Österreich

Lochner: "Organisation der Dealer steigt deutlich an"

Heute Redaktion
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Der Wiener Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen Ewald Lochner im "Heute"-Interview.
Der Wiener Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen Ewald Lochner im "Heute"-Interview.
Bild: Sabine Hertel

Der Wiener Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen Ewald Lochner erklärt, wie der Bund kranke Jugendliche gefährdet und dass Drogendealer immer besser organisiert sind.

"Heute": Herr Lochner, die Kinder- und Jugendpsychiatrie gilt nach wie vor als Sorgenkind. Wegen fehlender Plätze müssen immer wieder Kinder und Jugendliche auf Erwachsenenstationen untergebracht werden. Im Sommer 2018 kam es zu auf einer Station zum Missbrauch einer 13-Jährigen. Was wurde damals unternommen?

Lochner: "Nach dem äußerst bedauerlichen Vorfall wurde schnell gehandelt. Auf Initiative von Sozialstadtrat Peter Hacker wurden 15 neue Plätze für Kinder und Jugendliche im Krankenhaus Hietzing geschaffen, damit Kinder bzw. Jugendliche adäquat behandelt werden. Auch im AKH Wien wird gerade die Bettenanzahl erhöht. Generell haben wir in Wien aber weiter zu wenig Betreuungsplätze".

"Heute": Das Problem der fehlenden Betreuungsplätze ist ja nun nicht neu. Wo genau hapert es?

Lochner: "Um diese Frage zu beantworten, müssen Sie zwischen stationärem, ambulantem und niedergelassenem Bereich unterscheiden. Es gibt zu wenig Kinder- und Jugendpsychiater im niedergelassenen Bereich, noch weniger mit Kassenverträgen. Da sind wir auch mit der Wiener Ärztekammer in guten Gesprächen".

"Es gibt zwar eine gute ambulante Versorgung, aber in vielen Fällen brauchen psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche Hilfe, die über die rein ärztliche Versorgung hinaus geht. Dafür braucht es spezialisierte Kinder- und Jugendpsychologen, Pädagogen und Sozialarbeiter. Das ist aber nur im ambulanten Bereich möglich, wo wir ganz klar einen Mehrbedarf orten."

"Das Sparpaket der Bundesregierung gefährdet für heuer fix geplante Projekte"

"Heute": Wieso ist der Ausbau so schwierig?

Lochner: "Laut dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) fällt die ambulante Behandlung psychisch Erkrankter in die Kompetenz der Sozialversicherungsträger. Bisher haben sich Stadt und Sozialversicherung die Kosten für die Betreuung der Patienten geteilt, doch das Sparpaket der Bundesregierung gefährdet für heuer fix geplante Projekte".

"Heute": Welche sind das?

Lochner: "Im KAV wurden Anfang des Jahres acht neue Betten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Neurologischen Rehabilitationszentrum Rosenhügel in Hietzing geschaffen. Im Herbst kommen dann weitere 24 Betten im neuen Krankenhaus Nord in Floridsdorf dazu. Für heuer fix geplant ist auch die Errichtung eines zweiten Kinder- und Jugendpsychiatrischen Ambulatoriums. Vereinbart war, dass sich Stadt Wien und Sozialversicherung die Kosten teilen. Seitdem die Bundesregierung den Kassen aber per Nationalratsbeschluss eine 'Kostenbremse' verordnet hat, ist dieses Projekt wie viele andere auch auf Eis. Das verzögert eine adäquate Behandlung für die betroffenen Kinder und hat natürlich gravierende Auswirkungen auf deren Gesundheit und Zukunftschancen".

"Aus psychisch kranken Kindern werden psychisch kranke Erwachsene."

"Heute": Welche gravierenden Auswirkungen meinen Sie?

Lochner: "Es ist ganz klar: Je früher eine Krankheit erkannt wird, desto besser ist sie behandelbar. Aus psychisch kranken Kindern werden psychisch kranke Erwachsene. Hier die dringend notwendige Versorgung aus falschverstandener Sparsamkeit zu gefährden, ist fahrlässig."

"Heute": Was müsste also aus Ihrer Sicht geschehen?

Lochner: "Unser Plan sieht vor, in Wien mit unseren Partnern sechs Kinder- und Jugendpsychiatrische Zentren zu errichten".

"Heute": Warum sind diese Ambulatorien so wichtig?

Lochner: "Wie bereits erwähnt, ist für eine gute Betreuung psychisch erkrankter Kinder und Jugendliche ein multiprofessionelles Setting von großer Bedeutung. In Wien haben wir bisher ein Kinder- und Jugendpsychiatrischen Ambulatorium in der Kölblgasse im 3. Bezirk, wo neben dem Ambulatorium auch eine Tagesklinik und eine Heilstättenschule untergebracht ist."

"Für das geplante zweite Zentrum ist angedacht, das Ambulatorium mit Wohnmöglichkeiten zu koppeln. Manchmal wird die Krankheit so schwer, dass die jungen Patienten – wir sprechen hier meist von einem Alter ab 12 Jahren – nicht mehr bei ihren Eltern wohnen können. Dann landen sie oft in stationärer Betreuung, weil sie sonst nirgendwo hinkönnen."

