Gesundheit
Experten raten dringend zum Booster für alle ab 18
Die 3. Impfung würde den Schutz komplettieren, sagen Pharmakologe und Mikrobiologe, obwohl man derzeit nicht wisse, wie lange dieser anhält.
Der klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger sowie der Mikrobiologe Michael Wagner sprechen sich klar für eine Empfehlung zum "Dritten Stich" für alle Personen ab 18 Jahren bei der Corona-Impfung aus - sechs Monate nach dem zweiten Stich. Die Infektionszahlen werden zwar aktuell ganz eindeutig von den Ungeimpften getrieben, "aber man sieht, dass es auch bei den Durchbruchsinfektionen (bei Geimpften, Anm.) nach oben geht", so Zeitlinger im APA-Interview.
Zeitlinger rechnet mit einer nachhaltigeren Wirkung des Drittstichs als nach den ersten beiden Impfungen: "Ich gehe davon aus, dass man nach der dritten Impfung eine viel längere Immunität hat als nach der zweiten Impfung." Die dritte Impfung könne man mit der zweiten "nicht mehr vergleichen". Gleichzeitig betonte er, dass man derzeit nicht wisse, wie lange der Schutz nach dem "Booster" anhalte.
Wirkung der Zweitimpfung nimmt nach zwei Monaten ab
Die Auffrischung mit dem dritten Stich werde auch Auswirkung auf das Verbreitungsgeschehen haben. Es habe sich gezeigt, dass der "volle Schutz" nach der Zweitimpfung (nicht nur vor schweren Verläufen, sondern auch vor Ansteckung und damit der Weitergabe) zwei Monate anhalte. Danach gehe die Wirkung stetig zurück (womit dann auch Geimpfte wieder zu Überträgern werden können). "Indem wir Personen boostern, schützen wir wieder einmal indirekt die Nichtgeimpften", so Zeitlinger.
Immunisierung der Ungeimpften nach wie vor Priorität
Gleichzeitig betonte er, dass die Immunisierung der noch Ungeimpften Priorität haben müsse. Denn es gebe einen "Riesenunterschied" bei den Infektionen zwischen Geimpften und Ungeimpften, verwies er auf aktuelle Daten. Die Inzidenz bei den Ungeimpften liege in etwa bei 600 bis 700, jene der Geimpften hingegen bei rund 150. Die Pandemie würde selbst im Fall dessen, dass sich alle bisher doppelt Geimpften den Drittstich holen würden, nicht zum Stillstand kommen. Der Booster "wird einen Beitrag leisten, aber nicht reichen, um gut über den Winter zu kommen", sagte Zeitlinger, denn unter den Ungeimpften finde der bei weitem überwiegende Teil der Ansteckungen statt. Daher sei wie nach vor sei jeder neu Geimpfte, "epidemiologisch wichtiger als jemand, der sich geboostert hat".
Seinen Wunsch, den Drittstich allen ab 18 Jahren bereits sechs Monate nach dem Zweitstich zu empfehlen - und nicht nur der älteren Generation - untermauerte Zeitlinger mit der Datenlage: Zwischen der Altersgruppe der 18- bis 60-Jährigen und jener der Über-60-Jährigen sei hinsichtlich der Durchbruchsinfektionen kein wesentlicher Unterschied feststellbar, betonte der Experte. Daher mache eine Unterscheidung bei der Auffrischungsimpfung nach diesen Altersgruppen keinen Sinn - und er wäre für eine klare Empfehlung, dass sich alle ab 18 Jahren den "Booster" holen. "Es wäre schon gut, wenn das Nationale Impfgremium das klarstellt."
Keine Empfehlung für Unter-18-Jährige
Anders verhält es sich hingegen bei der Gruppe unter 18 Jahren. In der Gruppe der Zwölf- bis 17-Jährigen komme auf zehn Infektionen bei Ungeimpften nicht einmal eine Infektion von Geimpften. Bei den Über-18-Jährigen hingegen komme auf vier Infektionen bei Ungeimpften eine Durchbruchsinfektion von Geimpften, so Zeitlinger. Eine Empfehlung zur Auffrischung auch für Zwölf- bis 17-Jährige wollte Zeitlinger folglich noch nicht geben. "Ich würde das bei Unter-Zwölfjährigen nur für Risikogruppen empfehlen" - und für die anderen die Daten abwarten. Es handle sich dabei aber ohnehin aktuell um eine sehr theoretische Diskussion, da bei den meisten Unter-18-Jährigen der Zweitstich noch längere Zeit keine sechs Monate zurückliegen wird.
Verpflichtender Booster bei Johnson & Johnson-Geimpften
Beim Vakzin von Janssen (Johnson & Johnson) wünscht sich Zeitlinger eine Änderung hinsichtlich des Grünen Passes. Denn Studien würden zeigen, dass diese Einmal-Impfung nur einen Schutz von 40 Prozent bietet (im Vergleich zu den 80 bis 90 Prozent anderer Vakzine). Man könnte überlegen, dass für die weitere Gültigkeit des Grünen Passes bei einer Impfung mit Johnson & Johnson eine Booster-Impfung verlangt wird - eventuell mit einer dreimonatigen Vorlaufszeit ab Verkündigung dieser Maßnahme, so der Experte.
