Ukraine

Experte schätzt Risiko von nuklearer AKW-Tragödie ein

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms meldet die Internationale Atomenergie-Organisation sinkende Kühlwasserpegel im AKW Saporischschja.

Während infolge des Dammbruchs weite Landstriche unter Wasser stehen, sinkt der Wasserstand in dem Kühlwasser-Reservoir des Kernkraftwerks Saporischschja – auf 12,7 Meter am Donnerstagabend.
Während infolge des Dammbruchs weite Landstriche unter Wasser stehen, sinkt der Wasserstand in dem Kühlwasser-Reservoir des Kernkraftwerks Saporischschja – auf 12,7 Meter am Donnerstagabend.
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Von 16,4 Meter am Dienstagmorgen auf 12,7 Meter am Donnerstagabend: Der Wasserpegel im Kühlwasser-Reservoir von Saporischschja, dem größten Kernkraftwerk Europas, sinkt seit der Zerstörung des Kachowka-Staudamms. Bislang ist er um etwa 4,1 Meter gesunken. Damit ist nun der Stand erreicht, von dem angekommen wurde, dass er zu tief ist, um die sechs Reaktoren und die abgebrannten Brennelemente des AKW zu kühlen. Laut der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA pumpt das AKW aber weiterhin Kühlwasser aus dem Kachowka-Reservoir, eine Überprüfung habe gezeigt, dass die Pumpen wahrscheinlich auch dann noch betrieben werden können, wenn der Pegel auf etwa elf Meter oder möglicherweise tiefer sinkt.

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    Die Situation im Kernkraftwerk Saporischschja drohte seit Beginn der ukrainischen Invasion in die Ukraine schon mehrfach ausser Kontrolle zu geraten.
    Die Situation im Kernkraftwerk Saporischschja drohte seit Beginn der ukrainischen Invasion in die Ukraine schon mehrfach ausser Kontrolle zu geraten.
    REUTERS

    Wie bewertet die IAEA die Lage am AKW?

    Ernster als noch am Mittwoch: Hieß es da noch, es bestehe "kein unmittelbares Risiko" für die nukleare Sicherheit, bezeichnet IAEA- Chef Rafael Mariano Grossi die "allgemeine nukleare Sicherheitslage" in einem neuen Statement als "sehr prekär und potenziell gefährlich". Er weist aber darauf hin, dass der Umstand, dass die Pumpen auch bei einem tieferen Pegelstand als erwartet arbeiten, "uns mehr Zeit verschafft, bevor möglicherweise auf alternative Wasserversorgung umgestellt wird".

    Was meint "alternative Wasserversorgung"?

    Zu den weiteren Kühlwasserquellen, auf die Rossi verweist, zählen laut Grossi ein großes Kühlbecken, das so weit gefüllt sei, dass darüber das Kraftwerk für mehrere Monate versorgt werden könne. Weiter könnten Sprinkler, weitere Becken und Kanäle am Kraftwerksgelände genutzt werden. Bei Bedarf könne zudem auf eine nahegelegene tiefe, wassergefüllte Grube zurückgegriffen werden – oder auf das Wassersystem der nahen Stadt Enerhodar.

    Wann werden die alternativen Wasserquellen angezapft?

    Wann und ob es dazu kommt, lässt sich laut IAEA nicht abschätzen. Sie weist darauf hin, dass der Wasserpegel mittlerweile weniger schnell sinkt als direkt nach dem Bersten des Damms: Habe die Abnahme zunächst bei rund elf Zentimetern pro Stunde gelegen, waren es am Mittwochabend vier bis sieben Zentimeter.

    Wie groß wird das Risiko einer nuklearen Katastrophe eingeschätzt?

    "Unter normalen Bedingungen wäre das keine sehr bedrohliche Situation", so Nikolaus Müllner, Leiter des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften an der Universität für Bodenkultur Wien, zu Spiegel.de. "Aber im Kriegsfall ist schwer vorherzusehen, was passiert." So sieht es auch Grossi: Es sei lebenswichtig, dass die Kühlwasserteiche intakt blieben. Er wolle nächste Woche selbst in die Region reisen, um sich ein Bild zu machen: So lange das Ausmaß der Schäden am Damm noch unbekannt sei, sei unklar, wann und auf welchem Niveau sich der Stausee stabilisieren werde. Weiter will er die Einhaltung der fünf Grundprinzipien zum Schutz des Kraftwerks zu überwachen.

    Die fünf Prinzipien
    1. Es sollte kein Angriff von der Anlage aus oder auf sie erfolgen, insbesondere gegen die Reaktoren, die Lagerung abgebrannter Brennelemente, andere kritische Infrastrukturen oder das Personal.
    2. Das AKW sollte nicht als Lager oder Stützpunkt für schwere Waffen (z. B. Mehrfachraketenwerfer, Artilleriesysteme und Munition sowie Panzer) oder Militärpersonal genutzt werden, das für einen Angriff von der Anlage aus eingesetzt werden könnte.
    3. Die externe Stromversorgung der Anlage sollte nicht gefährdet werden. Zu diesem Zweck sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass die Stromversorgung ausserhalb des Standorts jederzeit verfügbar und sicher bleibt.
    4. Alle Strukturen, Systeme und Komponenten, die für den sicheren Betrieb des AKW wesentlich sind, sollten vor Angriffen oder Sabotageakten geschützt werden.
    5. Es sollten keine Maßnahmen ergriffen werden, die diese Grundsätze untergraben.

    Das AKW ist abgeschaltet, warum braucht es noch Kühlwasser?

    Nachdem es im Jahr 2022 in Saporischschja aufgrund von Kampfhandlungen immer wieder zu riskanten Stromausfällen kam, wurden alle sechs Reaktorblöcke ausgeschaltet. Doch die Brennelemente heizen weiter. "Man kann die Kernspaltung unterbinden, aber der Zerfall der radioaktiven Elemente, die dabei entstanden sind, lässt sich nicht stoppen", so Georg Steinhauser, Radioökologe an der TU Wien, gegenüber Derstandard.at. Die Kühlung der Kernreaktoren und der Brennstoffe sei essenziell. In der Regel würden Brennelemente nach dem Entladen aus dem Reaktor noch fünf Jahre im Abklingbecken gekühlt

    Müllner bezeichnet die Abschaltung gegenüber Spiegel.de als "großes Glück", weil damit weniger Kühlwasser benötigt würde: Die thermische Leistung, die in Saporischschja im laufenden Betrieb bei 3.000 Megawatt pro Block liege, sinke nach dem Abschalten eines AKW stark ab. Schon nach 100 Sekunden liege sie nur noch bei rund 3,5 Prozent, nach einem Monat noch bei etwa 0,1 Prozent, nach einem Jahr bei rund 0,05 Prozent.

    Auch Grossi nennt Positives. Die Ukraine habe nach dem Atomunfall von Fukushima im Jahr 2011 Stresstests durchgeführt, darunter auch das Szenario des Versagens des Kachowka-Staudamms. Entsprechend seien die AKW-Mitarbeitenden "auf Ereignisse wie dieses vorbereitet".

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