Wintersport
ÖSV-Superstar: "Sogar der Rollstuhl stand im Raum"
Olympiasiegerin, Weltmeisterin - jetzt auch Filmstar! ÖSV-Ausnahmeathletin Anna Gasser präsentierte in Wien ihren neuen Film. "Heute" traf sie zuvor.
Nur zwei Knochen hat sich Anna Gasser bei den Tausenden Sprüngen und Salti mit dem Snowboard gebrochen. "Meine Knochen sind stark", lächelt sie beim "Heute"-Talk. Und ja. Stürzen kann man lernen. Bei Gasser begann das früh. "Als Kind habe ich beim Turnen gelernt, mich zu retten, wenn was schief geht. Das ist eine Gabe, die mir heute bei einem schlechten Absprung hilft."
Lähmungserscheinungen mit Folgen
Nicht immer. 2015 ging bei Gasser alles schief, landete sie in den USA kopfüber in einer Grube. "Die Hände waren taub, mein ganzer Körper kribbelte", erinnert sie sich. Sie hatte Lähmungserscheinungen, ein Halswirbel war lädiert. "Sogar ein Leben im Rollstuhl stand plötzlich im Raum. Sechs Wochen wusste ich nicht, wie es weitergeht." Mental sei das der schwierigste Moment ihrer Karriere gewesen. "Ich musste mir die Frage stellen, wieviel mir Snowboarden wert ist. Bei einer Operation wäre es das gewesen. Du hast ein Metall im Genick, da willst du nicht drauf fallen."
„"Der Sturz hat mich auf den Boden gebracht. Ich war vorher zu hungrig"“
Sie spürt normalerweise kurz nach einem Sturz, ob es "etwas Schlimmes ist". Dieses Mal zweifelte sie. "Ich habe mir daheim viele Meinungen eingeholt. Ich gab dem Körper Zeit, wie sich das entwickelt." Beim Blick zurück hat sie der Sturz "ein wenig auf den Boden gebracht". "Ich war vorher zu hungrig", sagt sie selbst.
Nach einigen Monaten Zwangspause startete die Kärntnerin ihre Erfolgsserie. Sie triumphierte bei den X-Games, kürte sich zur Weltmeisterin, später Olympiasiegerin. Sie veränderte mit ihren Sprüngen die Sportart. So will sie das aber nicht sagen.
Mit einer Flasche stillem Mineralwasser in der Hand sitzt Gasser im "Hotel Ritz-Carlton" im Zimmer 321. Am Abend wird der Doku-Film "The Spark Within" ("Der Funke in dir") im Filmcasino präsentiert werden. Beim Schneiden für den Film durfte Gasser mitreden, dabei sah sie Kindheitsbilder von sich, hörte überschwänglich Lob von Konkurrentinnen - und wurde sie auch mit ihren schlimmsten Stürzen konfrontiert. "Ich habe weggeschaut."
Während Gasser erzählt, chillt ihr Freund Clemens Millauer in einem Ringstraßen-Hotel gegenüber. Er ist selbst Snowboarder, hat mit seinem Video-Material der Doku "Der Funke in dir" Nähe und eine persönliche Note verliehen. Snowboarden macht Gasser nicht nur glücklich, sie fand zwischen Kicker und Obstacle auch die Liebe. "Wir haben den gleichen Lifestyle und die gleiche Leidenschaft", sagt sie. Nachsatz: "Beim Film war Clemens echt fleißig, da hat er extrem geholfen. Das war ein Geburtstagsgeschenk für mich."
Gasser ist 30. Im Film gibt Österreichs Sportlerin des Jahres 2017 Privates preis. Ihre Mutter sagt über sie: Sie wollte immer etwas Besonderes tun. Sie hat immer gemacht, nicht viel überlegt. Ihr Vater meint: Wenn sie sich ungerecht behandelt fühlt, ist sie nur schwer erträglich. Das bestätigt sie. "Damit kann ich schwer umgehen. Vielleicht ist das etwas, dass ich lernen muss, dass ich da ruhiger bleibe."
