Österreich

Muss weiterhackeln! Wienerin zu krank, um krank zu sein

Im Herbst 2020 erkrankte Yvonne A. (49) an Corona. Seitdem leidet die Wienerin an Long Covid. Trotzdem wurde sie als arbeitsfähig eingestuft.

Christine Ziechert
Yvonne A. (49) mit ihrem Mann Herbert im Jänner 2022, bei einem der sehr seltenen Ausflüge.
Yvonne A. (49) mit ihrem Mann Herbert im Jänner 2022, bei einem der sehr seltenen Ausflüge.
Denise Auer, zVg

Schmerzmittel, viel liegen und schlafen: So sehen die Tage von Yvonne A. (49) aus: "Seit Oktober war sie ein einziges Mal draußen – am Neujahrstag im Rollstuhl", erzählt ihr Mann, Herbert A. (54) im Gespräch mit "Heute". Jeden Tag steht der Wiener vor 5 Uhr Früh auf, um seiner Frau das Frühstück herzurichten: "Um 6 Uhr beginne ich dann zu arbeiten, damit ich um 14.30 Uhr wieder daheim sein kann, um ihr Mittagessen zu machen."

Der Leidensweg von Yvonne A. begann im Herbst 2020. Der damals 17-jährige Sohn kommt krank von der Berufsschule heim, hat Corona. Einige Tage später erwischt es auch die 49-Jährige, die damals gerade eine Ausbildung zur Personalverrechnerin absolviert: "Die akute Phase dauerte fünf Wochen bei ihr. Yvonne war sehr krank, musste aber zum Glück nicht ins Krankenhaus", erinnert sich ihr Mann.

1/50
Gehe zur Galerie
    <strong>21.11.2024: Für 4,90 Euro völlig ungenießbares Schulessen serviert</strong>. Die Debatte um Mittagessen und Jause in heimischen Schulen und Kindergärten kocht hoch. <a data-li-document-ref="120073491" href="https://www.heute.at/s/fuer-490-euro-voellig-ungeniessbares-schulessen-serviert-120073491">"Es schmeckt nicht", ärgert sich nicht nur Wienerin Daniela D.</a>
    21.11.2024: Für 4,90 Euro völlig ungenießbares Schulessen serviert. Die Debatte um Mittagessen und Jause in heimischen Schulen und Kindergärten kocht hoch. "Es schmeckt nicht", ärgert sich nicht nur Wienerin Daniela D.
    privat, iStock
    "Yvonne hatte Kopfschmerzen 'aus der Hölle', Konzentrationsschwierigkeiten und konnte nicht mehr lesen, weil sie alles dreifach oder doppelt sah" - Herbert A.

    Als sich die Wienerin wieder halbwegs fit fühlt, fährt sie wieder zur Arbeit: "Sie hat es ein paar Tage lang probiert, aber sie hat einen ganzen Arbeitstag einfach nicht mehr geschafft. Sie hatte Kopfschmerzen 'aus der Hölle', Konzentrationsschwierigkeiten und konnte nicht mehr lesen, weil sie alles dreifach oder doppelt sah", berichtet Herbert A.

    Die heute 49-Jährige geht in den Krankenstand, doch ihr Zustand bessert sich nicht – im Gegenteil: "Sie hatte und hat massive Magen-Darm-Probleme, Nervenschmerzen und Schlafprobleme. Ganz dominant aber war, dass es ihr nach einer Belastung wesentlich schlechter ging", meint ihr Mann. 

    1/9
    Gehe zur Galerie
      Der gesamte Organismus
      Der gesamte Organismus
      iSTock, Infgrafik "HEUTE"

      Wienerin leidet nicht nur unter Long Covid

      Yvonne A. sucht den renommierten Neurologen Michael Stingl auf – er ist spezialisiert auf postvirale Erkrankungen. Bei der Wienerin wird Long Covid, später dann noch ME/CFS (Chronisches Fatigue Syndrome), MCAS (Mastzellenaktivierungssyndrom) und POTS (Posturales Tachykardie-Syndrom) diagnostiziert: "Zusätzlich besteht noch der Verdacht auf Small-Fiber-Neuropathie", erklärt Herbert A.

      Neben den gesundheitlichen Problemen muss sich die 49-Jährige auch mit der ÖGK herumschlagen: "Die ÖGK schrieb Yvonne immer wieder gesund, die Mitteilung darüber lag Wochen danach oder gar nicht im Postkasten. Schließlich meinte die ÖGK, dass sie den Krankenstand nur verlängern, wenn Yvonne einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension stellt, weil ihrer Ansicht nach keine Chance auf Gesundung innerhalb des nächsten halben Jahres bestand", blickt ihr Mann zurück. Yvonne A. suchte daher bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) darum an.

