Zufallsfund
Forscher entdecken geheime Atombasis unter Grönland-Eis
Bei einem Flug über Grönland haben NASA-Wissenschaftler eine geheime Stadt entdeckt. "Wir hatten erst keine Ahnung, was das ist", so einer Forscher.
Während eines Testfluges über Grönland im April 2024 machten der NASA-Wissenschaftler Chad Greene und sein Team aus Ingenieuren eine überraschende Entdeckung. Mehr als 200 Kilometer östlich der US-amerikanischen Pituffik Space Base (bis 2023 Thule Air Base) im hohen Norden schlug das am Rumpf montierte neuartige Radar Alarm: Es hatte etwas Seltsames unter der weißen Eisfläche registriert.
"Wir haben nach dem Gesteinsuntergrund des Eises gesucht", beschreibt Co-Projektleiter Alex Gardner, ein Kryosphärenforscher am Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA, den Moment. "Wir hatten erst keine Ahnung, was das ist." Erst später wurde klar: Sie hatten eine ehemals streng geheime Militärbasis entdeckt.
Relikt des Kalten Kriegs
"Camp Century", auch bekannt als die "Stadt unter dem Eis", ist ein Relikt aus dem Kalten Krieg. Die Pioniere der U.S. Army hatten ab 1959 ein weitläufiges Netz an Tunneln in die oberflächennahe Schicht des Grönland-Eisschilds gegraben.
Wie Nikolaj Petersen bereits 2007 im "Scandinavian Journal of History" schrieb, sollte im Rahmen des viel weitere gefassten und streng geheimen "Project Iceworm" ein Netz aus Abschussrampen gebaut werden.
Tausende Kilometer lange Tunnel waren geplant, in ihnen sollten Hunderte modifizierte "Minuteman"-Atomraketen mit der Typenbezeichnung "Iceman" stationiert werden. Ihr Ziel im Ernstfall: die Sowjetunion.
Ein eigener Atomreaktor sollte Camp Century mit Energie versorgen, zu dessen Bau gibt es in US-Archiven sogar einen Abschlussbericht datiert auf 1. August 1961.
Die hochtrabenden Pläne der Generalität mussten aber bald eingestampft werden. Zu hoch waren die Kosten. Schon 1967 wurde die Einrichtung aufgegeben. Der Reaktor wurde abgebaut, vieles wurde aber zurückgelassen. Darunter auch fast 10.000 Tonnen an Müll.
Eis und Schnee begruben die Strukturen daraufhin schnell wieder. Heute liegen die obersten Teile der Anlage mindestens 30 Meter unter der Oberfläche – und durch die Fließbewegung des Gletschereises etwa 230 Meter von ihrer ursprünglichen Position entfernt.
Völlig neues Bild
Ganz verschollen war "Camp Century" nicht, schon auf früheren Radarflügen war es aufgefallen, wirkte aber auf den damals noch nur zweidimensionalen Radarkarten wie eine große aber undefinierte Störung im Eis. Im April 2024 führte die NASA aber eine neue Technologie ins Feld: UAVSAR (Uninhabited Aerial Vehicle Synthetic Aperture Radar). Dieses System blickt nach unten und zur Seite und erzeugt dadurch Karten mit mehr Dimensionalität.
"In den neuen Daten sind einzelne Strukturen der geheimen Stadt auf eine Art und Weise sichtbar, wie sie noch nie zuvor gesehen wurden", so JPL-Kryosphärenforscher Greene. Vergleicht man die neue Radarkarte von Camp Century (Titelbild oben) mit historischen Karten der geplanten Anlage des Stützpunkts, so scheinen die parallelen Strukturen mit den Tunneln übereinzustimmen.
Die Interpretation der neuen Radarkarten ist allerdings eine Herausforderung. Wissenschaftler haben mit konventionellem Radar aufgenommene Karten verwendet, um die Schätzungen der Tiefe von Camp Century zu untermauern. Sie wollen damit errechnen, wann das Schmelzen und die Ausdünnung des Eisschilds Camp Century und alle eventuell verbleibenden biologischen, chemischen und radioaktiven Abfälle wieder freilegen könnten.
Eisschmelze besser verstehen
"Der wissenschaftliche Nutzen des neuen UAVSAR-Bildes von Camp Century bleibt abzuwarten; vorerst bleibt es eine neue Kuriosität, die zufällig entdeckt wurde", so die NASA. Greene und Gardner hatten jedenfalls nicht die Absicht, die Geheimbasis abzulichten. "Unser Ziel war es, die Fähigkeiten und Grenzen von UAVSAR für die Kartierung der inneren Schichten des Eisschildes und der Schnittstelle zwischen Eis und Untergrund zu kalibrieren, zu validieren und zu verstehen".
Die Forscher hoffen, dass dieser Ansatz mit solchen Instrumenten den Wissenschaftlern helfen kann, die Dicke von Eisschilden in ähnlichen Umgebungen in der Antarktis zu messen und die Schätzungen des künftigen Meeresspiegelanstiegs einzuschränken. "Ohne detaillierte Kenntnisse der Eisdicke ist es unmöglich zu wissen, wie die Eisschilde auf die rasche Erwärmung der Ozeane und der Atmosphäre reagieren werden, was unsere Möglichkeiten zur Vorhersage des Meeresspiegelanstiegs stark einschränkt", so Greene.
Die Wissenschaftler hoffen, dass die jüngsten Ergebnisse der Testvermessung die nächste Generation von Luftbildkartierungen in Grönland, der Antarktis und darüber hinaus ermöglichen werden.
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Auf den Punkt gebracht
- Bei einem Testflug über Grönland im April 2024 entdeckten NASA-Wissenschaftler unter der Leitung von Chad Greene eine geheime Militärbasis aus dem Kalten Krieg, bekannt als "Camp Century", die unter 30 Meter dickem Eis begraben liegt.
- Diese Entdeckung wurde durch den Einsatz eines neuartigen Radarsystems, UAVSAR, ermöglicht, das detaillierte dreidimensionale Karten der unterirdischen Strukturen lieferte und somit neue Einblicke in die historische Anlage und deren potenzielle Auswirkungen auf zukünftige Eisschmelzprozesse und den Meeresspiegelanstieg bietet.