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"Man of Medan" im Test: Schockierend spannend
Kürzer, aber heftiger: "Man of Medan" folgt dem Konzept von "Until Dawn", begeistert aber mit mehr Horror und tollen Multiplayer-Funktionen.
Supermassive Games hat bei dem Horror-Game "Until Dawn" im Jahr 2015 exklusiv für Playstation 4 für Jubel gesorgt. Ebenfalls gut, aber nicht überragend bewertet wurden daraufhin die Vorgeschichte "The Inpatient" sowie die abgetrennten Abenteuer "Until Dawn: Rush of Blood" (VR) sowie "Hidden Agenda" (Playlink).
Mit "The Dark Pictures Anthology: Man of Medan" erscheint nun auf Playstation 4, Xbox One und PC ein neues Horror-Spiel aus dem Studio. Zwar handelt es sich um keinen Nachfolger von "Until Dawn", setzt aber auf dessen Stärken auf. Die Handlung macht wieder jedem Horror-Meisterwerk Konkurrenz. Während man im Vorspann erfährt, dass es auf einem US-Frachtschiff im Zweiten Weltkrieg zu schaurigen Vorfällen kam, findet man sich in der Gegenwart kurze Zeit später in einer abenteuerlustigen Fünfer-Runde wieder, die zu einem Tauchgang vor Französisch-Polynesien im Südpazifik aufbrechen will.
Keine Frage: Das gruselige Weltkriegsschiff wird noch eine Rolle im späteren Verlauf des Games spielen, spoilern werden wir allerdings nicht, denn gerade die Handlung ist die große Stärke des Spiels. Der Vorspann im Zweiten Weltkrieg dient gleichzeitig als Tutorial. Hier lernt der Spieler wieder die Auswahlaktionen bei Aktivitäten, Antwortmöglichkeiten bei Dialogen, die Untersuchung von Gegenständen sowie die Quicktime-Events kennen. Wer "Until Dawn" gezockt hat, wird nicht überrascht, denn das Gameplay funktioniert gänzlich gleich wie beim "Vorgänger".
Weniger, aber bessere steuerbare Figuren
Die dieses mal vorhandene Abenteuergruppe wurde im Vergleich zu "Until Dawn" jedoch verkleinert, dafür aber besser herausgearbeitet. Die Figuren unterscheiden sich drastischer voneinander und sind nicht mehr nur ähnliche Personen mit markigen Sprüchen. Neben dem unsicheren Brad und seinem durchtrainierten Bruder Alex lernen wir die lebenslustige Freundin von Alex namens Julia, ihren angeberischen Bruder Conrad und die zielgerichtete Boots-Kapitänin Fliss kennen. In den ersten Spielminuten stehen Dialoge zwischen den Abenteurern an, die ihr Verhältnis zueinander bestimmen. Viel Charakteraufbau geschieht zwar nicht, die Geschichten sind aber durchaus unterhaltsam.
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Auch hier geht man nach gewohntem Konzept vor: Der Spieler schlüpft abwechselnd in die Rolle der Figuren und sucht abgegrenzte Bereiche nach Hinweisen ab oder unterhält sich mit den verfügbaren Personen. So versucht man etwa mit Conrad den Flirt mit der toughen Fliss oder geht mit Alex und seiner liebsten Julia auf Tauchgang, um ein Unterwasser-Wrack zu finden. Das Besondere dabei: Zwar wirken manche Antworten oder Funde anfangs nebensächlich, später können sie aber dramatische Auswirkungen auf die weitere Handlung haben und auch schon mal über Leben und Tod einer Figur entscheiden. So kann man als schüchterner Brad entweder Bier in sich reinschütten, um vor den anderen Beteiligten "cool" zu sein – oder ablehnen und auf die anderen seltsam wirken. Einige Szenen später liegt man dafür entweder mit Überlkeit flach oder kann zum Retter in der Not werden.
