Ukraine

"Gefährlich" – Minister spricht jetzt Warnung aus

Außenminister Schallenberg rechnet nicht mit einem baldigem Kriegsende und warnt: Europa dürfe sich nicht "in falscher Sicherheit wiegen".

Außenminister Alexander Schallenberg spricht Klartext.
Außenminister Alexander Schallenberg spricht Klartext.
MICHAL CIZEK / AFP / picturedesk.com (Symbolbild)

Außenminister Alexander Schallenberg geht nicht davon aus, dass der Krieg in der Ukraine rasch beendet wird. Im Sommer hätte man noch glauben können, dass dieser vielleicht in einen Abnützungskrieg mit geringerer Intensität mündet, sagte er am Donnerstag im Außenpolitischen Ausschuss des Nationalrats, nach der jüngsten Eskalationsstufe sei aber klar, dass man von einer Friedenslösung weiter entfernt sei denn je. Schallenberg zeigte sich dennoch überzeugt, dass eine Lösung nur am Verhandlungstisch erreicht werden könne. Es sei "gefährlich", Forderungen nach einem Waffenstillstand als lächerlich abzutun, warnte er.

Noch offen ist laut Schallenberg, ob sich Österreich an der in Aussicht genommenen EU-Friedensmission im Grenzgebiet zwischen Aserbaidschan und Armenien beteiligen wird. Die Entscheidung darüber werde erst getroffen, sagte er, ließ selbst aber eine Präferenz für einen Einsatz erkennen. Zudem bestätigte er die Ambition Österreichs, in zwei Jahren erneut um einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat zu kandidieren.

Was Meldungen über eine mögliche Verhaftung von Österreicher:innen im Zuge der Demonstrationen im Iran betrifft, informierte Schallenberg die Abgeordneten darüber, dass laut Auskunft von iranischer Seite ein österreichischer Staatsbürger bereits vor knapp einer Woche festgenommen worden sei. Die Festnahme sei demnach aber nicht in Zusammenhang mit den aktuellen Demonstrationen erfolgt, sondern beruhe auf anderen Vorwürfen. Das Außenministerium bemühe sich, Kontakt mit dem Betroffenen aufzunehmen, was aber noch nicht gelungen sei.

Grundlage für die Diskussion im Ausschuss bildete der Außen- und Europapolitische Bericht 2021 (III-770 d.B.), der schließlich gegen die Stimmen der FPÖ angenommen wurde. Der Bericht sei sozusagen noch "druckfrisch", sagte Ausschussvorsitzende Pamela Rendi-Wagner in Anspielung darauf, dass dieser dem Nationalrat erst vor wenigen Tagen übermittelt wurde. Das im Bericht angesprochene Themenspektrum ist breit, auch im Zuge der heutigen Beratungen wurden zahlreiche außenpolitische Felder angesprochen. Die Fragen der Abgeordneten an den Minister reichten von der China-Politik Österreichs über die Entwicklungszusammenarbeit bis hin zur Sanierung der UNO-City.

Schallenberg für Geschlossenheit, Augenmaß und Nervenstärke

Was die Haltung der EU gegenüber Russland in Reaktion auf den Krieg in der Ukraine betrifft, verwies Schallenberg auf drei aus seiner Sicht zentrale Faktoren in den nächsten Monaten: "Geschlossenheit, Augenmaß und Nervenstärke". Bis jetzt sei die westliche Wertegemeinschaft "sehr geschlossen" gewesen, meinte er, das aufrechtzuerhalten werde aufgrund der unterschiedlichen Interessenslagen in den EU-Mitgliedstaaten aber nicht einfach sein. Österreich werde aber weiter für diese Geschlossenheit kämpfen. Europa dürfe sich auch nicht "in falscher Sicherheit wiegen", warnte der Außenminister. Die Gefahr einer Internationalisierung des Konflikts sei nicht gebannt, wie nicht zuletzt der Einsatz iranischer Drohnen durch Russland zeige.

Schallenberg erachtet es aber auch für wesentlich, das Außenmaß nicht zu verlieren. So sprach er sich etwa gegen einen "Sanktionsautomatismus" aus und wandte sich dagegen, die russische Bevölkerung durch eine generelle Visaverweigerung "in Sippenhaft zu nehmen". Das Ziel Österreichs sei nicht "die Vernichtung Russlands", sondern die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine, bekräftigte der Minister.

Als "schweren strategischen Fehler Putins" wertete es Schallenberg, die Gashandelsverträge mit den Russland-Sanktionen zu verknüpfen. Damit hat Putin seiner Meinung nach ein Zweifaches gezeigt: Zum einen habe er damit eingestanden, dass ihm die Sanktionen weh tun. Zum anderen habe er klar gemacht, dass Handels- und Geschäftsverträge für ihn keinen Wert hätten. Das sei nicht einmal zu Sowjetzeiten so gewesen. Der Minister hält es in diesem Sinn auch für "ein gefährliches Wunschdenken", zu glauben, dass Europa im Falle einer Aufhebung der Sanktionen wieder zum "Friedensparadies", das es vor Kriegsbeginn war, zurückkehren könne.

