Steigende Armut
"Bricht mir das Herz" – Andrang auf größten Sozialmarkt
Der größte Sozialmarkt Niederösterreich öffnete mit Jahresbeginn in Wr. Neustadt. Jede Woche kommen 50 neue Mitglieder dazu – ein drastisches Zeichen.
Am 2. Januar 2025, ausgerechnet am selben Tag, als Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl gegenüber der APA Maßnahmen gegen die steigende Arbeitslosigkeit forderte, eröffnete Niederösterreichs größter Sozialmarkt. Menschen mit geringem Einkommen können dort Lebensmittel und andere Produkte zu ermäßigten Preisen zu kaufen.
Steigende Nachfrage – schon über 5.000 Mitglieder
Nahezu jede fünfte Person ist armutsgefährdet – der Statistik Austria zufolge sind das in Österreich 1,5 Mio. Menschen. Putins Angriffskrieg, gestiegene Energiepreise und zuletzt die Insolvenz-Welle führen zu vermehrtem Zulauf bei den Sozialmärkten. Anders als in Spanien griff die Regierung nicht in Preise ein.
„Wenn ich in traurige Kinderaugen sehe, dann bricht mir fast das Herz“
Michael Depisch, 52 Jahre, kennt seine Kunden, er hilft seit sieben Jahren jeden Samstag im Sozialmarkt, teilweise unterstützt durch seine beiden Kinder 15 und 17 Jahre alt. Hauptberuflich ist Depisch Krankenpfleger und kam eines Tages zufällig mit dem Projekt in Berührung. "Wenn ich in traurige Kinderaugen sehe, dann bricht mir fast das Herz. Ich brauche kein Geld, um hier mitzuarbeiten."
Das sagt auch Franz Lechner, der Gründer des Projekts. Er berichtet von einem bemerkenswerten Anstieg der Mitgliederzahlen. Mehr als 5.000 Menschen aus Wiener Neustadt und den umliegenden Bezirken nutzen regelmäßig das Angebot. Zuletzt stieg die Nachfrage massiv.
Franz Lechner betreib den größten Sozialmarkt in NÖ
Der neue Standort in der Waldschulgasse vereint die bisherigen Einrichtungen "Sozialer Greißler", "Foodpoint" und das "Sozialkaufhaus" auf 1.700 Quadratmetern – 400 Quadratmeter davon für Lebensmittel. Das soll dem steigenden Bedarf an sozialer Unterstützung, in Folge der Pandemie und den Teuerungen, gerecht werden.
Lechner spricht von mindestens 50 neuen Mitgliedern seit Neujahr, was verdeutliche, wie angespannt die Lage für viele Menschen sei. "Als Kind aus dem Arbeitermilieu weiß ich, wie es den Menschen geht, die fleißig arbeiten und trotzdem nicht auskommen." Und er fügt an: "Das geht bis in die Mitte der Gesellschaft – es betrifft ganz normale Leute, wie dich und mich."
Aus Flohmarkt wurde Verein mit Ehrenamtlichen
Vor über 16 Jahren, begann Lechner mit Flohmarktaktionen, bei denen übrig gebliebene Möbel und Lebensmittel verschenkt wurden. Diese kleine Initiative wuchs im Laufe der Jahre und bildete die Grundlage für das "Sozialkaufhaus" und den "Sozialen Greißler", der mittlerweile zu einer wichtigen Anlaufstelle für Bedürftige in der Region geworden ist. "Wir haben damals ganz klein angefangen", erinnert er sich und sagt: "Heute sind wir ein Verein mit 40 Ehrenamtlichen."
„Armut ist, wenn man sich gesellschaftlich nicht bewegen kann.“
"Niemand von uns verdient daran", sagt Depisch. Er weiß aus seiner Arbeit im Krankenhaus, sagt er, dass es ganz schnell gehen kann – "auf einmal ist der Boden unter den Füßen weg." Eine Krankheit, Jobverlust, die Pflege von Angehörigen oder durch andere Schicksalsschläge käme es zu Notlagen im Leben der Menschen. "2022, zu Kriegsbeginn in der Ukraine, standen 200 Familien, die geflohen waren, vor unserer Tür."
Keine Scham
"Wir sind da, egal, wer uns braucht. Hier muss sich niemand nackt ausziehen." Anders als bei staatlichen Unterstützungen würde man niemanden durchleuchten. Herkunft, Religion oder Arbeitsstatus spielten keine Rolle, wenn man sich die Probleme der Menschen bewusst mache.
Und es sei einfach zu erklären: "Armut ist, wenn man sich gesellschaftlich nicht bewegen kann", sagt Depisch. Ihm sei wichtig, dass hier nicht die Rede von Sandlern sei, sondern in den allermeisten Fällen von der Mittelschicht, die ihr Erspartes aufgeraucht habe. "Der Sozialhilfeempfänger, ob hier geboren oder anderswo, ist nicht der, der den Staat ruiniert."
„Wenn nicht schnell reagiert wird, dann werden die Hiobsbotschaften im Jahr 2025 nicht abreißen“
"Wir fordern keinen Lohnzettel"
Ein zentrales Angebot des Sozialmarkts bleibt die wöchentliche Gratis-Lebensmittelausgabe. Jeden Samstag wird kostenlos Suppe verteilt, die von Ehrenamtlichen wie Depisch zubereitet wird. Er und Lechner sagen beide: "Niemand, der uns braucht, soll sich schämen müssen." Denn die Gründe für die gestiegene Armut seien nicht im Persönlichen zu suchen, sondern ein strukturelles Problem.
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Auf den Punkt gebracht
- Der größte Sozialmarkt Niederösterreichs hat in Wiener Neustadt eröffnet und verzeichnet einen starken Anstieg der Mitgliederzahlen, was die zunehmende Armut in der Region verdeutlicht.
- Die steigende Nachfrage nach günstigen Lebensmitteln zeigt, wie sehr Menschen durch die Teuerung, insbesondere die gestiegenen Energiepreise, in Folge des Krieges in der Ukraine, belastet sind.