Auswirkungen der Entscheidungen deutlich spürbarer
Generell sind die Entscheidungen, die man trifft, und die Folgen, die sie auslösen, in "Man of Medan" weitaus nachvollzieh- und spürbarer, als sie es noch in "Until Dawn" waren. Und auch die Vorahnungen sind hier tatsächlich hilfreicher, als man es bisher kannte. Der Spieler kann in seinen Umgebungen Bilder von Schiffen entdecken, die in der Spielfigur eine ganz kurze Version kommender möglicher Ereignisse auslöst. Tatsächlich konnten wir so das eine oder andere Mal eine Figur vor dem Tod bewahren oder eine Entscheidung zum Gruppenwohl treffen.
Trotz der wenigeren steuerbaren Figuren ist die Gruppenbesetzung von "Man of Medan" dann nach den Anfangsszenen schnell wieder auf den Acht, die man aus "Until Dawn" kennt. Drei finstere Gestalten vermiesen den Abenteurern nämlich bei Nacht und Sturm ihren Ausflug. Die drei Personen können später zwar nicht aktiv gesteuert, aber durchaus beeinflusst werden. So kann man den Kurs so setzen, dass man das Trio bei jeder sich bietenden Gelegenheit attackiert – oder man geht ihm aus dem Weg und versucht, Konfrontationen zu vermeiden.
Spielverläufe unterscheiden sich deutlicher voneinander
Ab der Mitte des dieses Mal rund fünfstündigen Abenteuers wird dann jede Entscheidung von schwerwiegender Bedeutung. Wobei auch hier ein Unterschied bemerkbar ist: Zwar bleibt die Rahmenhandlung dieselbe, je nach Entscheidungen gibt es aber viel mehr Szenen, die sich in einem Spieldurchgang unterscheiden können. Nicht nur der Tod oder das Überleben bestimmter Figuren löst andere Handlungsstränge aus, auch simple Tätigkeiten wie das Finden von Geheimnissen oder die Wahl eines Wegs können für einen ganz anderen Spieldurchgang sorgen, als man ihn zuvor erlebt hat. Entsprechend stark steigt der Wiederspielwert des Titels an.
Was in "Until Dawn" der Psychiater war, ist in "Man of Medan" der Kurator. Er überwacht die Geschichte und meldet sich in kurzen Szenen mit Hinweisen oder Kommentaren zum Spielgeschehen zu Wort. Allerdings passiert das weitaus dezenter als in "Until Dawn" und passiert auch nicht in der Häufigkeit, die man bereits erlebt hat. Der "Until Dawn"-Psychiater-Darsteller Peter Stormare ("American Gods") hat übrigens wieder einen Auftritt, nämlich als Soldat im Vorspann der Geschichte. Als Kurator agiert der Schauspieler Pip Torrens ("Preacher"), überzeugend sind auch die Schauspieler Arielle Palik ("Impostors") und Sean Ashmore ("X-Men") als Julia und Conrad. Bei Darstellung und Sprachausgabe spielt "Man of Medan" in der höchsten Liga mit.
Schockszenen sind gut und passend eingesetzt
Doch nicht nur bei Schauspiel und Sprachausgabe setzt "Man of Medan" Maßstäbe. Ein Dutzend gut gesetzte Jumpscares lassen dem Spieler auch bei mehrmaligem Erleben das Blut in den Adern gefrieren, die herrlich gruselige Soundumrahmung und die absolut beklemmende Atmosphäre sorgen für hohen Puls. Apropos Puls: Neu ist eine Mechanik, die das Controller-Stillhalten aus "Until Dawn" ersetzt. Versteckt man sich, muss oft eine Taste im Rhythmus des steigenden Pulsschlags gedrückt werden, um nicht aufzufliegen. Anspruchsvoller wurden auch die Quciktime-Events: Oft beinahe unmöglich schnell gilt es vor allem in Flucht- oder Angriffsszenen, eine bestimmte Buttonkombi zu drücken.
