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Forscher wollen Ozonloch über Tropen entdeckt haben

Eine neue Studie behauptet, dass es ein Loch in der Ozonschicht über den Tropen gibt. Es soll siebenmal so groß sein wie jenes in der Antarktis.

Sabine Primes
Die Dicke der Ozonschicht ist farblich von blau (am niedrigsten) über grün und gelb bis rot (am höchsten) kodiert.
Die Dicke der Ozonschicht ist farblich von blau (am niedrigsten) über grün und gelb bis rot (am höchsten) kodiert.
Science Photo Library / picturedesk.com

Ein Ozonloch, siebenmal größer als das bekannte Ozonloch in der Antarktis, befinde sich derzeit über tropischen Regionen und soll seit den 1980ern bestehen. Diese beunruhigende Meldung kommt von einem Forscherteam aus Kanada. Professor Qing-Bin Lu von der Universität Waterloo in Ontario und seine Kollegen berichten im Fachmagazin "AIP Advances" von dem bisher angeblich unentdeckten Ozonloch.

Was ist Ozon?
Ozon ist ein Molekül, das aus drei Sauerstoffatomen besteht und in geringen Mengen natürlich vorkommt. Es entsteht in tropischen Breitengraden und ist rund um den Globus verteilt. Die Ozonschicht ist eine natürliche Gasschicht in der Stratosphäre – der zweiten Schicht der Erdatmosphäre. Sie absorbiert den größten Teil der schädlichen ultravioletten Strahlung der Sonne. Das sind jene Strahlen, die Hautkrebs, grauen Star und eine Vielzahl von Umweltproblemen verursachen können.
Seit den 1970er Jahren haben Wissenschaftler festgestellt, dass der Ozongehalt in bestimmten Regionen abgenommen hat. Wenn die Ozonkonzentration um bis zu 80 Prozent ihres normalen Wertes abnimmt, spricht man von einem Ozonloch. Als Ozonloch bezeichnet man eine starke Ausdünnung der Ozonschicht, wie sie 1985 erstmals am Südpol über der Antarktis festgestellt wurde, Anfang 2020 nach einem Bericht des Alfred-Wegener-Instituts zum ersten Mal auch über der Arktis (Nordpol)
Man erkannte, dass die als FCKW bezeichneten Chemikalien, die zum Beispiel in Kühlgeräten und Aerosolen verwendet werden, das Ozon in der Stratosphäre zerstören, was zu einem Verbot ihrer Verwendung führte. 1987 wurde das Montrealer Protokoll vereinbart, das zu ersten Anzeichen einer Erholung der antarktischen Ozonschicht führte.
Studien zeigen, dass sich das Ozonloch tendenziell erholt – doch es gibt hohe Schwankungen in seiner jährlichen Ausprägung. Im Jahr 2019 war das antarktische Loch so klein wie nie, das arktische Loch brach 2020 dagegen einen Größenrekord.

Eine Frage der Definition

In einem E-Mail-Gespräch mit "Interesting Engineering" erläuterte Lu seine Arbeit weiter und sagte, dass nach der herkömmlichen Definition eines 80-prozentigen Ozonabbaus in den Tropen kein Loch zu finden wäre, selbst wenn die Werte auf 60-65 Prozent sinken würden. Daher verwendet Lu in seiner Arbeit eine andere Definition, die einen Ozonverlust von 25 Prozent oder mehr als Ozonloch bezeichnet. Dies führe auch zu einem Ozonloch über der Arktis im Frühling, sagte Lu in der E-Mail.

"Der Abbau der Ozonschicht kann zu einer erhöhten bodennahen UV-Strahlung führen, die das Risiko von Hautkrebs und Grauem Star beim Menschen erhöhen, das menschliche Immunsystem schwächen, die landwirtschaftliche Produktivität verringern und empfindliche Wasserorganismen und Ökosysteme negativ beeinflussen kann", so Lu in der Pressemitteilung. Die Tatsache, dass die tropischen Regionen die Hälfte der Erdoberfläche ausmachen und die Hälfte der Weltbevölkerung beherbergen, ist sehr besorgniserregend. Lu bezeichnete dies als Anlass zu "großer globaler Besorgnis" und forderte in der Pressemitteilung "sorgfältige Untersuchungen des Ozonabbaus, der Veränderung der UV-Strahlung, des erhöhten Krebsrisikos und anderer negativer Auswirkungen auf die Gesundheit und die Ökosysteme in den tropischen Regionen".

Zweifel an der Studie

Allerdings ist nicht jeder von Lus Ergebnissen überzeugt. Dr. Paul Young von der Lancaster University und einer der Hauptautoren des WMO/UNEP Scientific Assessment of Ozone Depletion aus dem Jahr 2022 sagte: "Es gibt kein 'tropisches Ozonloch', das durch die vom Autor vorgeschlagenen Elektronen aus der kosmischen Strahlung oder anderweitig verursacht wird (...) Dass der Autor ein 'tropisches Ozonloch' identifiziert hat, liegt daran, dass er prozentuale Veränderungen des Ozons betrachtet und nicht die absoluten Veränderungen, wobei letztere für die schädliche UV-Strahlung, die die Oberfläche erreicht, viel relevanter sind. Interessanterweise stützt sich sein Artikel auch nicht auf die umfangreiche Literatur, die die Ozontrends in allen Regionen der Atmosphäre untersucht und dokumentiert."

Auch andere Experten widersprechen Lu und fragen sich, warum seine Studie überhaupt in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. Professor Martyn Chipperfield, Professor für Atmosphärenchemie an der Universität von Leeds, sagte: "Ich bin überrascht, dass diese Studie überhaupt in ihrer jetzigen Form veröffentlicht wurde. Die Ergebnisse dieser Arbeit werden höchst umstritten sein, und ich bin nicht davon überzeugt, dass sie korrekt sind. Wir haben bereits ein gutes Verständnis des polaren Ozonabbaus aufgrund verschiedener, gut etablierter chemischer Mechanismen, die das langsame und variable Schließen des antarktischen Ozonlochs erklären können, und diese neue Studie überzeugt mich nicht vom Gegenteil. Die Behauptung in dieser Studie, dass es in den Tropen so große Ozonveränderungen gibt, wurde in anderen Studien nicht gefunden, was mich sehr misstrauisch macht. Die Wissenschaft sollte sich nie nur auf eine einzige Studie verlassen, und diese neue Arbeit muss sorgfältig überprüft werden, bevor sie als Tatsache akzeptiert werden kann."