Coronavirus
Nach Lockerungen bricht Impfquote dramatisch ein
Die Zahl der verabreichten Impfdosen ist auf ein Drittel gesunken. Der Fall der Maßnahmen weckt Furcht, dass sich kaum mehr jemand impfen lassen wird.
Die Impfquote in der Schweiz ist dramatisch gesunken – gegenüber Anfang des Jahres auf unter ein Drittel. Ein Blick auf die Impfkurve des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zeigt: Wurden am 7. Jänner im Sieben-Tages-Durchschnitt noch rund 65.000 Zweit- oder Boosterimpfungen verabreicht, waren es am 29. Jänner nur noch rund 20.000.
Thomas Kraft, Geschäftsleiter des Impfzentrums Winterthur, bestätigt: "No Shows gibt es in letzter Zeit oft." Viele Personen meldeten sich auch ab, weil sie sich mit dem Virus angesteckt hätten. Auch das Gesundheitsdepartement Basel-Stadt registriert im Vergleich zur Vorwoche bei den Boosterimpfungen einen Rückgang von 50 Prozent, respektive 40 Prozent bei den Erstimpfungen. Und beim Berner Gesundheitsdepartement heißt es: "Dass die Impfbereitschaft von Woche zu Woche weiterhin abnehmen wird, ist anzunehmen."
Praktische Gründe hätten zur Impfung motiviert
Bereits in zwei Wochen könnten die verbleibenden Maßnahmen auf einen Schlag fallen. "Wir werden bald alle unsere Freiheiten zurückgewinnen", versprach Bundespräsident Ignazio Cassis (FDP) am Mittwoch. Gleichzeitig rief er die Bevölkerung auf, sich weiterhin impfen zu lassen: "Impfen und Boostern ist nach wie vor das wirksamste Mittel, um Krankheit, Leiden und Tod zu vermeiden." Doch die Aussicht auf das Ende der Maßnahmen weckt die Befürchtung, den Abfall der Impfquote zu beschleunigen.
Oliver Ender, Verhaltenspsychologe und Inhaber der Psychologischen Praxis Uster, rechnet mit einer einbrechenden Impfquote. "Jetzt wird sich kaum jemand noch impfen oder boostern lassen." Die Impfnachzügler hätten sich nur aus praktischen Gründen impfen lassen. "Kommt man bald wieder überall ohne Zertifikat rein, besteht kein Impfanreiz mehr."
Eine "20 Minuten"-Impfumfrage vom letzten November liefert ein weiteres Indiz dafür, dass dies zutreffen könnte: Die Mehrheit der Befragten gab an, sich wegen des Zertifikats impfen haben zu lassen. Mit der heute dominierenden und weniger gefährlichen Omikron-Variante dürfte dieses Argument noch ausschlaggebender sein.
"Normalität ohne Zertifikat lockt"
Auch Corina Wirth, Geschäftsführerin des Fachverbands Public Health Schweiz, könnte sich vorstellen, dass es schwierig wird, Kinder und Jugendliche jetzt noch zur Impfung zu motivieren: "Sie sind selten schwer am Virus erkrankt, und gleichzeitig lockt die Normalität ohne Zertifikat."
Der Bundesrat schätzt, dass die Immunität in der Bevölkerung bei rund 90 Prozent liegt. Dennoch blicken Immunologen besorgt auf die Lockerungsphase. "Es ist zu befürchten, dass die Impfquote einbricht", sagt Immunologe Daniel Speiser. Angesichts der Lockerungen werde die Stimmung vermittelt, die Pandemie sei überwunden.
"Jetzt sollte man sich erst recht impfen lassen"
Hoch ist die Immunität zurzeit auch, weil darunter auch zahlreiche Genesene ohne jegliche Impfung fallen. Speiser warnt davor, eine Genesung als Impf-Ersatz zu betrachten. "Den nötigen Schutz hat man nur, wenn man mit dem Virus-Eiweiß dreimal konfrontiert wurde – entweder in Form von drei Impfungen oder weniger als drei Impfungen plus Genesung."
Die Öffnungen bieten laut Speiser genügend Risiken und treiben die Fallzahlen erneut in die Höhe. "Es besteht die Gefahr, dass wir unsere Erfolge verspielen, wenn wir die Impfquote vernachlässigen." Je weniger Menschen sich impfen ließen, desto plötzlicher und stärker könnten erneute Wellen zuschlagen.
Für Corina Wirth ist klar: "Jetzt sollte man sich erst recht impfen lassen – mit dem Wegfall der Maßnahmen sind wir dem Virus so schutzlos ausgeliefert wie seit zwei Jahren noch nie."