"Bis 2030 vier weitere Kinder- und Jugendpsychiatrische Zentren bleibt Ziel"

"Ich bin aber der Meinung, die stationäre Versorgung sollte nur solange dauern, wie es medizinisch notwendig ist. Daher ist mir wichtig, zumindest dieses zweite Zentrum zu bauen. Denn in den benachbarten Wohngemeinschaften können die Jugendlichen solange wohnen und gesund werden, wie es nötig ist. Geplant war, dass es noch heuer fertig wird, die übrigen vier Kinder- und Jugendpsychiatrische Zentren bis 2030. Wobei gilt: Je schneller, desto besser. Leider ist das nun gefährdet."

"Heute": Gefährdet aber nicht abgesagt?

Lochner: "Die Sozialversicherungen sind hier in der Pflicht. Die Hoffnung stirbt zuletzt, daher hoffe ich, dass es doch noch zu einer Vereinbarung kommt. Das Ziel, heuer zu eröffnen, bleibt aufrecht. Geplant ist, das Projekt bis 2022 zu evaluieren und dann weiter auszubauen."

"Heute": Wo soll das neue Zentrum hinkommen?

Locher: "Es soll in Ruhelage sein. Die Standorte solcher Einrichtungen wird genau überlegt und richtet sich etwa nach Erreichbarkeit, der sozialen Infrastruktur und ob es genügend Raum für mögliche Ausbauten gibt. Dazu ist es auch wichtig, dass die Jugendlichen Ruhe finden".

"Heute": Herr Lochner, Sie sind auch Koordinator für Sucht- und Drogenfragen. In ihren Bereich fallen auch Maßnahmen gegen Alkoholabhängigkeit. Seit April 2018 ist beim Praterstern die Alkoholverbotszone in Kraft – sehen Sie dadurch Verbesserungen?

Lochner: "Die Evaluierung des Alkoholverbots läuft derzeit noch, im Frühjahr werden wir dann konkrete Ergebnisse präsentieren können. Es zeigt sich aber schon jetzt, dass die Lage deutlich ruhiger geworden ist und sich das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung erhöht hat."

"Zudem ist bisher keine dauerhafte Verdrängung der Szene zu beobachten, vielmehr hat sich diese in kleinen Gruppen verteilt. Wir prüfen derzeit, welche Gruppen sich beim Praterstern aufhalten und werden demnach geeignete Maßnahmen setzen. Dazu zählt etwa, wie man Menschen, die etwa schon zehn Jahre in Wien gelebt und gearbeitet, aber durch ihre Alkoholsucht den Job und die Wohnung verloren haben, helfen kann."

"Heute": In den Obdachlosen-Einrichtungen steigt aufgrund der restriktiven Politik von Ministerpräsident Viktor Orban der Anteil an Wohnungslosen aus Ungarn. Bemerken Sie das auch beim Praterstern?

Lochner: "Nein, beim Praterstern sind es eher Polen, Ukrainer und Slowaken. Um diesen Leuten zu helfen, den Wiedereinstieg in ihrer Heimat zu schaffen, gibt es ein sehr spannendes Projekt zwischen Berlin und Polen. Damit werden statt dem jeweiligen Staat gezielt NGOs in den Ursprungsländern kontaktiert, die die Menschen dabei unterstützen, wieder in Kontakt mit ihren Familien zu kommen. Das halte ich für eine sehr gute Maßnahme, die es vor zehn Jahren noch gar nicht gegeben hat".

"Heute": Halten Sie die neue Waffenverbotszone für eine gute Maßnahme?

Lochner: "Mit Waffenverbotszonen wird vor allem signalisiert, dass ein Ort gefährlich ist. Ob eine solche Zone alle Probleme löst, ist aber fraglich. Nicht nachvollziehen kann ich auch die Wahl der zwei Zonen: Wir verfolgen sowohl die Alkohol- als auch die Drogenszene in der Stadt sehr genau. Weder beim Praterstern noch beim Flex am Donaukanal gibt es Hinweise, dass es dort geballt zu Vorfällen kam. Es gibt dort auch keine diesbezüglichen Anrainerbeschwerden. Daher fürchte ich, das Einzige was damit erreicht wird, ist dass sich die Leute denken, hier ist es nicht sicher".

"Heute": Wenn wir gerade über die Drogenszene sprechen: Diese hat sich in letzter Zeit zunehmend in Richtung Westbahnhof verlagert, auch rund um das Suchthilfezentrum Jedmayer am Gumpendorfer Gürtel gibt es immer wieder Beschwerden. Welche Maßnahmen werden hier gesetzt, um die Bevölkerung zu schützen?

"Konsum im öffentlichen Raum oder liegengelassene Spritzen sind absolut nicht akzeptabel."

