldner-Chef. Selbst, dass man danach bis zur Grenze des beanspruchten Oblasts Donezk vorrücken könne, hält er für "nicht sehr wahrscheinlich".

      Stürzt Russland ins Chaos?

      Oder: Sollte sie hingegen ein Erfolg werden und die Front durchbrechen, könnte ein brutaler Herbstkrieg folgen. Russland würde innenpolitisch in eine Krise ähnlich jener nach der Februarrevolution von 1917 gestürzt. Doch Prigoschin sieht das womöglich folgende Chaos aber als eine Art Reinigungsprozess. Russland, wie auch sein Militär, würde wie ein Phönix aus der Asche gestärkt emporsteigen und es dann mit jedermann aufnehmen können.

      Bei dieser Narrative bedient sich der milliardenschwere Oligarch auch der Verschwörungstheorie eines "tiefen Staates". Dabei spricht er von korrupten Eliten, die dem Westen hörig wären und Druck auf den Kreml ausüben würden, Zugeständnisse zu machen. 

      Gegen Zugeständnisse und Friedensabkommen

      Der Brachial-Kämpfer stellt sich damit gegen jede Art eines Friedensvertags, der so zustande kommen könnte. Keinen Meter besetzten Territoriums will er der Ukraine zurückgeben. 

      Sollte es nicht bald zum ukrainischen Angriff kommen, so sieht Prigoschin für weitere Erfolge schwarz: "Der Krieg wird zu einer Pattsituation". Die eroberten Gebiete würden dann zwar wohl dauerhaft von den Besatzern kontrolliert werden, doch vorwärts ginge aus Kreml-Sicht kaum noch etwas. Ganz das Frontschwein will er deshalb einen "fairen Kampf" bis zum bitteren Ende und eine endgültige Entscheidung auf dem Schlachtfeld. Prigoschin beendet seine Brandrede mit einem erschütternden Fazit:

      "Wir sehen uns in Bachmut."

      "Die Ukrainer sind zum Angriff bereit und wir, diesen Schlag abzuwehren. Das beste Szenario, um Russland zu heilen, damit es zusammenrückt und der mächtigste Staat wird, ist die Offensive der ukrainischen Streitkräfte, bei der keine Verhandlungen möglich sein werden. Entweder werden die Streitkräfte der Ukraine in einem fairen Kampf besiegt, oder Russland wird seine Wunden lecken, Muskeln aufbauen und seine Rivalen in einem fairen Kampf erneut zerreißen. Daher glaube ich, dass ein Friedensabkommen für die Zukunft Russlands unmöglich ist. Wir sehen uns in Bachmut."

      Russland hat über 10.000 Militärfahrzeuge verloren

      Auch wenn die eigenen Verluste an Menschen für die russische Propaganda ein rotes Tuch sind und das Verteidigungsministerium so gut wie keine Angaben dazu macht – und selbst wenn, waren diese in der Vergangenheit immer unrealistisch niedrig angesetzt –, sind diese zweifelsohne enorm. Alleine schon die Tatsache, dass Wladimir Putin die innerrussisch extrem unpopuläre Teilmobilmachung verhängen und sogar jetzt noch verschärft hat, spricht Bände.

      Dazu kommen noch mittlerweile mehr als 10.000 russische Militärfahrzeuge, die vernichtet, beschädigt, zurückgelassen und/oder gekapert wurden. Das geht unter anderem aus dem täglichen Lagebericht des britischen Verteidigungsministeriums heraus. Beobachter des Konflikts würden sogar noch von einer weit höheren Zahl ausgehen, so die Briten.

      Bestätigte Verluste sind jedenfalls auch nach der Zählung der Gruppe ORYX (siehe Box unten) rund 1.900 Panzer, 3.500 andere gepanzerte Fahrzeuge und 2.400 Logistik- und Nachschubfahrzeuge. Auch "Dutzende" High-Tech-Radar- und Feuerleitfahrzeuge sind darunter.

      Über ORYX
      Die niederländische, von zwei ehemaligen "Bellingcat"-Mitarbeitern betriebene Gruppe "ORYX" bzw. "Oryxspioenkop" hat sich auf Verteidigungsanalysen spezialisiert. Seit Beginn der russischen Invasion werden anhand von Bildmaterial aus dem Kriegsgebiet Listen über die Verluste schweren Geräts – zerstört, beschädigt, zurückgelassen oder gekapert – beider Seiten erstellt und veröffentlicht.
      Fotos und Videos von Wracks aus dem Kriegsgebiet werden genau auf den Typ und die Herkunft des Geräts untersucht, dann einem Zeitpunkt und einem Ort zugeordnet. Die Datenbank wird regelmäßig auf mögliche Doubletten durchforstet und diese danach gelöscht. Weil nur visuell bestätigte Verluste auch gezählt werden, gilt das "ORYX"-Ergebnis als konservativ bzw. als Untergrenze. 
      Laufende Dokumentation ukrainischer Verluste
      Laufende Dokumentation russischer Verluste

      Putin macht Rüstungsindustrie Feuer

      Wie der Geheimdienst weiter meldet, soll Russland einen großen Teil seiner modernen Marschflugkörper verbraucht haben – "für einen kleinen strategischen Nutzen". Wladimir Putin bemühe sich nun, die russische Rüstungsindustrie anzukurbeln.

      In jüngerer Zeit ließ sich der Kreml-Despot demonstrativ etwa beim Besuch des wichtigsten Herstellers für Militärhubschrauber Mitte März ablichten (siehe Bildstrecke unten).

      Sein gerne gegen Europa Gift und Galle spuckender Vertrauter, Dmitri Medwedew ("Dieses EU-Land wird in Krieg ausgelöscht"), ließ sich dazu Ende Februar ein Panzerwerk vorführen.

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        Wladimir Putin während eines Besuchs der Ulan-Ude Flugzeugfabrik, Russlands führendem Hersteller von Helikoptern, in Ulan-Ude im südöstlichen Sibirien am 14. März 2023.
        Wladimir Putin während eines Besuchs der Ulan-Ude Flugzeugfabrik, Russlands führendem Hersteller von Helikoptern, in Ulan-Ude im südöstlichen Sibirien am 14. März 2023.
        IMAGO/ITAR-TASS
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          <strong>22.11.2024: So will Neos-Chefin die Mindestsicherung neu aufsetzen.</strong> Beate Meinl-Reisinger spricht erstmals in "Heute" über Koalitionsverhandlungen, nötige Reformen – <a data-li-document-ref="120073911" href="https://www.heute.at/s/so-will-neos-chefin-die-mindestsicherung-neu-aufsetzen-120073911">und warum sie Entlastungen für notwendig erachtet.</a>
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          Helmut Graf
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