"Paramilitärisches Element"
Hass-Mob zündet in Belfast Geschäfte von Migranten an
Auch in Nordirland kommt es inzwischen zu Ausschreitungen, die von Rechtsextremisten mit Fake News weiter eskaliert werden. Die Polizei ist in Sorge.
Die Welle der Gewalt im Vereinigten Königreich ist bis nach Nordirland geschwappt. Am Wochenende wurden Teile von Belfast durch Teilnehmer eines ausländerfeindlichen Protestmarsches verwüstet. Geschäfte und Lokale von mutmaßlich muslimischen Inhabern wurden dabei gezielt attackiert und teils völlig zerstört, die Polizei konnte einen Übergriff auf ein Islam-Zentrum verhindern.
Der flaggenschwingende Hass-Mob habe es auf "alles mit einem arabisch oder muslimisch klingenden Namen" abgesehen gehabt, beschreibt ein Betroffener namens Bashir am Montag gegenüber BBC Radio Ulster die Lage. Sein eigener Laden sei in Brand gesteckt worden und komplett ausgebrannt: "Es ist buchstäblich alles weg, nichts ist mehr da, alle Lebensmittel sind weg, alles. Es war wie eine Katastrophe, es war wie ein Albtraum."
"Angriff ein Hassverbrechen"
Ein Mann wurde während der Unruhen von einer Gruppe überfallen und zu Boden geschlagen. Als er bereits am Asphalt lag, sollen die Angreifer weiter auf seinen Kopf eingetreten haben. Das Opfer wurde dabei schwer verletzt: "Sein Zustand wird als ernst beschrieben, und wir behandeln den Angriff als ein Hassverbrechen", meldet die Polizei.
Die Gewalt ist seither nicht abgeebbt. In der Nacht auf Dienstag wurden Polizisten mit schweren Steinen, Ziegeln und Molotow-Cocktails beschossen. Die Angriffe setzten sich über Stunden hinweg fort.
In dem ethnisch stark durchmischten Bezirk im Süden von Belfast rund um Sandy Row und Donegall Road würden zwar regelmäßig Hassverbrechen auf ansässige Minderheiten verübt, das Ausmaß der jetzigen Gewalt, des angerichteten Schadens und auch der Polizei-Antwort sei aber völlig neu gewesen, heißt es in einem Bericht der "Irish Times".
Von Rechtsextremen gesteuert
Hintergrund der ausländerfeindlichen Ausschreitungen ist die blutige Messer-Attacke in Southport. Ein 17-Jähriger gebürtiger Brite mit Eltern aus Ruanda hatte drei kleine Mädchen getötet, weitere verletzt. Kurz darauf verbreitete sich die Falschmeldung, wonach der Killer ein muslimischer Migrant wäre, der per Boot nach England gekommen sein solle.
Das stimmt zwar alles nicht, doch bekannte Rechtsextremisten sind sofort mit Anti-Ausländer-Parolen auf die Erzählung aufgesprungen und befeuern seither die Wut über die Sozialen Medien. Einer der Hauptakteure dahinter ist der Gründer und frühere Leiter der "English Defence League" (EDL), Tommy Robinson, der eigentlich Stephen Yaxley-Lennon heißt.
Über seine Social-Media-Kanäle stachelt er nun seine hunderttausenden Follower, angebliche Patrioten, zu Ausschreitungen an – während er selbst in Zypern weilt. Angeblich auf Urlaub, gleichzeitig sollte er aber in der Heimat vor Gericht erscheinen.
Terrorismusforscher Peter R. Neumann spricht von einer "neuen Qualität" und einer für alle liberalen Demokratien brandgefährlichen Entwicklung: "Hier entsteht momentan ein neues 'Drehbuch' für rechtsextreme Proteste."
Gewalttätige Proteste gegen Migranten in Großbritannien
Polizei sieht "paramilitärisches Element"
Besonders besorgniserregend mit Blick zurück nach Belfast sind Aussagen der dortigen Exekutive. Die stellvertretende Polizei-Chefin Melanie Jones sagte am Dienstag gegenüber britischen Medien am Dienstag, sie habe "keinen Zweifel daran, dass es ein paramilitärisches Element gibt". Dazu beschrieb sie Beobachtungen, wonach scheinbar jüngere Randalierer von einigen älteren Menschen angeleitet worden waren.
"Was wir Montagabend gesehen haben, unterscheidet sich unserer Meinung nach von dem, was wir am Samstag gesehen haben. Am Samstag sahen wir vor allem ältere Erwachsene, die in Unruhen verwickelt waren. Letzte Nacht war uns klar, dass es ein jüngeres Element gab, hauptsächlich Teenager, die in die Unruhen verwickelt waren, aber es gab auch ein Element der Organisation und Inszenierung durch scheinbar ältere Erwachsene, die am Tatort anwesend waren." Ob dieses "paramilitärische Element" aber der Hauptorganisator hinter den Ereignissen sei, könne man noch aber noch nicht gesichert sagen.
Die britische Exekutive rechnet jedenfalls mit weiteren Eskalationen im ganzen Land. Für Dienstag sind sechs weitere Aktionen angekündigt, am Mittwoch werden mindestens 30 Zusammenkünfte überwacht. Die Polizeikräfte wurden um Tausende speziell auf Ausschreitungen geschulte Beamte aufgestockt, in Gefängnissen wurden ad hoc hunderte U-Haftplätze für Randalierer freigeräumt.
Auf den Punkt gebracht
- In Nordirland kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen ein ausländerfeindlicher Protestmarsch zu Angriffen auf Geschäfte und Lokale mit mutmaßlich muslimischen Inhabern führte
- Die Polizei wurde mit Steinen, Ziegeln und Molotow-Cocktails beworfen, und es wird von einem paramilitärischen Element hinter den Ereignissen gesprochen
- Rechtsextreme haben die Wut über soziale Medien angeheizt, was zu einer gefährlichen Entwicklung in liberalen Demokratien führt
- Die Polizei rechnet mit weiteren Eskalationen und hat ihre Kräfte verstärkt