Auch in "Man of Medan" kann eine oder mehrere beziehungsweise alle Figuren das Abenteuer überleben oder es ereilt sie allesamt noch vor dem Ende einer der rund 70 grausigen Tode, die überaus blutig umgesetzt wurden. Generell zieht "Man of Medan" nicht nur bei Blut und Tod die Latte höher, sondern auch bei der Horror-Atmosphäre. Einzig der Plot-Twist in der Horror-Geschichte, der auch hier wieder zu finden ist, überrascht nicht ganz so wie noch zu "Until Dawn"-Zeiten. Der Grund dafür ist einfach: Schon zuvor findet man Hinweise darauf, was am vermeintlichen Geisterschiff tatsächlich passiert sein könnte. Schade, hier nimmt sich "Man of Medan" selbst ein bisschen die Spannung aus der Handlung – vorausgesetzt man findet die Hinweise im Spiel vorab überhaupt.
Dieses Mal auch mit Mehrspieler-Modi
Was sich "Until Dawn"-Spieler sehnlichst gewünscht haben, wird nun bei "Man of Medan" Realität: Ein beziehungsweise zwei Mehrspieler-Modi. Der "Movie Night Mode" ist dabei zwar wenig innovativ, macht aber Spaß. Gespielt wird mit bis zu fünf Anwesenden auf einer Plattform, also etwa bei einem gemütlichen Coucgh-Abend. Vor dem Spieldurchgang wird festgelegt, welcher Anwesende je nach Anzahl welche Spielfigur(en) steuern wird. Im Spielverlauf fordert das Game dann auf, bei einem Figurenwechsel den Controller an den jeweiligen Spieler weiterzureichen. Die Szenen sind dabei so gut aufgeteilt, dass bei niemandem in der Runde Langeweile aufkommt.
Weitaus interessanter ist allerdings der "Shared Story Mode". Dieser funktioniert online und bringt zwei Spieler in einem Spieldurchgang zusammen, das Erlebte unterscheidet sich aber drastisch voneinander, denn die Spieler erleben oft komplett unterschiedliche Szenen zeitgleich. Während etwa ein Spieler auf Tacuhgang geht, um das Wrack zu erkunden, treibt sich der andere Spieler an Deck des Ausflugsbootes herum und muss die Ankunft ungebetener Gäste erleben. Dadurch, dass so beide Spieler nicht alle Spielszenen sehen, ist ein Durchgang mit rund drei Stunden auch weitaus kürzer als das Einzelspieler-Erlebnis.
Ganz großer Horror-Schocker
Auffällig ist lediglich, dass man als Spieler immer mal wieder warten muss, bis der andere Spieler seine Szene absolviert hat, was das Erlebnis etwas bremst. Gespielt wird übrigens mit Personen in der eigenen Online-Freundesliste. Begonnene "Shared Storys" können dabei an jedem beleibigen Punkt unterbrochen und fortgesetzt werden, auch das Starten und Speichern mehrerer Spieldurchgänge mit unterschiedlichen Spielpartnern ist möglich. Alles in allem sind die Multiplayer-Funktionen wahnsinnig spannend und laden dazu ein, "Man of Medan" Dutzende Male mit jeweils unterschiedlichen Entscheidungen durchzuzocken.
Grafisch setzt "Man of Medan" zwar keine neuen Maßstäbe, es sieht aber düsterer und besser als "Until Dawn" aus. Die Figuren sind bei Mimik und Bewegungen beeindruckend, sie gehen und rennen auch nicht mehr so hölzern wie zuvor. Ein kommendes Update könnte hier auch noch nicht synchrone Lippenbewegungen beheben. Ein kleiner Wermutstropfen: An Bord des Gruselschiffs ist es zwar traditionell düster, teils tut man sich aber schwer, überhaupt etwas zu erkennen. Grandios dafür: Das Ende und die Abspann-Szene! "Man of Medan" ist letztlich spannend ohne Ende und weiß mit sehr viel mehr handlungsverändernden Aktionen zu überzeugen. Der Auftakt zur "The Dark Pictures Anthology", einer Reihe kommender Horror-Spiele dieser Machart, ist jedenfalls gelungen. "Man of Medan" darf in keiner Horror-Sammlung fehlen. (rfi)