Müll-Chaos in St. Pölten

Greenpeace: "Größter Deponie-Skandal Österreichs"

Wenn sich die Vorwürfe von Greenpeace bestätigen, dann untersuchen Behörden gerade den größten Deponie-Skandal in Österreichs Geschichte.
Aram Ghadimi
31.01.2025, 05:00

Gestank, der sich kilometerweit zieht, riesige Schwärme an Vögeln und Müllberge, die gigantische Ausmaße haben. Das sind nicht etwa Zustände in einem der ärmsten Länder der Welt, irgendwo im globalen Süden, sondern mitten in Niederösterreich, jenem Bundesland, dem seine Landeshauptfrau, Johanna Mikl-Leitner, die höchste Kaufkraft pro Kopf attestiert hat.

Wer viel verdient, der kann auch viel einkaufen. Dementsprechend entsteht viel Müll. In ganz Niederösterreich waren es laut der Abteilung Umwelt- und Energiewirtschaft des Landes über 900.000 Tonnen. Bei einer Bevölkerung von 1,7 Millionen Menschen errechnete die Behörde rund 500 Kilo pro Kopf und Jahr. Der Müll der Region St. Pölten wird im Westen der Stadt aufgearbeitet und deponiert. Mehr als zwei Millionen Tonnen sollen hier unter der Erde liegen, beziffert die Umweltschutzorganisation Greenpeace in einer aktuellen Aussendung.

Ein Deponie-Skandal, der zum Himmel stinkt

Wenn es stimmt, was Greenpeace darin schreibt, wird bei St. Pölten gerade der größte Müll-Skandal der jüngeren Geschichte Österreichs untersucht. Das Investigativ-Team der Umweltschutzorganisation hat historische Satellitenaufnahmen untersucht und sieht es als belegt an, dass auf der Deponie "Am Lehmofen" tausende Tonnen stinkenden Mülls über Jahre hinweg unsachgemäß verscharrt worden sind.

Müllgestank seit den 1960ern

Eine Menge, die sprichwörtlich zum Himmel stinkt. Das auch, weil dort jeden Monat tausende Tonnen stinkender Abfälle angeliefert wurden, die – so lautet der Vorwurf – illegal offen gelagert wurden und später in Teilen unaufgearbeitet verscharrt worden sind.

„Die Aufnahmen aus der Luft geben Hinweise darauf, dass die Falschdeponierung bereits deutlich länger zurückgeht und ein deutlich größeres Ausmaß hat als bisher angenommen.“
Stefan StadlerSprecher von Greenpeace

Seit den 1960ern wird in der ehemaligen Lehmgrube Müll entsorgt. Greenpeace zufolge, häufen sich die besagten zwei Millionen Tonnen zu einem gigantischen Berg aus Mist auf. Wo die einen nur Unrat sehen können, wittern andere lukrative Geschäfte.

Zustände wie Neapel

Schon 2019, als die Landesregierung das 17,2 Hektar große Areal privatisierte und für 900.000 Euro an ein Abfallverwertungsunternehmen verkaufte (der Kaufvertrag liegt Greenpeace vor), gerieten das Unternehmen, wie auch die Behörde, in die Schlagzeilen.

Aus einem "Kurier"-Bericht, der im Jahr 2019 erschienen war, geht hervor, dass das Unternehmen 7.000 Tonnen Hausmüll aus Italien importiert hatte: "Grund für die Lieferungen sei, dass in Italien nicht die nötigen Kapazitäten zur Wiederverwertung vorhanden seien und als Alternative lediglich die 'illegale Entsorgung' möglich sei", wird darin der damalige Geschäftsführer zitiert.

Ebenfalls 2019 habe die zuständige Behörde, die für die Deponie zulässigen Abfallsorten per Gesetz verdreifacht, die Grenzwerte für Gestank wurden sogar verfünffacht, sagt Greenpeace.

Höchstwahrscheinlich Profite in Millionenhöhe

Eine Anfrage der Grünen St. Pölten beim Bundesministerium für Klimaschutz (BMK) hatte ergeben, dass das Unternehmen über Jahre hinweg aus Müll viel Geld gemacht haben dürfte: Neben Rückständen aus mechanischer Abfallaufbereitung aus Italien sind auch menschliche Hinterlassenschaften, kommunale Klärschlämme und Abwasserschlamm, aus Slowenien importiert worden. Zusammen waren das, laut Anfragebeantwortung, im Jahr 2021 exakt 35.232,49 Tonnen.

Seit 2019 sind so mehr als 100.000 Tonnen Müll nach Österreich geholt worden. Eine gigantische Menge. Zur Veranschaulichung: Diese Menge entspricht 2,5 Millionen vollgefüllten Einkaufswägen. Eingekauft haben sich in dem Fall andere Länder. Zieht man die Zahlen der Wiener Magistratsabteilung 48 (MA48) heran, die im Bereich von fast 300 Euro pro Tonne liegen, dürfte so Millionengewinne entstanden sein.

Seit 2021 kämpfte der Verein "Landeshauptstadt Luft" gegen Schwaden von Verwesungsgeruch und forderte die Behörden zum Handeln auf. Sogar an das Landesverwaltungsgericht hatte man sich im April 2024 gewandt, welches bestätigte, dass die Geruchsbelastung deutlich über den Zielwerten lag.

Aufatmen nach Müll-Razzia

Im Dezember desselben Jahres war es dann soweit: "St. Pölten kann wieder aufatmen!", freute sich der Verein. Dem Druck der Zivilbevölkerung und der beharrlichen Arbeit von Greenpeace ist es zu verdanken, dass die Behörde schließlich tätig wurde und eine unangekündigte Kontrolle durchführte.

In den frühen Morgenstunden des 12. Dezember 2024 waren Beamten der Landesregierung zu einer Müll-Razzia angerückt, in deren Folge das weitere Abladen und Verscharren von Müll gestoppt wurde. Der Leiter der Abteilung Umwelt- und Anlagenrecht des Landes Niederösterreich, sagte gegenüber der APA, dass die Behörde nicht von einem "kurzfristigen Logistikfehler" ausgeht.

Ausmaß größer als gedacht

"Die Aufnahmen aus der Luft geben Hinweise darauf, dass die Falschdeponierung bereits deutlich länger zurückgeht und ein deutlich größeres Ausmaß hat als bisher angenommen", sagte Greenpeace-Sprecher Stefan Stadler am 30. Jänner 2025 zur APA. Anscheinend sei ein System etabliert worden, das Regularien gezielt umging und Profite in Millionenhöhe bescherte.

In einem rund zwei Hektar großen Bereich des Areals, habe man an insgesamt 22 Stellen bis zu sechs Meter in die Tiefe gegraben, um Proben zu ziehen. Wenn sich die Vorwürfe von Greenpeace bestätigen, dann ist die Behörde dabei einen gigantischen Skandal aufzudecken, der mit Sicherheit weitere Berichterstattung nach sich ziehen wird.

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