Science
Tschernobyl – hier strahlt es in Österreich bis heute
Heute vor 36 Jahren ereignete sich der Atomunfall in Tschernobyl. Neue Werte zeigen, wie sich das Unglück bis heute auswirkt – hierzulande und dort.
Am 26. April 1986, also vor genau 36 Jahren, kam es zu einer Nuklearkatastrophe, die vom Reaktor-Block 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl ausging. Und auch heute ist keine Ruhe um das belastete Gebäude. Zuletzt wurde es von russischen Truppen eingenommen und das dort tätige Personal in ihre Gewalt gebracht.
Das Unglück von Tschernobyl gilt als die größte Katastrophe in der zivilen Nutzung der Atomkraft. Es kam zu einer Kernschmelze, in deren Folge große Mengen strahlenden Materials freigesetzt wurden, das bis nach Westeuropa zog. Seither ist das Gebiet Sperrzone. Im vergangenen Sommer war ein neues Atommüllzwischenlager in der radioaktiv verseuchten Sperrzone um Tschernobyl eingeweiht worden. Mit dem Lager wollte Kiew seine Abhängigkeit von Russland im Atommüllbereich beenden.
Wie "Golem" berichtet, haben deutsche und ukrainische Behörden in einem Gemeinschaftsprojekt die Radioaktivität im 2.600 Quadratmeter großen Gebiet um das zerstörte Atomkraftwerk gemessen. Wegen des Ukraine-Kriegs kommt dem eine besondere Bedeutung zu. Für die erste flächendeckende radiologischen Kartierung der Sperrzone von Tschernobyl seit über 30 Jahren wurden Messungen von Hubschraubern aus durchgeführt. Das Deutsche Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat jetzt erste Ergebnisse einer radiologischen Neukartierung der Sperrzone bekanntgegeben.
Messungen am Boden und in der Luft
Die Karten und die zugehörigen Messdaten bieten einen umfassenden Überblick über die aktuelle radiologische Situation in der Sperrzone. Mit ihrer Hilfe lässt sich für jeden vermessenen Ort innerhalb der Sperrzone vorausberechnen, wie lange dort Personal eingesetzt werden kann, ohne einer unzulässigen Strahlenbelastung ausgesetzt zu werden. Dies ist beispielsweise für die ortsansässige Feuerwehr wichtig, die in der Sperrzone immer wieder Waldbrände zu bekämpfen hat. Das bisher für die Einsatzplanung genutzte Programm kann mit den neuen Messdaten aktualisiert werden. In gleicher Weise können mit den aktuellen Messdaten kriegsbedinge Aufräumarbeiten wie Munitionsbereinigung unterstützt werden.
Weil radioaktive Stoffe mit der Zeit in den Boden sinken, wurden auch Messungen am Boden gemacht um die Messergebnisse nicht zu verfälschen. So führten Messteams des BfS zusammen mit ukrainischen Experten an fast 200 Punkten zusätzliche Messungen durch. Außerdem nahmen sie Bodenproben, um zu bestimmen, wie tief die radioaktiven Stoffe mittlerweile in den Boden eingedrungen sind.
Auffrischung der Karten aus 90er Jahren
Die neuen Karten bieten einen Überblick über die gesamte Sperrzone, mit Ausnahme des direkten Umkreises des havarierten Reaktors, der 1986 die Katastrophe auslöste. Der Grund: Um die kerntechnischen Anlagen in der Sperrzone zu schützen, besteht dort eine Flugverbotszone, sodass dort keine Hubschraubermessungen möglich waren. Die Karten sind aktueller und räumlich besser aufgelöst als die bisherigen Gesamtdarstellungen aus den 1990ern. Sie bestätigen die Erkenntnisse aus den Jahren nach dem Reaktorunglück: Es zeichnen sich deutlich die beiden Haupt-Ausbreitungsrichtungen der 1986 aus dem Reaktor freigesetzten Stoffe nach Norden und Westen ab.
Cäsium-137 belastet die Böden
Zwei Übersichtskarten zeigen die Cäsium-137-Belastung der Böden und die Gamma-Ortsdosisleistung innerhalb der Sperrzone. Die Ortsdosisleistung gibt an, wie viel Strahlung von außen auf einen Menschen einwirkt. Erhöhte Ortsdosisleistungswerte in der Sperrzone gehen heute fast ausschließlich auf Cäsium-137 zurück, das eine Halbwertszeit von 30 Jahren hat. Die Cäsium-Belastung der Böden in der Sperrzone schwankt zwischen Werten unterhalb der Nachweisgrenze von Messungen aus der Luft und einem Spitzenwert von 50.000 Kilobecquerel pro Quadratmeter. Kurzlebigere radioaktive Stoffe wie Jod-131 sind bereits seit Jahren nicht mehr nachzuweisen.
Der Kontakt mit Cäsium 137 und Jod 131 kann laut Experten unter anderem zu verschiedenen Krebserkrankungen führen. Österreich war vom radioaktiven Fallout – bedingt durch Niederschläge in den Tagen nach der Freisetzung – stark betroffen und die Nachwirkungen sind immer noch messbar. Für die Strahlenexposition ist in Mitteleuropa allerdings nur noch das langlebige Cäsium-137 mit einer Halbwertszeit von zirka 30 Jahren von gewisser Bedeutung. Die Konzentration von Cäsium-137 in den Böden in Österreich zeigt eine Karte des Umweltbundesamtes.
Die in der Sperrzone von Tschernobyl ermittelte Gamma-Ortsdosisleistung liegt zwischen 0,06 Mikrosievert pro Stunde und etwa 100 Mikrosievert pro Stunde. Die gesamte jährliche Strahlendosis eines Durchschnittsösterreichers beträgt laut AGES rund 4,5 Mikrosievert.
GLOSSAR
Gamma-Ortsdosisleistung: Die Strahlenexposition, die von außen auf den Menschen einwirkt. Sie wird angegeben als Äquivalentdosis, gemessen an einem bestimmen Ort pro Stunde. Die Gamma-Ortsdosisleistung wird in der Regel in der Einheit Mikrosievert pro Stunde angegeben (µSv/h).
Sievert (Sv): Das Maß für die Belastung durch Radioaktivität wird in milli-Sievert (mSv) angegeben.
Cäsium-137: Instabiles Isotop des Cäsiums - physikalische Halbwertszeit zirka 30,2 Jahre. Durch Kontakt mit Cäsium-137 kann können die Körperzellen geschädigt werden. Dadurch kann es zu zeitnahem Brechreiz, Durchfall und Blutungen kommen. Auf lange Sicht kann es zu verschiedenen Krebserkrankungen führen. Die Auswirkungen von Tschernobyl tragen nur zu einem sehr geringen Anteil zur durchschnittlichen Strahlenbelastung der Bevölkerung in Österreich bei.
Halbwertszeit: Zeitintervall, in dem die Hälfte der Kerne eines radioaktiven Nuklids zerfallen ist. Kurze Halbwertszeiten führen zu einer hohen Strahlungsaktivität, lange Halbwertszeiten ergeben eine niedrige Strahlungsaktivität.