„"Man sollte die Chancen im Leben nützen, ich habe das immer getan"“
Mit ihrer Doku, finanziert von Red Bull, will sie "junge Mädels motivieren, ihren Weg zu gehen. Man sollte die Chancen im Leben nützen. Ich habe das immer getan. Ich hatte keine Erwartungshaltung, wie ich mit dem Snowboarden gestartet habe. Alles was ich erreicht habe und die Aufmerksamkeit, die ich bekam, sind für mich nur Bonus. Darum schätze ich es noch mehr."
Anna ist als Kind am Millstätter See früh im Turnverein. Von dieser Ausbildung zehrt sie bis heute. "Aber ich fühlte mich im Turnen nicht frei." Das kam später im Pulverschnee. Und es begann damit, dass sie ein Cousin zum Boarden mitnimmt. "Die Übungen vom Turnen waren mit dem Snowboard aber plötzlich viel schwer."
Sprung in die Hauptnachrichten
Zehn Meter hoch und 35 Meter weit sprang sie beim Rekordsprung "Cab Triple Underflip". Der dreifache Rückwärtssalto inklusive einer Drehung um 180 Grad war von Australien bis in die USA in den Nachrichten.
„"Was ich jetzt zeige, sind nicht die Tricks mit denen ich aufhöre"“
Das war 2018, ein halbes Jahr nach dem Olympiasieg. Sie selbst glaubt an weitere Meilensteine in ihrer Karriere. "Das ist realistisch. Ich sehe und spüre noch viel Potential. Wenn ich nicht mehr besser werden könnte, würde ich aufhören. Was ich jetzt zeige, sind nicht die Tricks mit denen ich aufhöre. Man muss groß träumen, damit etwas wahr wird.“
Ihr Weg nach oben war lang. "Als ich begann, kannten meine Eltern diese Sportart nicht", erzählt sie. "Frauen waren nicht zugelassen. Erst als die ersten Doubles bei den Damen gefallen sind, ist Big Air zu einer eigenen Disziplin geworden." Heute verdienen Frauen so viel wie Männer. Auch weil Gasser 2020 mit ihren Kolleginnen dafür streikte. "Das wäre ein Schritt zurück gewesen. Wir haben das verhindert."
„"Ich hoffe, dass in Zukunft im ÖSV alle Sportarten auf einer Ebene sind"“
Dass jetzt mit Roswitha Stadlober eine Frau ÖSV-Präsidentin ist, findet sie "echt cool". Kennengelernt haben sie sich noch nicht. "Ich bin gespannt, ob das Veränderungen bringt." Es gäbe Reformbedarf im Skiverband. Gasser grinst dabei ein Grinsen, das mehr sagt als ihre Worte. Dann fügt sie hinzu: "Ich hoffe, dass in Zukunft alle Sportarten auf einer Ebene sind. Sei es Skispringen, sei es Langlaufen, sei es hoffentlich auch Snowboarden. Für uns wäre es schön, wenn wir mehr Support bekommen würden. Besonders was den Nachwuchs betrifft. Ich habe allein gestartet ohne Verband. Da wird zu wenig getan in Österreich. Da gehört ein System her wie beim Skifahren, dass man Kinder früher zu dieser Sportart bringt."
„"Ich wäre als Skifahrerin bekannter, aber nicht so frei"“
Skifahrerin wollte sie übrigens nie sein. "Nein. Ich bin froh, dass ich eine Snowboarderin bin. Ich wäre als Skifahrerin bekannter, aber nicht so frei. Nicht im Verband und nicht im Land.“
Trainieren tut Gasser heute "härter als früher". Am Berg würde sie taktischer agieren, nicht mehr alles riskieren - vor allem bei Schlechtwetter.
"Ich glaube, ich bin noch nicht am Limit. Das ist es, was mich reizt." Und natürlich Olympia in Peking. 2014 rutsche sie peinlich den Starthügel runter, 2018 holte sie als Favoritin mit Top-Sprüngen Gold. "Da war der Druck riesig. Heuer spüre ich diese Last nicht."
Kinder will sie später ganz sicher einmal haben. "Aber erst in ein paar Jahren. Ich würde es auch akzeptieren, wenn sie Skifahren würden."