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"Ein Gefühl, als sei man am Ende der Welt"

Nicolas Saameli ist auf dem Fahrrad von China zurück in die Schweiz gefahren. Im Interview schildert der Schweizer seine skurrilsten Erlebnisse.

Heute Redaktion
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Nicolas Saameli (29) aus Basel war fünf Monate auf dem Fahrrad unterwegs. Von Hongkong aus fuhr der Journalist durch China, über die tibetische Hochebene und durch Tadschikistan, Usbekistan, Kasachstan, Aserbeidschan, Georgien, die Türkei, Bulgarien, den Balkan und Italien. Am vergangenen Samstag erreichte er die Schweiz.

Was war das Highlight deines Fahrrad-Trips?

Der Pamir-Highway durch Tadschikistan. Die Strecke von China nach Tadschikistan beginnt auf dem Karakorum-Highway und führt über den Pamir. Das sind die zwei höchsten Fernstraßen der Welt. Die Natur dort ist unglaublich. Man hat das Gefühl, man sei am Ende der Welt oder auf dem Mond. Wenn man in der Schweiz lebt, kann man sich eine solche Landschaft mit sehr hohen Bergen, aber null Vegetation gar nicht vorstellen – eine Wüste auf 4.000 Metern Höhe.

Was war dein schlimmstes Erlebnis?

Das war in der Türkei. Ich musste dort schnell vorwärtskommen, und die türkische Nordküste ist zwar schön, aber die Straßen sind nicht so toll zum Fahrradfahren. Ich bin schlussendlich ungefähr 700 Kilometer auf der Autobahn gefahren – von der georgischen Grenze bis zur Stadt Sinop. Das Fahren an sich war nicht so schlimm, denn auf dem Seitenstreifen ist es deutlich sicherer als auf einer Hauptstraße. Aber ich war gestresst, hatte wenig Zeit und bin von morgens bis abends einfach nur gefahren. Ich war sehr einsam, hatte niemanden zum Reden. Dann habe ich auch noch meinen Ebook-Reader verloren und konnte nicht mal mehr lesen.

Du hast nicht nur den Reader verloren, oder?

Ich habe praktisch alles verloren, was man verlieren kann. Meine Kopfhörer habe ich in einem Bus in China liegen lassen. Ich hatte eben sechs Fahrradtaschen, die ich dauernd ein- und auspacken musste, da passiert so etwas schnell. Riesenpech hatte ich gleich am Anfang mit meiner Drohne. Als ich sie in China das erste Mal richtig starten und damit filmen wollte, habe ich die Verbindung zu ihr verloren. Sie ist irgendwo ins Gebüsch geflogen und ich habe drei Stunden nach dem blöden Ding gesucht und mir an Dornen die Arme zerkratzt. Irgendwann habe ich aufgegeben. Die Drohne zu verlieren, war auch eine Erleichterung: Nach Usbekistan darf man keine Drohnen einführen und ich wusste noch nicht, was ich dort damit machen sollte. Ich hätte aber gern wieder eine, denn es ist schon ein cooles Spielzeug.

Was war deine skurrilste Begegnung?

In China hatte ich wegen der Sprachbarriere eine skurrile Begegnung nach der anderen. Aber am meisten hängen geblieben ist mir eine Begegnung in Tadschikistan: Auf der Suche nach einem Schlafplatz kam ich in ein Dorf, das sich als Militärbasis entpuppte. Da habe ich mich mit dem tadschikischen Militär angefreundet. Ich hatte mit den Jungs einen tollen Abend. Zum Frühstück gab es Matsch aus Milch mit Mehl. Das schmeckte nach nichts, aber machte satt. Das war gut, denn ich hatte praktisch immer Hunger. Später hat mich der Kommandant immer mal wieder angerufen, um zu hören, wie es mir geht – obwohl er gar kein Englisch sprach. Das war großartig. Außerdem musste ich von jedem Soldaten ein Foto machen und die Bilder auf eine SD-Karte kopieren. Erst später habe ich verstanden, warum: Den Männern, die dort anderthalb Jahre in den Bergen hocken, ist es vom Militär aus verboten, Handys oder Kameras zu haben. Deshalb hatten sie kein einziges Foto von sich in Uniform.

Apropos Hunger: Hast du auf deiner Tour an Gewicht verloren?

