Klimaschutz
Gletscherrückgang schafft auch neue Ökosysteme
Was passiert, wenn die Gletscher fort sind? Viele Arten gehen mit dem Verlust des "ewigen Eises" für immer verloren, andere rücken nach.
Bis Ende des Jahrhunderts werden laut einer neuen Studie 20 bis 50 Prozent der Gletscherflächen weltweit schmelzen. Tier- und Pflanzenarten, die an das inzwischen nicht mehr ewige Eis angepasst sind, sind dadurch bedroht. Die Gletscherschmelze macht aber auch neue Ökosysteme frei, die für manche Arten Chancen bieten.
Forschende aus Frankreich und der Schweiz haben sich angeschaut, was danach passiert, wenn der Gletscher fort ist. Die Ergebnisse eines Gletscher-Evolutionsmodells sind nun in der Fachzeitschrift "Nature" erschienen. Die Studie liefert nach Eigenangaben die bisher genauesten Prognosen des künftigen Gletscherschwundes. Sie umfasst zwei Drittel aller Gletscher weltweit, nur jene der antarktischen und grönländischen Eisschilde fehlen.
Das Ergebnis: Bis 2040 verlaufen die Schmelzprojektionen unabhängig von den Treibhausgas-Emissionen sehr ähnlich – danach hängt der Rückgang der Gletscherflächen direkt von ihnen ab.
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Bei Null-Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts – dem sehr optimistischen, eher unwahrscheinlichen Szenario – könnte der Gletscherrückgang auf 150.000 Quadratkilometer eingedämmt werden, das entspricht ungefähr der doppelten Fläche Österreichs. Im höchsten Emissionsszenario des Weltklimarats, also bei einer Erwärmung um rund viereinhalb Grad Celsius, könnten bis Ende des Jahrhunderts sogar 340.000 Quadratkilometer Gletschereis verschwinden – in etwa die Fläche Deutschlands. Damit wäre die Hälfte der gegenwärtigen Gletscherfläche verloren – in Zentraleuropa inklusive Österreich sogar 95 Prozent.
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Rückzugsorte für manche Arten
Für viele Lebewesen bedeutet das große Schmelzen einen drastischen Habitatsverlust. In den heimischen Alpen etwa betrifft das viele Wirbellose wie Steinfliegen oder Plattwürmer, die eine wichtige Nahrungsgrundlage für höhere Tiere – Fische, Vögel, Säugetiere – darstellen. Insgesamt sind die vom Eis befreiten Flächen für die Natur jedoch keinesfalls verloren: Auf großen Zeitskalen – bis zu Jahrtausenden – werden sich dort neue Ökosysteme bilden. In der Studie modellieren die Fachleute, auf welche klimatischen Bedingungen sich das Leben da einstellen müssen wird.
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Im gletscherbefreiten Grönland, arktischen Kanada sowie asiatischen Bergland wird es demnach kalt bleiben, mit Jahresdurchschnittstemperaturen zwischen minus 20 und 0 Grad Celsius. Laut der Arbeit könnten die Gegenden mit solchen Bedingungen den Pflanzen und Tieren, die Kälte brauchen, künftig als Rückzugsorte dienen. Zum Beispiel könnte der bedrohte pazifische Lachs in diese Gebiete ziehen, weil es ihm klimawandelbedingt anderorts zu warm wird. Jedenfalls könnte der Anteil nicht-einheimischer Lebewesen zunehmen.
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In den künftig verlorenen Gletscherflächen Islands, Neuseelands und der Anden wird es hingegen laut der Forschungsarbeit bedeutend wärmer sein, die Temperaturen sollen im Mittel teils in die zweistelligen Plusgrade wandern. Dieses milde Klima würde es Pionierpflanzen – den Erstbesiedlern – und Arten mit niedrigen Ansprüchen erlauben, sich zu etablieren.
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Schutz neuer Ökosysteme gefordert
Die Forscher plädieren sowohl für den größtmöglichen Schutz bestehender Gletscher als auch für jenen der künftigen postglazialen Gebiete, damit ihr Potenzial genutzt werden und die Natur ihren Rückzugsort bekommen kann. Lediglich 30 Prozent davon stehen derzeit weltweit unter Naturschutz. Da diese Regionen bisher noch nicht von menschlicher Infrastruktur durchzogen sind, sei der Schutz verhältnismäßig einfach und kostengünstig.
"Die meisten Ökosysteme werden über deren Kapazitäten hinausgehend genutzt. Der Schutz dieser Gemeinschaftsgüter ist dringend, um unumkehrbare Schäden zu vermeiden", heißt es in der Studie.
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