"Heute"-Interview
Neureuther: "Mit Hirscher fingen die ÖSV-Probleme an"
Felix Neureuther war Hirscher-Rivale und dennoch Liebling der Ski-Fans. Mit "Heute" sprach er über ÖSV-Fehler und eine Playstation für seine Kinder.
"Heute": Waren Ihre Kinder schon mit den Hirscher-Kids auf der Skipiste?
Felix Neureuther: "Nein, noch nicht."
Wie kann man sich die Freundschaft von Ihnen und Marcel Hirscher vorstellen. Schreibt man sich WhatsApp-Nachrichten? Trinkt man drei Bier?
"Wir telefonieren ab und zu. Wir haben ja beide Familie und viele Projekte. Wenn ich in der Nähe bin, rufe ich ihn an. Das ist aber alles ungezwungen, das ist das Schöne."
„Ich musste sogar mehr Weltcuprennen als meine Eltern gewinnen, damit die Leistungen akzeptiert werden “
Hirscher hat nach seiner Karriere über den enormen Leistungsdruck geklagt. Von Ihnen hat man das nicht gehört. Warum?
"Wahrscheinlich weil ich nicht so erfolgreich war wie er. Aber wenn man sich mein Leben anschaut, dann hatte ich von Kindesbeinen an Druck. Meine Eltern waren erfolgreiche Skifahrer. Sie haben das gut gemacht und versucht, alles von mir fernzuhalten. Aber in der Erwartungshaltung der Menschen musste ich Skifahrer werden und Erfolge feiern. Ich musste sogar mehr Weltcuprennen als meine Eltern gewinnen, damit die Leistungen akzeptiert werden."
„Der liebe Gott hat es schon sehr gut gemeint mit Odermatt“
Hirscher sagte: Er fühlt sich heute, nach der aktiven Karriere, endlich frei. Ist das bei Ihnen auch so?
"Für mich ist Druck eine große Schule. Ich bin extrem dankbar, das erlebt zu haben. Ich vermisse den Moment, vor 50.000 Fans im Starthaus zu stehen, damit umzugehen und die Situation zu meistern. Wer darf das erleben? Ich sehe das als Privileg. Es geht darum, das vermeintlich Negative ins Positive umzukehren."
Odermatt dominiert seit zwei Jahren den Weltcup. Kann er Hirscher-Sphären erreichen?
"Ja, wird er auch. Er ist ein unfassbarer Typ. So einen wie ihn gibt es ein Mal in 100 Jahren. Er genießt das Leben und liefert ab. Odermatt macht von Natur aus so viel richtig. Was er macht, kann man nicht antrainieren. Ich schaue ihm einfach gern zu. Der liebe Gott hat es schon sehr gut gemeint mit ihm."
„Bei Schwarz habe ich das Gefühl, dass er alles zerreißen will“
Große ÖSV-Hoffnung ist heuer Marco Schwarz. Er will zumindest bis Weihnachten alle Rennen fahren. Was halten Sie davon?
"Ich schätze ihn sehr. Ich bin gespannt und glaube, dass es nicht einfach wird. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Der Slalom wird darunter leiden. Ich denke, dass er sich dem voll bewusst ist. Dort ist er groß geworden, war er ein Siegfahrer. Die Gefahr ist, dass er das nicht step by step angeht. Ich habe bei ihm im Speed-Bereich das Gefühl, dass er alles zerreißen will."
Warum ging Österreich die Dominanz im Ski-Weltcup verloren?
"Für mich ist ein Fehler gemacht worden: das individuelle Training. Österreich zeichnete die mannschaftliche Geschlossenheit aus. Zu Zeiten von Maier oder Raich haben sich die Läufer gegenseitig hochgepusht. Hirscher war dann nicht mehr Teil des Teams. Da fingen die Probleme an."
„Für viele im ÖSV ist mit dem Kaderstatus das Ziel erreicht“
ÖSV-Vize Patrick Ortlieb beklagte letzte Saison eine Wellness-Oase im Verband. Sehen Sie das auch so?
"Ich tue mir schwer, das zu beurteilen. Ich kann nur aus meiner aktiven Zeit reden. Da waren die Unterschiede zwischen mir und den ÖSV-Stars groß. Ich flog Holzklasse, bei den ÖSV-Läufern war das anders, die schwebten ein. Das hat aber nicht nur Vorteile. Viele Junge in Österreich sind zufrieden, wenn sie die ÖSV-Jacke anhaben. Die kriegen sie schon in jungen Jahren. Für viele ist mit dem Kaderstatus das große Ziel erreicht, dabei geht es erst los."
„Ich gebe zu, für uns als Familie ist es schwierig, in ein Restaurant zu gehen“
Sie machen sich für sportliche Kinder stark, sind selbst dreifacher Vater: Kriegen Ihre Kinder eine Playstation, wenn sie der Sitznachbar in der Schule auch hat und ihre Kinder sie höflich fragen?
"Wir versuchen die viereckigen Kasteln so gut es geht von unseren Kindern fernzuhalten. Kinder lernen über ein visuelles System. Sie sehen und machen das, was wir Eltern ihnen vorleben. Unsere Große kam gerade in die Schule. Wenn einem dann empfohlen wird, für das Kind ein Tablet zu besorgen, um das Schreiben zu lernen, muss ich klar sagen: Sorry, da bin ich raus. Ich finde, Kinder sollten mit einem Stift und einem Blatt Papier schreiben lernen. Mir ist bewusst, dass man das Tablet nicht ewig von den Kindern fernhalten kann."
Welchen Sport machen Sie mit Ihren Kindern?
"Nichts Spezifisches. Ich versuche, den natürlichen Bewegungsdrang freien Lauf zu lassen. Ich gebe zu, für uns als Familie ist es schwierig, in ein Restaurant zu gehen. Meine Kleinen rutschen schnell hin und her, dabei bleibt es dann auch nicht. Wenn ich das bei einer anderen Familie sehe, beginne ich nicht mit den Augen zu rollen. Ich kenne das zu gut. Ich halte das für besser als ein Tablet beim Essen vor die Nase zu setzen, wo Eltern dann die Gabel in den Mund der Kinder stecken müssen."