Coronavirus
"Mutter schmiss mich raus, weil ich mich impfen ließ"
Verschwörungstheorien bezüglich der Corona-Pandemie entzweien Familien und Freunde. Drei Betroffene erzählen, wie sie damit umgehen.
"Das hätte ich mir bei dieser Person nie gedacht!" Diesen Satz hat die Bundesstelle für Sektenfragen im vergangenen Jahr so oft gehört, wie noch nie. Das zentrale Thema der Sektenstelle war 2020 ganz klar die Corona-Pandemie. Denn quasi in einem Atemzug mit den ersten Infektionen kamen die ersten Verschwörungstheorien auf.
Was hinter den Corona-Verschwörungstheorien steckt >>
Insbesondere über Social Media verbreiteten sich Fake News und Fehlinformationen wie ein Lauffeuer und führten zu teilweise heftigen Konflikten unter Familien und Freunden. Erstmals zeigt sich dabei ein neues und überraschendes Personenprofil. Seit der Pandemie sind Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben und diese verbreiten, sehr viel diverser. Frauen wie Männer waren gleichermaßen betroffen, ebenso alle Altersgruppen und Bildungsschichten.
Besorgte Angehörige ordneten solche Personen bisher eher dem links-grün-alternativen Spektrum zu, bemerkten nun aber einen starken Rechtsruck, der sich oft auch mit antisemitischen Aussagen manifestierte. Eine Häufung gab es bei den über 40-Jährigen, wohl weil diese leichter unter den Einfluss von Falschinformation und Manipulation des Internets geraten als jüngere Menschen. In "20 Minuten" beschreiben drei Betroffene solcher Konflikte ihre Erfahrungen.
Anonym (25, m): "Sie warf meine Kindheitsbilder in den Müll"
"Meine Mutter driftete bereits zu Beginn der Corona-Pandemie in Verschwörungs-Kreise ab. Sie ist sehr stark depressiv, kämpft bereits ihr ganzes Leben lang mit der Krankheit. In den letzten Jahren verschlechterte sich ihre Verfassung. Meine Beziehung zu ihr war deshalb bereits vorher nicht leicht, doch mit dem Beginn der Pandemie wurde alles noch viel schlimmer. Sie verkehrte wohl schon früh in Querdenker-Kreisen, lernte in der Community schnell neue Freunde kennen, was mich zunächst gefreut hat.
Doch die Beziehung zu ihr ist im letzten Jahr deutlich schwieriger geworden. Bei einigen Besuchen wollte sie mir das in einschlägigen Kreisen bekannte 'Allheilmittel' Chlordioxid verabreichen. Später brach ein Streit aus, weil ich mich impfen ließ. Sie drohte, sich an denjenigen zu rächen, die mich in meiner Entscheidung bestärkt hatten. An diesem Abend forderte sie mich auf, alle meine Sachen zu packen und nicht mehr nach Hause zu kommen. Sie sagte, sie könne sich nicht ansehen, wie ihr Sohn sterben werde – eine weitere Verschwörungstheorie.
Im Streit warf sie die Bilder meiner Kindheit vor meinen Augen in den Müll. Dieser Abend war mit Abstand der größte Tiefpunkt meines Lebens. Ich brach den Kontakt danach ab. Es war sehr hart. Es fühlte sich an, als habe sich eine Wand zwischen mir und meiner Mutter aufgebaut, als würden wir in zwei verschiedenen Welten leben. Ich verstand ihre Ängste und Sorgen einfach nicht mehr und konnte auch nicht mehr darauf eingehen. Ich konnte mit ihr über nichts mehr alltägliches reden, für sie gab es nur noch Corona. Zum Glück unterstützen mich meine Freunde und meine Freundin. Ich habe mich mit der Situation abgefunden. Aber die Hoffnung auf eine schnelle Versöhnung habe ich verloren."
Anonym (31, w): "Diskussionen sind nicht mehr möglich"
"Seit seiner Pensionierung hat mein Schwiegervater begonnen, sich zunehmend mit alternativen Thematiken auseinanderzusetzen. Waren es anfangs noch harmlose Esoterik-Kurse, sieht er sich nun Verschwörungstheorien nicht abgeneigt. Dazu vertritt er auch zunehmend eine antisemitische Haltung und verleugnet etwa den Holocaust. Corona hält er für eine harmlose Grippe, wobei er und seine Freunde zu einem kleinen Bevölkerungsanteil gehörten, welche noch 'selbstdenkend' agierten. Diese Bestätigung in seinem Freundeskreis führt dazu, dass er sich zunehmend nach außen isoliert.
Corona ist ein permanentes Thema, sachliche Diskussion sind nicht mehr möglich. Schutzmaßnahmen und Tests verweigert er, auf das gemeinsame Weihnachtsfest und auf Treffen mit seinem viermonatigen Enkel verzichtet er deshalb. Auch meine Schwägerin steckt im Verschwörungssumpf. Sie weigert sich resolut, Masken anzuziehen und will auch nicht, dass sich ihr Kind an die Corona-Maßnahmen hält. Wir versuchen trotz allem, den gemeinsamen Kontakt zu diesen Familienmitgliedern aufrecht zu erhalten. Doch solange die Verschwörungstheorien um Corona weiterhin zirkulieren, ist das Konfliktpotenzial einfach zu groß."
Ian (23): "Von meinem Onkel höre ich gar nichts mehr"
"Mein Onkel kommt nicht mehr an Familienfeste, weil er komplett in den Verschwörungstheorien drin hängt. Als Grund gab er an, nicht mit allen ständig diskutieren zu wollen. Seine Ansichten sind sehr radikal, doch zum Glück hetzt er nicht und behält seine Meinung größtenteils für sich.
Trotz unterschiedlichen Meinungen verstehen sich die restlichen Familienmitglieder untereinander immer noch gut, von ihm hört man mittlerweile aber gar nichts mehr. Ich finde es schade, weil ich glaube, dass man von anderen Meinungen – auch wenn man sie nicht teilt – profitieren und sein Weltbild erweitern kann. Das fällt vielen leider sehr schwer. Ich bedaure, dass uns mein Onkel deswegen nicht mehr sehen will."