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Halten Games bald Einzug in die Fitness-Studios?
"Wii Fit" und Luftboxen waren gestern: Der "ExerCube" soll die Fitness-Welt erobern und für den sogenannten Dual Flow sorgen.
Der Puls wird schneller, Schweiß tropft von der Stirn. Die Sportlerin steht mitten in einem Raum von drei mal drei Metern, auf drei Wände werden das Spiel, der Puls und eine Punktzahl projiziert. Zu sehen ist eine röhrenartige Fahrt auf einem Hoverboard durch eine Sci-Fi-Unterwasserwelt. Regelmäßig erscheinen Bewegungsvorgaben. An den Handgelenken trägt die Sportlerin Sensoren und am Körper einen Pulsmesser. Sie folgt den Vorgaben, hüpft, duckt sich, schlägt mit den Fäusten gegen die gepolsterten Wände. Eine virtuelle Spielfigur kopiert ihre Bewegungen. Macht sie alles richtig, wird sie mit optischen und akustischen Effekten belohnt. Bei einem Fehler erklingt ein absteigender Ton und die Spielanzeige wird kurz rot.
Die Frau steht im "ExerCube" – einer Erfindung der Game-Forscherin und Sportwissenschaftlerin Anna Martin-Niedecken. Beim "ExerCube" handelt es sich um einen Trainingsraum, auf dessen Wände die Spielwelten projiziert werden. Der Computer misst über Bewegungssensoren und einen Pulsmesser die Performance des Sportlers und passt Sound, Schwierigkeitsgrad und Geschwindigkeit auf körperlicher und geistiger Ebene laufend an. Das Ziel: den Sportler nicht zu über-, aber auch nicht zu unterfordern. "Es soll ein Dual Flow entstehen", sagt Martin-Niedecken, "Geist und Körper werden beide ideal ausgelastet."
Gegen die Wand
Die Idee zum "ExerCube" hatte die Wissenschaftlerin während eines Forschungsprojekts. "Ich sah eine Marktlücke", sagt sie. Das Produkt gehe weiter als zum Beispiel "Wii Fit" oder bestehende Lösungen am Fitnessmarkt. So schlägt der Sportler zum Beispiel nicht in die leere Luft, sondern gegen eine gepolsterte Wand. "Wir haben viele Materialien, ihre Widerstände und ihr Feedback getestet", sagt sie. Dem Spiel liege ein ausgeklügeltes Trainingskonzept zugrunde.
Zusammen mit ihrem Ehemann Stephan Niedecken, dem Fitness-Experten Dave Baucamp und Helko Roth, der sich ums Business Defahrradpment kümmert, hat Martin-Niedecken die Firma Sphery gegründet. Das Quartett möchte mit dem "ExerCube" den Fitness-Markt erobern. Zur Hauptzielgruppe zählen Fitnessstudios. Geprüft werde aber auch die Eröffnung eigener Studios. Anfang Oktober startet Sphery mit einem ersten eigenen Studio in Zürich. "Die Installation braucht ein bisschen Platz", sagt Martin-Niedecken. Für den Einsatz zu Hause müsste das Setting ziemlich verkleinert werden, was sie aber nicht ausschließt.
Spielfreude und Schweiß
Der "ExerCube" soll auch Leute zum Sport animieren, die Fitnessstudios sonst meiden. "Spiele haben eine Magie, sie lassen einen Raum und Zeit vergessen", sagt die Forscherin. Auch im "ExerCube" überwiege die Spielfreude. Trainiert werden kann auch gemeinsam. Vorstellbar sei zudem eine VR-Installation, in der Spieler aus verschiedenen Ecken der Welt aufeinandertreffen.
Noch gibt es einiges zu tun. Die Trainingswelten sollen ausgebaut werden und neue dazukommen, zum Beispiel Yoga-Welten oder ein Game für reines Krafttraining. Dafür arbeitet das Quartett mit dem Studio Kobold Games zusammen. "Wir haben bis jetzt etwa eine halbe Million Franken investiert", sagt Stephan Niedecken, der sich ums Finanzielle kümmert. Dass sie sich selbst keine Löhne auszahlen, bringt sie jedoch nicht ins Schwitzen.
Immer heftiger ins Schwitzen gerät hingegen die Sportlerin, die im "ExerCube" hüpft und tanzt. "Man vergisst schnell die Zeit und das Training vergeht wie im Flug", so Martin-Niedecken. (jag)