Klar für die Auffrischung sechs Monate nach dem Zweitstich tritt auch der Mikrobiologe Wagner von der Universität Wien ein. Sofern es auf die globale Verteilungsgerechtigkeit des Impfstoffes keine Auswirkungen hat, sieht er keinen Grund dafür, dass das Impfgremium den dritten Stich in Österreich nicht für alle ab 18 Jahren empfiehlt, sagte er zur APA.
Geimpfte Teil des Infektionsgeschehens
Wagner betonte, dass sechs Monate nach dem Zweitstich schon ein deutliches Nachlassen der Impfwirkung zu verzeichnen sei. Vor allem der Schutz vor einer Ansteckung (und damit einer möglichen Weitergabe) gehe dann "sehr weit runter", auch bei Jüngeren. Eine noch nicht begutachtete schwedische Bevölkerungsstudie deute zudem darauf hin, dass der Immunschutz nach zweifacher Impfung bei Männern schneller nachlässt. Aktuell würden Geimpften in Österreich "durchaus am Infektionsgeschehen teilnehmen", auch wenn die Unter-60-Jährigen vor schweren Verläufen größtenteils weiterhin geschützt sind, betonte Wagner. Mit dem Booster werde der Schutz vor schweren Verläufen deutlich erhöht, v.a. bei den Über-60-Jährigen, sagte der Wissenschafter.
Der Mikrobiologe verwies auch auf aktuelle Daten aus Israel, wo sehr frühzeitig und breitflächig der Bevölkerung Boosterimpfungen angeboten wurden: An diesen sehe man, dass quer durch alle Altersgruppen zwölf bis 14 Tage nach dem Drittstich der Schutz vor Infektionen enorm ansteigt. "Das ist schon sehr beeindruckend". Österreich stehe am Beginn der vierten Welle und es gelte zu handeln, daher plädiere er für die rasche Auffrischung für alle. Denn dies habe neben einer starken zusätzlichen Schutzwirkung vor schweren Verläufen zumindest für eine gewisse Zeit auch einen stark dämpfenden Effekt auf die Übertragung des Virus. "Man kann sich aus der Delta-Welle schon rausboostern."
Schutz nach Booster stabil
"Nach dem Boostern besteht ein verringertes Ansteckungsrisiko. Die Daten aus Israel belegen, dass dieser zusätzliche Infektionsschutz zumindest zwei Monate nach der Boosterimpfung stabil bleibt und es wird gerade untersucht, wie effektiv die Boosterimpfung über längere Zeiträume ist."
Um die Weitergabe zu verhindern, plädiert Wagner auch vehement dafür, dass sich auch Geimpfte regelmäßig (PCR-)testen, vor allem wenn sie sich mit vielen anderen Personen in Innenräumen aufhalten oder mit Risikogruppen zu tun haben. "Regelmäßiges Testen ist nicht belastender als Zähneputzen - und schützt in diesem Fall eben die anderen, wie zum Beispiel immunsupprimierte Personen die trotz Impfung keinen ausreichenden Immunschutz aufbauen oder Kinder unter zwölf Jahren."
Impfung unter 12 + Testen
Hinsichtlich der Impfung für Kinder von fünf bis elf Jahren hofft der Experte auf eine baldige Zulassung der auch in dieser Altersgruppe "hoch effektiven" Impfung. Man müsse im Auge behalten, dass es nicht darum gehe, ob Covid-19 für Kinder ähnlich gefährlich wie für Erwachsene oder Ältere ist, sondern man müsse die Erkrankung in Relation zu anderen (Kinder-)Krankheiten setzen. In den USA wurde die Impfung für 5-11-Jährige vor Kurzem zugelassen.
"Natürlich haben 80-Jährige ein viel höheres Risiko", betonte Wagner. Aber man müsse auch die Langzeitfolgen der Erkrankung im Blick behalten. Long-Covid-Fälle gebe es bei Kindern im einstelligen Prozentbereich. Und eines von 3.000 bis 5.000 angesteckten Kindern erkranke schwer am sogenannten Hyperinflammationssyndrom (PIMS, MIS-C) - eine überschießende Immunreaktion mit potenziell lebensgefährlichem Verlauf. Zudem würden die derzeit noch ungeimpften Kinder unter zwölf Jahren natürlich zur Verbreitung des Virus beitragen, die aktuell hohen Infektionszahlen in dieser Altersgruppe führen zu Störungen des Schulbetriebs.
Bei Kindern sei aus epidemiologischer Sicht ebenfalls anzuraten, auch Geimpfte weiterhin zu testen, so lange bis erforscht ist, ob geimpfte Kinder wie die geimpften Erwachsenen das Virus weitergeben können. Die bestehende Praxis lautet hingegen, dass geimpfte Kinder und Jugendliche nicht mehr an den Schultests teilnehmen müssen - was seitens der Politik als Motivation für die Impfung betrachtet wird. Noch wichtiger als die Testung der geimpften Schüler wäre für Wagner aber, "dass man jeden positiven Fall ernst nimmt und evidenzbasiert darauf reagiert". Denn dadurch, dass die Schüler regelmäßig getestet werden, ist selbst ein ganz schwach positiver PCR-Tests meist ein Hinweis darauf, dass sich ein Kind gerade infiziert hat - und dann sollte die Infektionskette sofort unterbrochen werden.