Tennis-Ikone
Becker in Wien: "Ich musste die Parasiten loswerden"
Boris Becker stattete Wien einen Kurzbesuch ab. In der Stadthalle sprach er über falsche Freunde und die Gewinner-DNA. "Heute" begleitete ihn.
Boris Becker ist auf Wien-Besuch. Am Vormittag spazierte er durch den 1. Bezirk. "Ihr wisst nicht, wie schön eure Stadt ist." Ab elf Uhr beehrte er die "Erste Bank Open", redete in der Stadthalle über seinen neuen Job, alte Fehler - und was wirklich wichtig im Leben ist.
"Ich musste schwimmen lernen"
"Heute" begleitete die Tennis-Ikone, die wegen einer Insolvenzverschleppung zuletzt 255 Tage im Gefängnis saß.
"Ich musste schwimmen lernen", sagte Becker. "Der Freundeskreis wird schnell größer mit den Erfolgen, dann schrumpft er rasch. Ich musste viele Lügner und Parasiten loswerden im Laufe meines Lebens."
"Es geht mir besser als vor fünf Jahren"
"Ich bin exzessiv, das ist mir bewusst. Ich lebe aber nur einmal. Ich weiß mittlerweile, was ich kann. Und ich weiß auch, was ich nicht kann. Das macht mich ruhiger. Es geht mir besser als vor fünf oder zehn Jahren."
"Ich komme oft arrogant rüber. Es ist aber auch nicht so einfach, wenn dich jemand anredet, weil du ihm 1993 ein Autogramm gegeben hast."
Mit 17 Jahren kürte sich Becker 1985 zum Wimbledon-Sieger. Ein neuer Sport-Held war geboren. "Ich will nicht sagen, was beim Matchball in mir vorging. Ich war irgendwo zwischen Himmel und Hölle."
Der Tennis-Zirkus ist für Becker ein "Haifisch-Becken". "Der Tennisplatz kann der schönste und auch der einsamste Platz der Welt sein. Du brauchst eine gewisse Persönlichkeit, dass du das gut findest."
Für Becker ist "Druck nicht Belastung". "Druck ist ein Privileg. Es ist die Chance, heute besser zu sein als gestern. Bei mir war das immer so. Es gucken eben ein, zwei Menschen mehr zu als bei anderen."
Jetzt ist Becker zurück im Geschäft. Mit Holger Rune trainiert er einen der begabtesten Tennisspieler. Experten rechnen in Zukunft mit dem 20-jährigen Dänen, der zuletzt in eine Krise schlitterte. Heute Abend wird Becker in Basel erstmals als Trainer in der Box von Rune sitzen. "Da muss ich vorher die richtigen Worte finden. Meine Zeit in Wien ist also begrenzt."
"Holger war nicht meine einzige Anfrage" verriet Becker in der Stadthalle. "Es passte aber das Timing. Er erlebt eine herausfordernde Zeit. Da sind die Spieler offen für Neues. Es ist eine sensible und private Entscheidung, wenn man sich für einen Trainer entscheidet."
Wie legt Becker den Trainerjob an? "Ich mache die Trainingsgestaltung und die Matchstrategie. Das Training leite ich, sonst könnte ich die Verantwortung nicht übernehmen. Im Mittelpunkt aber steht der Spieler und nicht ich. Ich muss bei Holger eher das Training reduzieren. Er ist tennisverrückt, er ist leidenschaftlich. Das kann ein großer Vorteil sein, wenn man die Energie richtig kanalisiert. Falls nicht, geht es nach hinten los.“
"Die Frage ist, wen lasse ich in mein Haus"
Becker hat den Absturz von Dominic Thiem verfolgt. "Er hat das Tennis nicht verlernt. Fakt ist: Er ist derzeit nicht Weltspitze und hat eine Menge Arbeit vor sich. Nach schweren Verletzungen ist die Frage: ,Warum kommt man wieder?‘ Dominic muss bereit sein, einen hohen Preis zu zahlen. Das muss er für sich selbst entscheiden."
Für Becker ist das "Umfeld wichtig". "Die Frage ist, wen lasse ich in mein Haus. Ich habe nicht oft genug Nein gesagt. Es sind viele Schlawiner unterwegs im Tennis."
Als klassischer Super-Coach sieht sich Becker nicht. "Ich bin einer, der viel erlebt hat. Nachteil ist das keiner. Das sieht man auch bei Ferrero und Alcaraz."
Becker spielt auch heute noch Tennis. Wegen Hüft-Operationen hat er dann aber eine Bitte an seine Partner. "Spielt nicht gegen mich, sondern mit mir. Wenn ich mit Holger spiele, stelle ich mich in eine Ecke." Nachsatz: "Mein Aufschlag war besser als seiner. Aber sagen wir ihm das lieber nicht."
Die Schläge sind für Becker die Basis, um Erfolg zu haben, ganz oben entscheidet aber die mentale Stärke. "Spiele werden im Kopf entschieden. Viele gehen den einfachen Weg, der harte Weg ist aber notwendig. Es muss Spaß machen, weil man ihn ständig wiederholen muss. Das Wichtigste ist es, Spiele zu Ende zu spielen und nicht bei 2:4 den Kopf hängen zu lassen."
Becker glaubt stark an eine Gewinner-DNA. "Viel wird dir über die Muttermilch mitgegeben. Bist du stark oder schwach als Charakter? Ziehst du gerne in den Kampf? Das ist vorgegeben."
In Zukunft arbeitet Becker mit einem 20-Jährigen. "Ich kenne das von meinen Kindern. Ich weiß, wie sie ticken."
"Heute ist es schwieriger, mit 17, 18 Jahren etwas zu gewinnen. Gewinnst du das Halbfinale und drehst das Handy auf, glauben viele den eigenen Hype. Sie werden von der Öffentlichkeit erdrückt. Es gibt aber dann noch ein Finale. Darum erfolgt die sportliche Entwicklung heute oft später."
Die sozialen Medien seien die größte Gefahr. "Junge Menschen leben alle in einer Welt, die nicht realistisch ist. Es geht dabei um die geistige Gesundheit. Die Erwartungshaltung ist einfach zu hoch. Der gesunde Menschenverstand ging verloren. Die Erwartungshaltung ist zum Teil illusorisch. Es ist wichtig, Schwächen zuzugeben. Jeder kann hinfallen, du musst aber wieder aufstehen."
Für Becker ist klar: "Die Ära von Djokovic, Federer und Nadal ist einzigartig. Und Djokovic wird nicht von sich aus aufhören, zu gewinnen. Die Jungen werden ihn stören müssen, sonst gewinnt er noch zehn Jahre weiter. Für mich ist aber klar, dass Djokovic mit 36 Jahren nicht so gut ist wie mit 26 Jahren."
Carlos Alcaraz ist für ihn der erste Herausforderer. Er hat aber seit dem Wimbledon-Triumph kein Turnier gewonnen. "Das ist kein Zufall, es wird nach seinen Schwächen gesucht." Beckers Beobachtung: "Die Umkleidekabine schläft nicht."
Er auch nicht. Und weg war er. In Basel wartet Holger Rune auf ihn.