Politik
Karas-Abgang: Nehammer wartete vergeblich auf Anruf
Er wollte wieder kandidieren, am Ende des Sommers entschied sich Othmar Karas um. Was hinter seinem Abschied steckt.
Harte Worte Er redete knapp 18 Minuten, frei, schonungslos und schmerzbefreit, den Titel "Persönliche Erklärung" nahm Othmar Karas am Donnerstag persönlich. Verbindlich zur eigenen Partei war nur das "Grüß Gott" zu Beginn. "Ich habe mir nie vorstellen können, je eine Rede wie diese halten zu müssen", sagte er und hielt dann die Rede, die er nie halten wollte.
K.O. vor OK "Mir geht es heute nicht primär um mich", sagte Othmar Karas, momentan Vizepräsident im EU-Parlament, vor einer Plexiglaswand, auf der dutzendfach "OK" stand, sein Wahlkampfkürzel. Viel Ego für einen zumindest temporär Egolosen.
Abrechnung mit ÖVP "Menschlich enttäuschend", "unwürdig", so nannte er seine eigene Partei, ihr Stil sei "nicht akzeptabel". Die ÖVP habe "jegliche Glaubwürdigkeit verloren", richte mit ihrer Politik "nachhaltigen Schaden" an, vollende das Geschäft der FPÖ, sei verstrickt in Scheindebatten. Sie betreibe "SNU – strategisch notwendigen Unsinn, am Ende bleibt nur mehr der Unsinn über".
Karas ist Greta Thunberg der ÖVP
"Saboteur", das saß Der Bergpredigt im Wiener Mediatower war ein Sommer des Grübelns vorangegangen. Karas wollte eigentlich noch einmal für die ÖVP bei der EU-Wahl 2024 antreten. Er traf bei einer Tour durch die Bundesländer alle Provinzchefs, sie signalisierten ihm Wohlwollen, aber aus der Bundespartei setzte es Nadelstiche. "Saboteur" nannte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker den eigenen EU-Vizepräsidenten. Karas war von 1995 bis 1999 selbst ÖVP-Generalsekretär.
Kein Anruf bei Kanzler Anfang September entschloss sich der 65-Jährige (er hat am Heiligen Abend Geburtstag), hinzuschmeißen. Am Donnerstag rief er zwischen 9 Uhr und 11 Uhr die Landeshauptleute durch, informierte ein paar ihm nahestehende Regierungsmitglieder, teilte Christian Stocker seinen Entschluss mit. Bei Kanzler und Parteichef Karl Nehammer blieb das Handy stumm.
Feindbild Kurz Othmar Karas ist seit Jahren schon ein Fremdkörper in der ÖVP, ein Torpedoboot. Er malte sich nie türkis an, sagt, was er für richtig hält, in Teilen der eigenen Partei hat er ähnlich viele Fans wie Greta Thunberg unter Autofahrern. Sebastian Kurz war er in herzlicher Abneigung verbunden, das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit. Mit Karl Nehammer kann er partout nichts anfangen.
Stimmenfänger Die Parteispitze mochte ihn nicht, aber er war erfolgreich. 2019 holte die ÖVP mit ihm bei der Europawahl 34,6 Prozent, ein Plus von 7,6 Prozent, Karas selbst 103.035 Vorzugsstimmen. Nur Listenzweite Karoline Edstadler brachte es mit 115.906 auf mehr. Sie sollte ÖVP-Spitzenkandidatin werden, wehrt sich aber, kokettiert eher auf einen Job als EU-Kommissarin. Die Partei denkt nun daran, Staatssekretärin Claudia Plakolm aufzustellen. Für Karas würde das die Bestätigung einiger Thesen über seine Partei bedeuten.
Weg ist er nicht Der Verzicht auf die EU-Kandidatur macht den Weg frei für eine "Liste Karas" bei den Nationalratswahlen. Die ersten Unterstützer werden sich bald melden. Vorab hat Karas vor allem Fans in den anderen Parteien, die ihm am Donnerstag inniglich zum Auftritt gratulierten, die eigene Partei nahm ihn "zur Kenntnis". Zwei Institute haben das Potenzial des Abtrünnigen im vergangenen Monat abtesten lassen, einer der Aufträge dafür kam von der ÖVP. Karas lag dabei zwischen vier und sechs Prozent. Nicht berauschend viel – außer diese Stimmen fehlen einem selber.