Ukraine

Russischer Partisan: "Angriff auf Kreml war effektiv"

An der ukrainischen Grenze kämpfen russische Partisanen gegen Russlands Armee. Ein Interview mit Ilya Ponomarev von der "Legion Freiheit Russlands".

20 Minuten
3. Mai 2023: Eine Explosion über dem Kreml schockt die Welt. Es war offenbar ein Drohnenangriff im Herzen der russischen Machtzentrale.
3. Mai 2023: Eine Explosion über dem Kreml schockt die Welt. Es war offenbar ein Drohnenangriff im Herzen der russischen Machtzentrale.
Ostorozhno Novosti/Handout

Den Behörden zufolge ist in der russischen Grenzregion Belgorod wieder alles ruhig. Der Alarmzustand aufgehoben, die eingedrungenen "ukrainischen Militäreinheiten" getötet oder vertrieben. "Das ist natürlich falsch", sagt Ilya Ponomarev in einem Telefon-Interview mit "20 Minuten" aus Kiew. "Es sind russische Partisanen-Einheiten, die auf der Seite der Ukraine und gegen Putin kämpfen. Wir sind auch jetzt noch dort." Überprüfen lassen sich die Angaben beider Seiten nicht.

Ilya Ponomarevs gesamtes Interview im Wortlaut:

Herr Ponomarev, was ist das Ziel in Belgorod?

Eines wurde am Mittwoch erreicht: Russland musste aus Sicherheitsgründen Truppen und Gerätschaften von der Grenze zurückverlegen. Auch sollen demilitarisierte Zonen und Ablenkungen von der Front geschaffen sowie russisches Equipment erbeutet werden.

Moskau zufolge wurden in Belgorod 70 Eindringlinge getötet.

Richtig ist: Wir haben im Einsatz zwei Männer verloren. Es gibt auch zehn Verwundete. Ansonsten sind russische Kämpfer weiterhin in Belgorod. Die Truppen sicherten einen Grenzbereich auf 40 Kilometern und rückten weiter ins russische Landesinnere vor. Kämpfe flammen immer wieder auf.

<strong>Ilya Ponomarev</strong> (49) war einst Mitglied des russischen Parlaments. In der Duma stimmte er als einziger gegen die russische Krim-Annexion 2014.
Ilya Ponomarev (49) war einst Mitglied des russischen Parlaments. In der Duma stimmte er als einziger gegen die russische Krim-Annexion 2014.
Facebook/Ilya Ponomarev

Was ist mit den US-Militärfahrzeugen, welche die Widerstandstruppen in Belgorod zurückgelassen haben sollen?

Ich weiß nicht, woher Moskau sie hervorgezaubert hat. Die präsentierten Humvees, die wir angeblich zurückließen, waren nicht unsere. Unsere Fahrzeuge haben eine ganz andere Camouflage. Mittlerweile haben Blogger die Fotos als Fake widerlegt.

Dieses Fahrzeug wird vom russischen Militär den russischen Partisanen zugeschrieben. Es soll beim Angriff auf die russische Region Belgorod zum Einsatz gekommen sein.
Dieses Fahrzeug wird vom russischen Militär den russischen Partisanen zugeschrieben. Es soll beim Angriff auf die russische Region Belgorod zum Einsatz gekommen sein.
Vyacheslav Gladkov, Gouverneur der Region Belgorod, via Telegram / REUTERS

Wie groß sind die Widerstands-Einheiten?

Sagen kann ich, dass es insgesamt fünf Bataillone gibt: vier der "Legion der Freiheit Russlands» und ein Bataillon des «Russischen Freiwilligen Korps". [Ein Bataillon umfasst 300 bis 1.000 Soldaten, Anm.]

Wie reagiert die russische Bevölkerung in Belgorod?

Mehrheitlich sehr freundlich und unterstützend. Viele Leute aus der Region, die mit Putins Regime in Verbindung standen, sind diese Woche verschwunden – ganze Autokolonnen mit höheren Mitarbeitenden der russischen Behörden, Polizei und des Geheimdienstes.