Lochner: "Es stimmt, die Handelsszene verlagert sich und die Konsumenten folgen. Leider kommt es dadurch auch hin und wieder zu Ereignissen im öffentlichen Raum. Natürlich ist das nicht zufriedenstellend. Konsum im öffentlichen Raum oder liegengelassene Spritzen sind absolut nicht akzeptabel. Durch die enge Kooperation mit der Wiener Polizei und den neuen Sozialarbeiter-Teams, die durch eine eigene Uniform für die Bevölkerung leichter sichtbar sind und als direkte Ansprechpartner bei Problemen oder Fragen zur Verfügung stehen, hat sich die Situation schon deutlich gebessert".

"Heute": ÖVP und FPÖ fordern immer wieder die Absiedlung des „Jedmayer" aus dem dichtbebauten Gebiet an den Stadtrand.

Lochner: "Im Sinne eines niederschwelligen Angebots, das auch angenommen wird, ist es wichtig, dass die Einrichtung leicht erreichbar ist – also nein zum Stadtrand. Es macht Sinn, dass die Versorgung der Suchtkranken auf ganz Wien verteilt und nicht irgendwo konzentriert wird, so wie das in Wien der Fall ist: das Jedmayer ist ja nicht die einzige Suchthilfeeinrichtung in Wien."

"Im Jedmayer bieten wir ein Rund-um-die-Uhr-Angebot zum Spritzentausch an. Das ist österreichweit einzigartig und hilft, das Spritzen eben nicht irgendwo auf der Straße oder auf Parkbänken liegen. Etwa ein Viertel der Klienten kommt aus anderen Bundesländern hierher, auch weil es im Jedmayer auch eine Ambulanz, einen Internisten und eine Gynäkologin gibt".

"Grad der Organisation der Dealer deutlich gestiegen"

"Heute": Gibt es auffallende Änderungen in der Drogenszene?

Lochner: Auffallend ist vor allem, dass der Grad der Organisation der Dealer deutlich gestiegen ist. Wurde früher ein Suchtgifthändler verhaftet, dauerte es etwa fünf Wochen, bis dieser ersetzt war. Heute tritt innerhalb von 24 Stunden ein neuer Dealer an seinen Platz – mit denselben Mengen Drogen und denselben Kontakten.

Zusätzlich sind neue Bezugsquellen via Internet – Stichwort Darknet – entstanden. Darauf müssen wir uns einstellen und Lösungen bieten.

"Heute": Und bei den Drogen selbst?

Lochner: "Positiv ist, dass bei den intravenösen Opiaten wie etwa Heroin kaum noch junge User nachkommen, der Konsum ist stagnierend bis sinkend. Ein Problem ist der Handel mit Substitutionsmitteln, der aber durch ein seit 2011 laufendes Projekt recht gut im Griff ist. Wird jemand beim Verkauf seiner verschriebenen Substitutionsmittel erwischt, meldet die Polizei das an die MA15-Wiener Gesundheitsamt. Kommt der Abhängige erneut zum Amtsarzt, um sich sein Rezept bestätigen zu lassen, scheint das dort auf und der Klient muss die Tabletten unter Aufsicht direkt in einer Apotheke einnehmen. So wird sichergestellt, dass die Abhängigen die Hilfe bekommen, die sie brauchen, die Mittel aber nicht in den Verkauf kommen".

"Ganz anders verhält es sich mit Cannabis oder synthetischen Drogen, die weitaus häufigerem Ausmaß konsumiert werden. Die Konsumenten sind eine eigene Zielgruppe, viele nehmen Cannabis oder Ecstasy als „Partydroge" und definieren sich selbst nicht als abhängig. Tatsächlich erfolgt der Konsum sehr geplant, das heißt, die User bestellen ihre Mengen für das Wochenende, konsumieren während einer Party und sind am Montag, wenn sie arbeiten gehen, wieder fit".

"Weil man aber als Käufer nicht ganz sicher sein kann, was wirklich drin ist, wurde vor über 20 Jahren die mobile Beratungsstelle „Checkit!" ins Leben gerufen. Hier können Substanzen in maximal 20 Minuten auf ihre Inhaltsstoffe getestet werden. Bisher ging „Checkit!" dorthin, wo die User waren, etwa bei Konzerten oder Festivals, für heuer planen wir eine Veränderung, um auch auf das Angebot im Darknet gezielt reagieren zu können."

"Heute": Was halten Sie von der Überlegung von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) Erstkonsumenten härter zu bestrafen? Bisher hatten jene, die zum ersten Mal beim Rauchen eines Joints oder mit einer kleinen Menge anderer Drogen für den Eigenbedarf erwischt wurden, keine strafrechtlichen Folgen zu befürchten.

Lochner: "Das ist maximal populistisch und entbehrt jeder Grundlage in Wissenschaftlichkeit oder einer verantwortungsvollen Sucht- und Drogenpolitik. Davon auszugehen, dass jeder Erstkonsument auch zu einem Drogenabhängigen wird, ist aber ebenso falsch wie zu sagen, dass jeder Raucher irgendwann zu Heroin greift. Außerdem ist nicht Cannabis das Mittel mit dem höchsten Suchtpotenzial, sondern Alkohol und Nikotin. Generell ist Cannabis-Konsum bei Jugendlichen natürlich kritisch zu betrachten, denn noch sind die Auswirkungen zu wenig erforscht."