Sowohl Österreich als auch die EU stünden unter Beobachtung, hob der Minister hervor. Die Art und Weise, wie Europa jetzt auftrete und wahrgenommen werde, werde noch jahrzehntelang nachwirken. Gegenüber Drittstaaten ist es nach Auffassung Schallenbergs wichtig klarzumachen, dass an den zum Teil absurd hohen Preisen für manche Güter nicht die Russland-Sanktionen Schuld seien. Schließlich gebe es keine Sanktionen auf Getreide, Ölsaaten, Düngemittel oder Gas.

Dass die Sanktionen tatsächlich wirken, ist für Schallenberg offensichtlich. Ganze Branchen in Russland würden "am Boden liegen", meinte er. Das genaue Ausmaß der Wirkung sei aber schwer abzuschätzen, da Russland seine Zusammenarbeit mit internationalen Finanzorganisationen weitgehend eingestellt habe.

Ausdrücklich bekannte sich Schallenberg auch dazu, die humanitäre Hilfe für die Ukraine fortzusetzen. Österreich ist ihm zufolge, pro Kopf gerechnet, unter den "top vier" in Europa, was die Aufnahme ukrainischer Kriegsflüchtlinge betrifft.

Keine Anzeichen sieht Schallenberg derzeit dafür, dass Belarus militärisch in den Ukraine-Krieg eingreift. Es sei aber Aufmarschgebiet für russische Truppen. Die EU hat ihm zufolge bereits deutlich gemacht, dass die Sanktionen verschärft würden, sollte sich Belarus stärker in den Konflikt einmischen. Österreich würde sich überdies weiterhin für die belarussische Zivilgesellschaft einsetzen.

Mehr Budget für Auslandskatastrophenfonds

Österreich müsse aber auch auf andere Krisenherde schauen, betonte Schallenberg und wies etwa auf die Drohgebärden Nordkoreas, den Konflikt zwischen Tadschikistan und Kirgisistan, die Auseinandersetzungen zwischen Aserbaidschan und Armenien sowie die Lage in Afghanistan hin. Zudem habe das "gefährliche Spiel mit Nahrungsmittel- und Gaspreisen" enorme Auswirkungen auf den afrikanischen Kontinent.

Vor diesem Hintergrund begrüßte Schallenberg die vorgesehene Aufstockung der Budgetmittel sowohl für den Auslandskatastrophenfonds als auch die Entwicklungszusammenarbeit. So werden ihm zufolge 12 Mio. € mehr für Entwicklungszusammenarbeit und 20 Mio. € mehr für

humanitäre Hilfe zur Verfügung stehen. Hilfe vor Ort sei auch deshalb wichtig, damit die Betroffenen "ihr Schicksal nicht rücksichtslosen Schleppern übergeben", spannte der Minister einen Bogen zum Thema Migration und Asyl.

Über Rückführungsabkommen wird laut Schallenberg derzeit mit rund 30 Ländern verhandelt, wobei er etwa Armenien, Aserbaidschan, Indien und die Mongolei nannte. Viele Staaten wollten die Verhandlungen aber breiter sehen und neben Rückführungen auch über Visaerleichterungen, etwa für Diplomaten oder Studierende, sprechen. Der Minister erwartet auch, dass der Migrationsdruck über die Türkei weiter steigen wird.

"Kante zeigen"

Was die Niederschlagung der Proteste im Iran betrifft, bekräftigte der Außenminister die Notwendigkeit, "klar dagegen zu halten" und "Kante zu zeigen". In diesem Zusammenhang wies er etwa auf die beschlossenen EU-Sanktionen, die Einberufung des iranischen Botschafters und die ausgesprochene Reisewarnung für den Iran hin. Er habe auch ein langes Gespräch mit dem iranischen Außenminister in New York gehabt, informierte Schallenberg.

Wenig optimistisch ist der Minister, was das Atomabkommen mit dem Iran betrifft. Es würden zwar 98% des Abkommens stehen, die Entwicklung gehe derzeit aber in die Gegenrichtung, sagte er und äußerte Zweifel daran, dass der Iran tatsächlich noch ein Interesse am Abkommen hat. Er selbst sei der Meinung, dass ein ungenügendes Abkommen noch immer besser sei als gar kein Abkommen, so Schallenberg.

Einmal mehr machte sich Schallenberg auch für eine stärkere EU-Anbindung des Westbalkans stark. Der Ukraine-Krieg berge auch das Risiko, dass sich die Situation im Westbalkan destabilisiere, sagte er. Das wichtigste, das Österreich tun könne, sei, die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Viele Staaten hätten ein großes Problem mit einem "Brain-Drain", da viele Junge das Land verlassen. Der Minister plädierte zudem für eine Visaliberalisierung für den Kosovo.

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    ALEX WROBLEWSKI / AFP / picturedesk.com
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