Ukraine
ORF-Mann packt aus: Auch Ukraine schießt auf Zivilisten
Nur Stunden nach der Einigung zur Ausfuhr von ukrainischem Getreide schlugen Raketen im Hafen von Odessa ein. Für Christian Wehrschütz ein Warnsignal.
Nach der Einigung über die Ausfuhr von ukrainischem Getreide haben die unter internationaler Vermittlung festgelegten drei Häfen am Schwarzen Meer mit der Vorbereitung der Transporte begonnen. Die Arbeiten für die Wiederinbetriebnahme der Häfen in Odessa, Tschornomorsk und Juschnyj seien im Gange, teilte die für die Seehäfen zuständige Behörde bei Facebook mit. Laut der am Freitag in Istanbul getroffenen Vereinbarung würden die Schiffsverbände für den Getreideexport über den Seeweg vorbereitet, hieß es. Gebildet werde eine Karawane, die von einem Leitschiff angeführt werden solle.
Die Behörde forderte Reedereien auf, ihre Schiffe dafür anzumelden. Die Vorbereitungen liefen ungeachtet der russischen Raketenangriffe vom Samstag auf den Hafen in Odessa. Das Verteidigungsministerium in Moskau hatte eingeräumt, militärisch genutzte Infrastruktur des Hafens beschossen zu haben. Das löste Ängste aus, das Getreide-Abkommen könne noch platzen. Russland hatte am Freitag in dem Abkommen zugesichert, Schiffe für den Export über einen Seekorridor fahren zu lassen und nicht zu beschießen. Auch die drei beteiligten Häfen dürfen demnach nicht angegriffen werden.
Angriff erst abgestritten, dann zugegeben
Es geht dabei unter anderem um die Ausfuhr von Millionen Tonnen Getreide. Die unter der Vermittlung der Vereinten Nationen und der Türkei unterzeichnete Einigung sieht vor, die Exporte von einem Kontrollzentrum in Istanbul überwachen zu lassen. ORF-Reporter Christian Wehrschütz sieht im Raketenbeschuss des Hafens, der erst von den Russen dementiert und dann zugegeben wurde, ein "Warnsignal": Es lasse sich "sicher erwarten", dass die Exporte immer wieder unterbrochen werden könnten. Warum der Beschuss wohl erfolgte? Schwierig einzuschätzen, so der Experte im Ö1-"Morgenjournal".
Man dürfe nicht vergessen, "im Westen und in Westeuropa sehen wir kaum oder nehmen wir kaum wahr, dass natürlich auch die Ukraine zivile Ziele in den besetzten Gebieten oder auch in den ehemaligen Separatistenrepubliken, den so genannten, beschießt", so Wehrschütz. Dass Russland nur Stunden nach dieser Einigung Odessa beschossen hat, könne bedeuten, dass dies ein militärisches Ziel war, oder aber auch einfach eine Botschaft wie "Passt auf, wenn ihr zu viele zivile Ziele auf unserer Seite beschießt, können wir das auf eurer Seite auch". "Und das Abkommen steht nicht 100 Prozent fest", so Wehrschütz.
"Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer"
Dass Russland die Angriffe erst dementiert und dann zugegeben habe, zeige, dass "im Krieg die Wahrheit das erste Opfer ist". Auf russischer Seite sei das nichts Neues, man müsse nur an den Abschuss des Malaysia-Airlines-Flug 17 und die abenteuerlichen Erklärungsmuster Russlands denken, so Wehrschütz. Aus ukrainischer Sicht sei das Abkommen nun jedenfalls mit einem weinenden und einem lachenden Auge zu sehen. Lachend, weil die Ukraine vielleicht bald wieder exportieren könne, weinend, weil einige Sanktionen gegen Russland dafür aufgehoben werden mussten.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow jedenfalls hat nach den Raketenangriffen auf die Hafenstadt Odessa bekräftigt, dass die internationale Einigung über die Ausfuhr von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer gültig ist. Die Passage über einen Seekorridor solle von einem Kontrollzentrum in Istanbul überwacht werden, sagte Lawrow am Sonntag bei einem Besuch in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Dort sollen Vertreter der Ukraine, Russlands, der Türkei und der Vereinten Nationen tätig sein. Russische und türkische Streitkräfte würden gemeinsam für die Sicherheit der Schiffe sorgen.