Ja, 15 Kilogramm. Ich bin sehr stolz darauf. Aber jetzt muss ich aufpassen, denn ich brauchte extrem viel Energie und habe mir angewöhnt, viel zu essen. Oft waren Restaurants sehr günstig, da habe ich viel gegessen. Ich habe aber auch oft auf dem Kocher Nudeln mit Tomatensauce gekocht oder Brot mit Nutella oder Erdnussbutter gegessen. In Zentralasien ist das Essen außerordentlich schlecht, aber in Georgien und dann vor allem in der Türkei war das Essen unglaublich gut. Das Essen hat mich in der Türkei am Leben erhalten. Aber auch Albanien hat eine tolle Küche. Am interessantesten war die scharfe Szechuan-Küche in China.

Warum hast du die Reise mit dem Fahrrad unternommen?

Ich war nie ein großer Sportler oder Rennfahrradfahrer, aber ich hatte einfach Lust aufs Reisen. Zwischen Studium und Arbeit habe ich gemerkt, ich brauche mal etwas anderes als das Büro. Und wenn nicht jetzt, dann würde ich das in 30 Jahren bereuen, dachte ich. Es standen auch andere Transportmittel wie Zug oder Auto zur Debatte. Aber mit dem Fahrrad bist du relativ schnell und trotzdem flexibel. Du kannst locker 100 Kilometer am Tag fahren, kommst auch in die entlegensten Winkel. Früher auf Reisen habe ich im Zug oft aus dem Fenster geschaut und mich gefragt, wie das Leben an den gottverlassenen Orten ist, die an einem vorüberziehen. Mit dem Fahrrad kann man diese Orte erkunden. Und es sind oft die tollsten Menschen, die man in diesen hinterletzten Ecken trifft. Viele freuen sich extrem, wenn jemand von außen kommt, und laden einen zum Essen ein.

Was war die größte Herausforderung?

Ich habe gemerkt, dass ich kein Einzelgänger bin. Ich war immer wieder in einer Gruppe unterwegs, bin aber weite Strecken allein gefahren. Ich habe oft gecampt, war aber auch manchmal im Hotel – und ein Hotelzimmer am Abend kann der einsamste Ort auf der Welt sein. Da habe ich manchmal wirklich gelitten und war frustriert. Das hat sich auf dem Balkan geändert. Dort habe ich viele Leute kennengelernt und schnell neue Freunde gefunden.

Wie viele Kilometer warst du insgesamt unterwegs?

Das weiß ich nicht. Der Akku meines Fahrradcomputers war am zweiten Tag leer, deshalb hat der nichts aufgezeichnet. Aber ich will es gar nicht wissen. Mir ging es nicht um die Kilometer, sondern darum, Dinge zu sehen. Ich habe das auch nie so orthodox gesehen, dass ich die ganze Strecke per Fahrrad zurücklegen muss. Ich habe immer mal wieder den Bus genommen oder war per Autostopp unterwegs, etwa wenn ich mal krank war. In der Radlerszene bin ich vermutlich eher ein Weichei. Ich bin aber mit dem Fahrrad immer schneller geworden: Am Anfang bin ich etwa 80 Kilometer am Tag gefahren, später 100 und am Ende manchmal 150 bis 160 Kilometer am Tag.

Was hast du über dich gelernt?

Ich habe viel Selbstvertrauen bekommen. Diese Kämpfe, die man mit sich austrägt, die pushen einen extrem. Jedes Mal, wenn man etwas schafft, gibt einem das ein gutes Gefühl. Und ich habe gemerkt, wie wichtig Familie und Freunde eigentlich sind.

Was hast du über die Welt gelernt?

Die Welt ist unglaublich schön. Ich war an so vielen verschiedenen Orten und es war spannend zu sehen, wie sich Menschen an die jeweiligen Gegenden anpassen, wie sich so die jeweilige Kultur entwickelt, aber auch, wie ähnlich sich die Menschen überall verhalten. Überall zum Beispiel putzen sie ihre Autos, von China bis hin zur Türkei. Wie sich alles um einen herum langsam verändert, merkt man eher, wenn man mit dem Fahrrad unterwegs ist. In Albanien ist mir das einmal sehr bewusst geworden, und ich bin den ganzen Tag mit einem Dauergrinsen durch die Gegend gefahren.

Würdest du so eine Reise nochmals machen?

Ja. Aber ich würde jemand anderen mitnehmen. Ich habe schon Routen im Kopf, etwa in Südamerika von Bolivien nach Argentinien oder in Ostafrika von Kenia Richtung Südafrika. Aber das wäre sehr anspruchsvoll. Mir ist aber auch aufgefallen, wie schön die Schweiz ist – eines der schönsten Länder, die ich unterwegs gesehen habe.

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