Gesundheit

"Schwachsinn" – Drosten und Lauterbach beichten Fehler

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach und der Virologe Christian Drosten gestehen Fehler im Pandemie-Management ein. 

Sabine Primes
Christian Drosten (li). und Karl Lauterbach (re.) ziehen Resümee über das Pandemie-Management.
Christian Drosten (li). und Karl Lauterbach (re.) ziehen Resümee über das Pandemie-Management.
Kay Nietfeld / dpa / picturedesk.com

In Österreich sollen mit Ende Juni die Corona-Maßnahmen auslaufen. Die Bundesregierung hat den Fahrplan für das Ende der Corona-Maßnahmen vorgelegt. Auch in Wien, das nach wie vor mit FFP2-Maskenpflicht in Öffis und Apotheken die strengsten Corona-Regeln hat, wird die FFP2-Maskenpflicht in Öffis und Apotheken mit März aufgehoben. Drei Gesundheitsminister hat es in drei Jahren Pandemie gebraucht (Rudolf Anschober, Wolfgang Mückstein, Johannes Rauch), um eine der größten Krisen der Republik zu managen. Was bleibt, ist ein gemischter Satz aus sinnvollen, aber auch hinterfragbaren Corona-Regeln.

Auch im Nachbarland Deutschland zieht der Gesundheitsminister jetzt Resümee über das Pandemie-Management. "Was Schwachsinn gewesen ist, (...) sind diese Regeln draußen", sagte Lauterbach Donnerstagabend in der ZDF-Talksendung "Markus Lanz" und bezog sich etwa auf das zeitweise ausgesprochene Verbot, ohne Maske joggen zu gehen. "Das ist natürlich klar, das sind Exzesse gewesen", so der Bundesgesundheitsminister, der seit Dezember 2021 im Amt ist.

"Viel zu geringes Interesse für Kinder"

Auch die langen Kindergarten- und Schulschließungen seien ein Fehler gewesen, wie er im Gespräch mit dem "Spiegel" – zusammen mit Virologe Christian Drosten – bekennt. Zu Beginn der Corona-Pandemie wurde kurzzeitig angenommen, dass Kinder nicht ansteckend sind - eine falsche Annahme, die Christian Drosten mit einer Viruslaststudie entkräften konnte. Diese zeigte nämlich, dass Kinder ähnlich viel Virus im Rachen tragen wie Erwachsene. Als Reaktion darauf, wollte man die Schulen zunächst grundsätzlich offen lassen und nur dort schließen, wo die Ansteckungszahlen es erforderten. Als der bayrische Ministerpräsident, Markus Söder, diese Regelung auf ganz Bayern ausdehnte, zogen die anderen Bundesländer nach. Etwas, das Lauterbach bis heute zwiegespalten sieht: "Dass wir die Schulen schließen mussten, war für mich unstrittig. Dass wir sie aber so lange geschlossen haben, war falsch."

In Deutschland gab es wegen der Pandemie an mehr als 180 Schultagen keinen normalen Unterricht – das ist mehr als in den meisten westeuropäischen Ländern. Auch, dass es über die lange Zeit der Schulschließungen nicht gelungen sei, "einen qualitativ hochwertigen Digital- und Wechselunterricht hinzubekommen", sieht der Minister bis heute als großes Versäumnis. "Es gab ein viel zu geringes Interesse, irgendetwas für die Kinder zu tun", sagt Lauterbach, der damals noch nicht Gesundheitsminister war, aber bereits Vorschläge unterbreitet hätte, um den Kindern zu helfen. Etwa Luftfilteranlagen, Wechselunterricht und regelmäßiges Testen

Höhere Impfquote wäre möglich gewesen

Punkto Impfung hätte das Verdrehen von Tatsachen in der Pandemie erheblichen Schaden ausgelöst, so Lauterbach. "Ohne Desinformationskampagnen einiger Medien, Parteien, so genannte Querdenker und Wissenschaftlern hätten wir eine deutlich höhere Impfquote gehabt". In diesem Punkt pflichtet Drosten bei. Er gesteht, in manchen Momenten an der Politik verzweifelt zu sein, weil etwas anderes beschlossen wurde, als die Medizin es für richtig hielt. 

Sinn und Unsinn der Coronaregeln

Die Sinnhaftigkeit oder Unsinnigkeit der Corona-Maßnahmen habe Lauterbach immer zusammen mit den Experten zu beurteilen versucht. Das Problem wäre die frühe Bildung zweier Lager gewesen: "Wenn ein wissenschaftliches Thema erst mal politisch ist, lässt sich mit wissenschaftlichen Argumenten kaum noch etwas gewinnen." Trotzdem zieht er eine positive Bilanz. "Wir sind im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gut durch die Pandemie gekommen. Wir haben weniger Todesfälle als Länder mit einer ähnlich alten Bevölkerung wie Frankreich, Italien, Spanien, Portugal oder die Vereinigten Staaten. Aber wir wären noch besser durchgekommen, wenn es nicht diese gesellschaftliche Polarisierung gegeben hätte."

Die größten Fehler

Über seinen größten Fehler sagt Drosten: "Ich bin ja Virologe, und wir Virologen wollen eigentlich die Deutungshoheit über die Krankheitserreger haben. Aber manchmal lagen wir daneben. Als die Alpha-Variante kam, ging ich nicht davon aus, dass sich das Virus plötzlich so stark verändert. Da mussten erst die Model­lierer kommen, um uns vorzurechnen, wie schnell sich diese neuen Varianten verbreiten."

Lauterbach ärgert sich darüber, dass manche Begrifflichkeit falsch interpretiert wurde. "Wenn ich drei verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt habe, wie sich die Pandemie entwickeln könnte, wurde die schlimmste Version aufgegriffen und skandalisiert. Dabei habe ich nur den Stand der Wissenschaft wiedergegeben. Neue, gefährliche Varianten bleiben möglich, wenngleich kurzfristig unwahrscheinlich."