Neue Weltordnung

"Europa hat versagt" – Experte sieht düstere Zukunft

Europa hat in der Ukraine laut Geopolitik-Experte Reginold versagt. Durch Trump bahne sich eine neue Weltordnung an, in der Europa unterzugehen drohe.
20 Minuten
05.03.2025, 07:47

In der Weltpolitik geht es gerade Schlag auf Schlag: Trump hat die finanzielle Hilfe für die Ukraine gestoppt. Der Kreml zeigt sich erfreut über Trumps Entscheid, alle internationalen Reaktionen findest du hier.

Europa will als Folge 800 Milliarden in die Aufrüstung investieren – wobei noch unklar ist, woher das Geld kommen soll. Geopolitik-Experte Remo Reginold kritisiert die Spitzenpolitiker Europas für ihre jahrelange Untätigkeit. Europa drohe von den Entwicklungen im Rest der Welt abgehängt zu werden, sagt er im Interview mit "20Minuten".

Ursula von der Leyen ruft "Rearm Europe" aus, also die Wiederbewaffnung Europas: Wird dieser Moment als Zeitenwende in die Geschichte eingehen?

Es ist unbestritten, dass die Ereignisse sich überschlagen und die Zeiten sich ändern. Grund dafür ist Donald Trumps undiplomatische Art. Europa verfällt jetzt in eine Kriegsrhetorik, läuft aber Gefahr, die größeren Fragen wie wirtschaftliche Abhängigkeiten und gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit außer Acht zu lassen. Ich glaube nicht, dass Europa das Russland-Problem mit den von Ursula von der Leyen vorgeschlagenen 800 Milliarden für Aufrüstung lösen kann.

Wieso nicht?

Das ist zu wenig und zu spät. Europa hat in der Ukraine versagt und den Zeitpunkt, ernsthaft wieder zur sicherheitspolitischen Macht zu werden, längst verpasst. Gemeinsame europäische Rüstungsprojekte scheitern seit Jahren, die Eigenständigkeit der Länder ist zu groß und es herrscht zu viel Uneinigkeit. Es ist richtig, dass Europa jetzt zumindest rhetorisch Härte zeigt, aber selbst wenn die Finanzierung der Aufrüstungspläne klappen würde, sind die Probleme damit nicht einfach gelöst.

Mit einer starken Armee könnte Europa sich aber zumindest weiteren Territorialansprüchen Russlands erwehren.

Das mag stimmen. Und ich sage auch nicht, dass Aufrüstung jetzt falsch ist. Aber um Waffen zu bauen, müssen zum Teil erst Fabriken ge- und ausgebaut werden. Das dauert Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Europa darf nicht vergessen, dass militärische Stärke nur ein Machthebel ist. Es geht vielmehr auch um gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit. Wir sind überzeugt: Es bahnt sich eine neue Weltordnung an. Und so, wie Europa derzeit unterwegs ist, sieht seine Zukunft in dieser Weltordnung nicht rosig aus.

Die regelbasierte Weltordnung zerbröselt vor unseren Augen

Wie meinen Sie das?

Andere Mächte sind viel besser darin, zur richtigen Zeit die richtigen Machthebel spielen zu lassen. China kontrolliert weltweit Lieferketten und Rohstoffvorhaben. Grüne Technologien sind ohne China nicht mehr denkbar, fast alle unsere Solarpanels kommen aus China. Saudi-Arabien stellt sich plötzlich als Friedensstifter dar. Die Brics-Staaten pflegen Netzwerke, die ihnen erlauben, viel flexibler auf veränderte Gegebenheiten zu reagieren. Europa hat auf eine starre Nachkriegsordnung mit Weltpolizisten vertraut, die dafür sorgen, dass sich die Realität nicht verschiebt, und dabei die eigenen Hausaufgaben nicht gemacht. Das rächt sich jetzt.

Wie sehen Sie also die Zukunft Europas konkret?

Die europäische Abhängigkeit von Ländern wie China oder den Brics-Staaten wird sich verschärfen. Einige Historiker sagen gar, Europa wird in einigen Jahrzehnten zum Drittweltland werden. Wenn wir die Geschichte anschauen, ist das nicht abwegig: Immer, wenn ein Land oder ein Reich auf dem Höhepunkt war, ist es gestürzt und wurde von einer anderen Macht abgelöst.

Was sind denn für Europa Alternativen zur Aufrüstung?

Es wird gewisse Aufrüstung brauchen zur Abschreckung. Zentral ist, dass Europa nicht alles auf die militärische Karte setzt und so seine Wirtschaft ruiniert, den Sozialstaat komplett aushöhlt oder etwa Bildung, Forschung und Technologiesektor vernachlässigt. Es braucht bilaterales Commitment einzelner Länder zur Ukraine. Europa als Ganzes muss seiner Wirtschaft und seiner Gesellschaft Sorge tragen, um für künftige Herausforderungen gewappnet zu sein. Und das ist eben nicht nur Krieg. Es geht hier auch um Punkte wie:

– Neue Abhängigkeiten von kritischen Rohstoffen und neuen Technologien.

– Eine neue Situations- und Opportunitätspolitik, die neue Akteure einbringen und die Europa verstehen und justieren muss.

– Gesamtgesellschaftliche Resilienzstrukturen, die Europa aufbauen muss.

– Das Eingeständnis, dass die Treiber der Weltwirtschaft und -politik nicht mehr aus dem Westen kommen werden.

Putins Message richtet sich nicht an die Ukraine, sondern an die Welt: Seht her, wir können das westliche Modell herausfordern. Der Westen, sprich Europa, muss schleunigst seine Rolle finden. Bisher haben Europas Spitzenpolitiker dabei versagt.

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