      "Yvonne konnte immer schlechter gehen, schließlich mussten wir uns einen Rollstuhl mit Elektrozusatz-Antrieb anschaffen, damit sie überhaupt noch an die frische Luft kam" - Herbert A.

      Mit letzter Kraft schloss die Wienerin den Personalverrechnungskurs, der online stattfand, mit einer Prüfung im November 2021 ab: "Danach verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand deutlich. Yvonne konnte immer schlechter gehen, schließlich mussten wir uns einen Rollstuhl mit Elektrozusatz-Antrieb anschaffen, damit sie überhaupt noch an die frische Luft kam", erzählt der ehemalige Grüne Bezirkspolitiker. 

      Nach einer Begutachtung lehnte die PVA den Antrag auf Berufsunfähigkeitspension im Dezember 2021 ab. Mit Hilfe der Arbeiterkammer klagte Yvonne A. gegen den negativen Bescheid, musste für die Gerichtsverhandlung mehrere Gutachter-Termine – etwa bei einem Neurologen – wahrnehmen: "Nach einigen Tagen intensivem Pacing, also Nichtstun, konnte Yvonne die Termine in halbwegs gutem Zustand absolvieren. Danach hatte sie aber jedes Mal einen massiven Einbruch", meint Herbert A.  

      Gutachter bescheinigten Arbeitsfähigkeit

      Laut dem Wiener half ein Gutachter Yvonne nach der Untersuchung sogar noch in den Rollstuhl, weil sie sich kaum auf den Beinen halten konnte: "Aber ins Gutachten schrieb er dann, dass sie arbeitsfähig ist und auch selbstständig mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren kann", ist der Wiener wütend. Auch ein weiterer Gutachter bescheinigte Yvonne A. Arbeitsfähigkeit: "In einem Gutachten wurde sogar vorgeschlagen, dass Yvonne als Portier arbeiten kann", ist Herbert A. fassungslos.

      Im Juni 2022 fand die erste Verhandlung gegen die Ablehnung der Berufsunfähigkeitspension statt, ein zusätzliches psychologisches Gutachten wurde gefordert. Und dieses hatte es in sich: "Diese psychologische Untersuchung zeigte zwar schwere Einschränkungen, aber ein zusätzlicher Test besagte angeblich, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Yvonne beim Test simuliert hat, groß ist", so der Wiener. Der Grund dafür: Die Wienerin hatte zu viele Krankheitssymptome angegeben, daher wurde ihr unterstellt, dass sie schwindelt. 

      "Die Richterin ließ beim Prozess durchblicken, in welche Richtung das Urteil gehen wird. Daher haben wir die Klage zurückgezogen" - Herbert A.

      Yvonne A. zog schließlich die Klage gegen die PVA zurück: "Die Richterin ließ beim Prozess durchblicken, in welche Richtung das Urteil gehen wird. Daher haben wir die Klage zurückgezogen. Denn die Sperrfrist für einen Neuantrag der Berufsunfähigkeitspension ist so kürzer. In einigen Monaten können wir dann wieder einen neuen Antrag stellen", erklärt Herbert A. 

      Bis dahin switcht Yvonne A. zwischen Kranken- und Arbeitslosengeld: "Sie kann sich immer wieder krank melden, dann muss sie wieder eine Pause machen und neu beantragen. Wenn sie beim AMS gemeldet ist, haben wir wiederum das Problem, dass sie Vermittlungsvorschläge erhält oder einen Kurs zugewiesen bekommt", meint der Wiener.

      Neuer Antrag in einigen Monaten

      Doch warum erhält die 49-Jährige keine Berufsunfähigkeitspension? – "Heute" fragte bei der PVA nach: "Frau A. hat am 2. August 2021 einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension und am 29. Dezember 2021 einen Antrag auf Pflegegeld eingebracht. Nach Abschluss des medizinischen Feststellungsverfahrens konnte Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 mit Bescheid vom 7. Februar 2022 zuerkannt werden. Der Pensionsantrag musste jedoch mangels Vorliegen von Berufsunfähigkeit im Sinne der geltenden gesetzlichen Bestimmungen mit Bescheid vom 30. Dezember 2021 abgelehnt werden." Frau A. habe zudem ein am 20. August 2021 von der PVA bewilligtes Rehab-Heilverfahren nicht in Anspruch genommen.

      Nun gelte es, "eine in die Wege geleitete Wiederbegutachtung zur Prüfung des weiteren Pflegebedarfes abzuwarten." Yvonne A. wird nach eigenen Angaben zudem in absehbarer Zeit einen neuen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension stellen. Ob dieser genehmigt wird, steht in den Sternen: "Zurück bleibt eine schwerkranke Frau und das Gefühl der Machtlosigkeit. Egal was man vorbringt: Es wird einem nicht geglaubt. Und die Erkenntnis, dass das österreichische Sozialsystem nicht für jeden Fall gerüstet ist", ist das Fazit von Herbert A.