Nur er stimmte in der Duma gegen die russische Krim-Annektion 2014

Ilya Ponomarev (49) war einst Mitglied der Kommunistischen Partei Russlands und von 2007 bis 2016 Mitglied des russischen Parlaments. In der Duma stimmte er als einziger gegen die russische Krim-Annexion 2014. Nach dem Verlust seiner Immunität ging er ins ukrainische Exil. 2019 erhielt er die ukrainische Staatsbürgerschaft. Sein Name steht mittlerweile auf russischen Terrorlisten. Die russischen Widerstandsbataillone unterstehen in der Ukraine der Internationalen Legion der ukrainischen Streitkräfte

Steht der russische Widerstand auch hinter den Drohnenattacken auf den Kreml?

Ja – eine sehr effektive Operation. Später gab es dann an der Militärparade in Moskau zwar noch den einen Panzer aus der Stalin-Zeit zu sehen. Aber Putin konnte aus Sicherheitsgründen nicht den geliebten traditionellen Empfang für die Zweit-Weltkriegs-Veteranen geben oder den Marsch der Bürgerinnen und Bürger anführen.

Video: Drohnen-Angriff auf Kreml – Video zeigt die Explosion

Wie eng koordiniert man mit der Ukraine?

Die ukrainische Seite gibt grünes Licht für unsere Missionen. Doch wir planen selbst und führen sie eigenständig durch.

Partisanen töteten in Russland den Militärblogger Wladlen Tatarski und die Tochter eines rechtspopulistischen Politikers – da kann der Kreml schon von Terrorakten sprechen.

Nein, es ist andersrum: Sie führen Anti-Terror-Operationen gegen Wladimir Putins Terrorstaat. Sie nehmen auch keine Zivilisten ins Visier, das ist bei unseren Operationen nie geschehen. Der Kampf richtet sich gegen Schlüsselvertreter von Putins System: seine Ideologen und Propagandisten, Geldgeber, Behörden- und Militärvertreter.

Wladlen Tatarski, mit bürgerlichem Namen Maxim Fomin, wurde am 2. April 2023 in St. Petersburg durch einen Sprengsatz getötet.
Wladlen Tatarski, mit bürgerlichem Namen Maxim Fomin, wurde am 2. April 2023 in St. Petersburg durch einen Sprengsatz getötet.
REUTERS

Der russische Widerstand kooperiert mit dem Neonazi-Kommandanten Denis Nikitin vom "Russian Volunteer Corps". Futter für die russische Propaganda, die in der Ukraine überall Neonazis und Faschisten sieht?

Herr Putin bekämpft in der Ukraine nicht ukrainische Neonazis, er schickt russische Neonazis. Und selbst die schließen sich der ukrainischen Seite an. Im Ernst: Im Zweiten Weltkrieg meinte der britische Premier Churchill, er würde sich mit Stalin und sogar dem Teufel zusammentun, solange dies Hitler zu besiegen helfe. Es ging in dem Moment nicht um Ideologien, es war schlicht das Richtige zu tun.

Ich habe ganz andere Ansichten als das "Russian Volunteer Corps". Immerhin sind wir uns darin einig, dass in Russland die Macht wieder zurück ans Volk muss, in demokratischen Wahlen. In diesem Zusammenhang beunruhigen mich die Rechtsextremisten um einen Denis Nikitin, die in der breiten Bevölkerung politisch keinen Rückhalt haben dürften, tatsächlich weniger.

23. Mai 2023: Ein Mitglied des russischen Freiwilligenkorps am Grenzübergang Graivoron in der Region Belgorod.
23. Mai 2023: Ein Mitglied des russischen Freiwilligenkorps am Grenzübergang Graivoron in der Region Belgorod.
Russian Volunteer Corps/Handout via REUTERS

Was beunruhigt Sie mehr?

Die russischen Mainstream-Liberalen, die für den Sturz Putins einen gewaltlosen Weg propagieren. Sie schaden der russischen Widerstandsbewegung mehr als ein Denis Nikitin, weil sie nichts mehr unternehmen. Das Putin-Regime hat die russische Gesellschaft korrumpiert, die Bevölkerung versteht nicht mehr, wie sie noch Einfluss nehmen kann. Doch der Krieg ist ein Weckruf.

Ihr Traum von Russland?

Eine parlamentarische Demokratie. Kein imperialistisches Reich mehr, die russischen Republiken entscheiden, ob sie zur Russischen Föderation gehören wollen und ob diese keine Bedrohung für ihre Nachbarn ist. Wo die Bevölkerung die Macht hat und es keine Zaren und Putinismus mehr gibt.

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