Österreich

Fixierte Frau hatte in Psychiatrie einen Herzstillstand

Die Frau war zu stark sediert und wurde in der Psychiatrie unbeaufsichtigt fixiert. Sie starb beinahe an einem Herzstillstand.

Christine Ziechert
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Ein Viertel der in der Psychiatrie Zwangsuntergebrachten wird fixiert.
Ein Viertel der in der Psychiatrie Zwangsuntergebrachten wird fixiert.
Axel Griesch / laif / picturedesk.com

Zwangsweise in der Psychiatrie durchgeführte Freiheitsbeschränkungen sind in Österreich nach wie vor an der Tagesordnung. Im Jahr 2019 wurden laut Monitoring der Gesundheit Österreich GmbH insgesamt 25.703 Menschen in psychiatrischen Abteilungen zwangsuntergebracht. 

Etwa ein Drittel davon wird zeitweise in Einzelräume gesperrt, ein Viertel wiederum am Bett fixiert, berichten Volksanwalt Bernhard Achitz, Bernhard Rappert, Leiter des Fachbereichs Patientenanwaltschaft bei VertretungsNetz, und Psychiaterin sowie Kommissionsleiterin Karin Gutiérrez-Lobos in einem Pressegespräch zum Thema Schwerpunkt-Kontrollen der Volksanwaltschaft in Psychiatrien.

"Die Patientin erlitt aufgrund der starken Sedierung und der Fixierung einen Herzstillstand und landete auf der Intensivstation" - Patientenanwalt Bernhard Rappert

Hinter diesen Zahlen stecken allerdings oft bewegende Schicksale: So berichtet Rappert etwa von einer jungen Frau, die zu stark sediert wurde. Bei der anschließenden Fixierung am Bett wurde die Frau allein gelassen. Sie erlitt eine Atemdepression sowie einen Herzstillstand und landete auf der Intensivstation: "Die Maßnahme wurde später vom Gericht für unzulässig erklärt, das hat der Patientin aber im Nachhinein nichts geholfen", erklärt Rappert.

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    privat, iStock

    Der Patientenanwalt berichtet zudem von einem weiteren Fall: "Ein etwa 14-jähriges Mädchen war in der Erwachsenenpsychiatrie untergebracht. Genau in dem Zeitfenster, in dem sie mit ihrem Handy telefonieren durfte, wollte ein Arzt mit ihr sprechen. Sie wollte das Gespräch nicht beenden, der Arzt wollte ihr daraufhin das Handy wegnehmen. Sie schlug ihn mit der Faust und wurde danach fixiert. Diese Fixierung wäre aber nicht notwendig gewesen." Laut Rappert dauert ein zwangsweiser Aufenthalt in der Psychiatrie im Durchschnitt zehn bis elf Tage, eine Fixierung wird meist nach zwei Tagen aufgehoben.

    Patienten werden am Gang und vor Besuchern fixiert

    Die Volksanwaltschaft nahm daher bei einem Prüfschwerpunkt im vergangenen Jahr unangemeldet insgesamt 50 psychiatrische Krankenhäuser bzw. Abteilungen (davon elf Kinder- und Jugendpsychiatrien) unter die Lupe und sprach dort mit Patienten und Mitarbeitern. Der Fokus lag dabei auf Gewaltprävention und freiheitsbeschränkende Maßnahmen wie Fixierungen.

    Demnach wurden in vier von fünf Einrichtungen Fixierungen durchgeführt, in einem Viertel der Fälle allerdings nicht von qualifiziertem Personal. Ebenfalls auffallend: Bei 56 % der Patienten wurden die Fixierungen in nicht adäquaten Räumen durchgeführt wie etwa am Gang oder in Anwesenheit von Mitpatienten oder gar Besuchern. 

    Einsatz von Security-Personal nicht sinnvoll

    In immerhin 71 % der überprüften Einrichtungen lag zumindest ein Deeskalations- und Sicherheitskonzept vor. Verpflichtende Schulungen dazu gab es allerdings nur bei etwa der Hälfte der Ärzte und nur bei einem Drittel der Therapeuten: "Um freiheitsbeschränkende Maßnahmen zu vermeiden, muss das gesamte Personal verpflichtend aus- und weitergebildet werden, zumindest aber Berufsgruppen mit Patientenkontakt", fordert Volksanwalt Achitz.

    Rappert wiederum empfiehlt sogar eine jährliche Deeskalationsschulung und eigene Räume zur Reizabschirmung: "In den Einrichtungen, die das praktizieren, gingen die Zwangsmaßnahmen um zwei Drittel zurück." Den Einsatz von Security-Mitarbeitern, wie in manchen Kliniken praktiziert, hält Rappert nicht für sinnvoll: "Ein Patient saß mit einer Ärztin und einer Kollegin von mir in einem Raum. Plötzlich hatte der Mann ein Messer in der Hand. Die Ärztin hat den Mann beruhigen können, sie hat das kommunikativ großartig in den Griff bekommen. Dann ging die Tür auf und ein Security stand plötzlich da. Daraufhin hat sich der Mann sofort wieder das Messer geschnappt. Zum Glück ist nichts passiert."

    "Mehr Personal ist der Schlüssel, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern" - Volksanwalt Bernhard Achitz

    Seit Jahren ebenfalls bekannt und weiterhin eklatant: der Personalmangel: "Überall, wo zu wenig Personal vorhanden ist, kommt es vermehrt zu Zwangsmaßnahmen wie Medikamentengabe oder Freiheitsbeschränkungen. Mehr Personal ist der Schlüssel, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern", meint Achitz. Wie "Heute" berichtete, wird inzwischen sogar in Deutschland nach qualifiziertem Personal gesucht, um die große Lücke zu füllen.

    Das fehlende Personal zeigt sich auch in der oft nicht möglichen 1:1-Betreuung von fixierten Patienten und einer menschenunwürdigen Behandlung. So berichtet Rappert von einem Fall, bei dem ein Mann vollkommen nackt in seinem Bett fixiert wurde: "Er hat sich ständig eingekotet. Das Personal hatte keine Zeit, ihn zu waschen und zu säubern, daher wurde er nackt fixiert – das ist natürlich rechtswidrig."

    Erneute Kontrolle der Psychatrien in zwei Jahren

    Verbesserungsbedarf sieht die Volksanwaltschaft zudem bei der Dokumentation und der statistischen Auswertung: "Alle Fälle von Aggression müssen systematisch erfasst werden. Aus der statistischen Auswertung muss man dann die nötigen Schlüsse ziehen. Dass man die Ursache für Gewalt kennt, ist entscheidend für wirksame Präventionsarbeit", so Kommissionsleiterin Gutiérrez-Lobos.

    Die Volksanwaltschaft hat die Träger der psychiatrischen Anstalten bereits über die Mängel und Missstände informiert und auch Best-Practice-Beispiele präsentiert. In etwa zwei Jahren wird laut Achitz dann erneut eine Kontrolle erfolgen.