Der Ukraine-Krieg hat die Corona-Pandemie weitgehend aus den Schlagzeilen verdrängt. Trotz Rekord-Infektionszahlen stehen am Samstag die großen Öffnungsschritte in Österreich bevor. Am Mittwoch wurden erneut 39.493 Neuinfektionen und 47 Todesfälle vermeldet. Das ist der zweithöchste Wert im heurigen Jahr. Der Rekord wurde mit 43.053 Fällen am 27. Jänner erzielt.
Die Experten des Covid-Prognosekonsortiums gehen in ihrer neuesten Einschätzung davon aus, dass es in der Mehrheit der Bundesländer zu einer Plateaubildung im Infektionsgeschehen kommt. Ein Rückgang der Zahlen könnte erst in ein paar Wochen eintreten, doch dieser Effekt werde durch die geplanten Öffnungsschritte nun vermutlich verzögert.
Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein hält an den geplanten Öffnungen am Samstag fest. Die Zahlen seien kein Grund zur Beunruhigung, da keine Systemgefährdung in den Spitälern zu erwarten ist.
Es gebe laut Epidemiologen Gerald Gartlehner mehrere Gründe, warum die Zahlen derzeit so hoch sind. Zum einen hänge es mit dem Ferienende in allen Bundesländern und dem Omikron-Subtyp BA.2 zusammen. Der Experte widerspricht im "Ö1-Morgenjournal" dem Gesundheitsminister: "Es ist meiner Meinung nach schon ein Grund zur Beunruhigung, weil alle erwartet haben, dass die Zahlen zurückgehen."
BA.2 ist ansteckender, aber nicht gefährlicher. "Der erste Subtyp geht zurück, der zweite steigt an. So halten sie sich die Balance", erklärt Gartlehner.
Weitere Experten wie Peter Klimek und Eva Schernhammer sehen die Öffnungen kritisch. Auch Gartlehner stimmt dem zu: "Jetzt alles zu öffnen, ist das Gegenteil davon, was man epidemiologisch tun würde. Man riskiert ein hohes Infektionsgeschehen, was auch beim Medizin-Personal zu Ausfällen führt. Dazu gibt es leicht ansteigende Spitalszahlen, was zur Folge hat, dass bestimmte Operationen oder Therapien nicht durchgeführt werden können."
Der Epidemiologe sieht die Entwicklung mit Skepsis und warnt vor zu großem Leichtsinn. "Es wäre gut, wenn die Politik die hohen Zahlen zur Kenntnis nimmt und bestimmte Basismaßnahmen belässt." Dabei nennt er etwa die FFP2-Maske in Innenräumen. Neue Daten aus den USA belegen, dass FFP2-Masken im Innenraum das Infektionsrisiko um 80 Prozent reduzieren können.
Beim Testen müsse man laut Gartlehner unterscheiden zwischen jenen, die sich krank fühlen und gesunden Menschen. Das Testangebot für Menschen mit Symptomen sollte es weiter geben. Das Testen von Gesunden sollte man auf Risikopersonen beschränken.
"In den Schulen wird derzeit zu viel getestet, das könnte man reduzieren", betont Gartlehner weiter. Und das Impfen sei in Österreich erledigt. Seit Wochen tut sich in diesem Bereich nichts. Auch die Nachfrage für das neue Vakzin Novavax ist überschaubar.
Die Regierung sendet laut dem Experten widersprüchliche Botschaften. Zum einen wird alles geöffnet und andererseits gibt es eine Impfpflicht, die aber niemand kontrolliert. "Wir müssen uns auf den Herbst vorbereiten, das niederschwellige Testen muss erhalten bleiben und wir müssen wissenschaftlich aufarbeiten, was funktioniert hat und was nicht", so Gartlehner.